„Mehr kann man nicht erreichen“
Vor Bastian Schweinsteigers Abschiedsspiel gegen den FC Bayern erinnert sich Oliver Kahn an die ersten Jahre
MÜNCHEN - Vor gut 16 Jahren bekam Oliver Kahn (49), damals der wohl beste Torwart der Welt und gerade Vizeweltmeister geworden, beim FC Bayern München einen neuen Platznachbarn in der Kabine. Einen jungen Mittelfeldspieler, wie es damals nicht viele gab in Deutschland, technisch beschlagen, schlitzohrig, elegant: Bastian Schweinsteiger. Heute kehrt Schweinsteiger, strahlender Champions-League-Sieger von 2013, heldenhaft blutender Weltmeister von 2014, für ein Spiel in die Allianz Arena zurück. Der 34-Jährige, der mit Bayern zudem acht deutsche Meisterschaften und sieben Pokalsiege gewann und seinen Karriereabend bei Chicago Fire in den USA verbringt, kommt zum offiziellen Abschiedsspiel (20.30/RTL). Patrick Strasser hat mit OIiver Kahn über die Anfänge von Schweinsteigers Karriere gesprochen.
Herr Kahn, rund sechs Jahre haben Sie mit Bastian Schweinsteiger beim FC Bayern zusammengespielt, nun verabschiedet er sich von seinen Fans. Sie hatten stets einen besonderen Draht zueinander. Woher kam das?
Ich erinnere mich noch gut, als der junge Schweini im Herbst 2002 die ersten Male bei uns Profis mittrainiert hat. Relativ früh konnte man erkennen: Da kommt einer, der nicht mal nur so dabei ist. Nein, der will zu den Profis. Der will was erreichen, der hat ein Ziel. Außerdem fiel mir sofort auf: Das ist ein guter Junge, der hat einen guten Charakter.
Zwischen Ihnen liegen immerhin 15 Jahre, im Fußball ein, zwei Generationen.
Das hat keine Rolle gespielt. Als älterer, erfahrener Spieler konnte ich Bastian helfen und unterstützen.
Was hat Sie verbunden?
Bastian war nicht wie Toni Kroos. Als der mit 17 zum ersten Mal bei uns mittrainierte, dachte ich mir: Wahnsinn, einen technisch besseren Spieler habe ich noch nie gesehen. Doch um sich bei Bayern durchzusetzen, brauchst du nicht nur die Technik, sondern auch eine gewisse Art, diese Frechheit. Bastian hat von Beginn an nie gefremdelt bei den Profis, hat keine lange Anlaufzeit gebraucht, sich schnell integriert und akklimatisiert.
Sein Ehrgeiz und sein Biss dürfte Ihnen imponiert haben.
Richtig. Nach Ende der Trainingseinheiten ist er wie ich immer ein bisschen länger auf dem Platz geblieben, hat an seiner Schusstechnik gefeilt, mir die Bälle im Tor um die Ohren gehauen. Dadurch sind wir uns nähergekommen.
Sie saßen in der Kabine nebeneinander. Das Miteinander fand Schweinsteiger nicht so harmonisch: „Ich habe Oliver das erste Mal im November 2002 kennengelernt. Das erste Mal, dass er mit mir gesprochen hat, war dann so 2005.“
Nein, ganz so extrem war es nicht. Wenn ich jemanden kennenlerne, dann sage ich zunächst hin und wieder ein Wort, danach mal drei, später ganze Sätze (lacht).
Schlimmer aber muss der jahrelange Handtuchstreit gewesen sein. Zunächst habe Schweinsteiger immer seines vermisst. „Dann sehe ich neben mir den Olli, wie er sich seine Haare schön macht, wie er seine Handschuhe poliert und alles Mögliche – mit zwei Handtüchern!“
Zu meiner Verteidigung muss ich klarstellen: Das war nicht böswillig von mir. Ich saß immer am gleichen Platz, wusste aber nie, ob Basti an dem Tag da war oder bei den Amateuren trainiert hat – das kam ja oft vor. Also hab’ ich mir das Handtuch einfach genommen und dachte mir, er wird schon intelligent genug sein, sich bei den Masseuren ein anderes zu holen.
Später hat er sich beschwert, Sie hätten sich als Kabinen-Nachbar immer so breit gemacht, bis er gefragt hat: „Olli, soll ich mich im Stehen anziehen?“
Das Schöne ist ja, dass er das immer mit einem Augenzwinkern sagte und wir dann gelacht haben. Bastian hat so eine gewinnende Art, die ihm auch später in der Karriere geholfen hat, Konfliktsituationen zu lösen.
Wie bewerten Sie seine Karriere?
Die ist optimal gelaufen, was die Erfolge betrifft. Wichtig ist in meinen Augen aber auch die eigene Zufriedenheit. Und Bastian macht auf mich einen sehr zufriedenen Eindruck. Was ich sehr schön finde: Er hat nicht bei fünf, sechs Vereinen gespielt, sondern seine Karriere im Großen und Ganzen beim FC Bayern durchgezogen. Durch den Champions-League-Sieg 2013 wird er mit einer Ära in Verbindung gebracht, mehr kann man nicht erreichen. Leider hatte er zum Ende hin durch die ständigen Belastungen immer mit seinem Körper und Verletzungen zu kämpfen.
Kommen wir zu den wirklich wichtigen Themen des Lebens. Stichwort Mode.
Na ja, seine Generation war natürlich etwas anders unterwegs. Aber auch ich als älterer, etwas konservativerer Typ hatte ja mal eine spätpubertäre Phase, da habe ich mich wieder angepasst. Wenn ich nur an die Kopfhörer denke, die alle heute ständig tragen. Da hätte man uns damals sofort entlassen (lacht).
Bei den Frisuren haben Bastian und Sie sich zeitweise aber wirklich nichts geschenkt.
Wir haben aber damals keine eigenen Friseure zur WM einfliegen lassen, außerdem gab es noch keinen Undercut. Der Undercut ist für mich der Vokuhila der Neuzeit. Zu Basti: Ich habe ihm irgendwann mal, als er wieder mit einer neuen Frisur ankam, eine Ansage gemacht: ,Ich glaube, du hast zu viel Zeit. Beschäftige dich lieber mit Fußball als mit deinen Haaren!’ Klar ging es da auch mal zur Sache. Er war dann zwei, drei Tage beleidigt – vielleicht hatte ich überzogen. Dennoch ist zwischen uns nie etwas hängengeblieben. Außerdem hat er nie seine Karriereziele aus den Augen verloren – auch dank Uli Hoeneß, der ihm offen die Meinung gesagt hat.
Was raten Sie Bastian zu seinem Karriereende?
Er sollte erstmal gar nichts im Fußballbereich machen, sollte die Distanz suchen, um dann zu spüren: Was will ich eigentlich? Er ist ja jetzt Vater geworden, führt mit seiner Frau Ana (die ehemalige WeltklasseTennisspielerin Ivanovic, d.Red.) ein ganz anderes Leben in Chicago. Ab und zu schreiben wir uns SMS, ich habe es aber leider nie geschafft, ihn dort zu besuchen.
Wäre Schweinsteiger nicht der perfekte Trainertyp? Vielleicht zunächst im Jugendbereich.
Das könnte ich mir gut vorstellen, aber er soll sich ausprobieren. Tatsächlich kann er Menschen für sich gewinnen, kann jüngere gut motivieren.