Immer mehr kirchliche Kritik an Italiens neuer Regierung
Vade retro Salvini!“(Weiche zurück, Salvini). Diese Anspielung auf den Satz „Vade retro Satana“(Weiche zurück, Satan) war kürzlich auf der Titelseite der italienischen Wochenzeitschrift „Famiglia Cristiana“zu lesen. Das Wochenmagazin (Auflage 500 000) ist das am meisten gelesene in Italien.
Herausgegeben wird „Famiglia Cristiana“vom Paolinerorden. Der besitzt eines der umfangreichsten Medienimperien Italiens, das mehr Printmedien druckt als die Konkurrenz von Medienzar Silvio Berlusconi. Italien sei ja immer noch ein katholisches Land, erklärt der Vatikanexperte Sandro Magister von der linken Zeitschrift „L’Espresso“. So darf es nicht verwundern, dass katholische Medien viel gelesen werden und ziemlich einflussreich sind. „Famiglia Cristiana“greift Italiens rechten Innenminister Matteo Salvini frontal an – auch mit Reportagen, in denen der scharfe Kurs gegen Einwanderer als unchristlich und abstoßend kritisiert wird. Auch die Tageszeitung „Avvenire“greift den Kurs des Innenministers und die Politik verschiedener anderer Minister der Regierung aus der ausländerfeindlichen Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung M5S an. Der „Avvenire“wird von der italienischen Bischofskonferenz herausgegeben. Die Tageszeitung gilt als eine der qualitativ besten Italiens und ist auch wegen ihres ausgezeichneten Kulturteils Pflichtlektüre vieler Italiener, auch wenn sie keine Kirchgänger sind. Der „Avvenire“greift nicht nur die neue Ausländerpolitik an, sondern auch die Idee der Gesundheitsministerin, die Impfpflicht für Schulkinder aufzuweichen. Damit werde unverantwortliche Politik betrieben, hieß es zuletzt in einem Leitartikel.
Zu Beginn seines Pontifikats hatte Papst Franziskus erklärt, dass sich seine Kirche zukünftig nicht mehr in Italiens Politik einmischen werde. Jetzt scheint der Papst seine Meinung geändert zu haben. Immer wieder kritisiert er den neuen Umgang der Regierung mit Einwanderern.
Neue Partei Mitte September
Die Position von Franziskus gegen jede Form der Begrenzung der Einwanderung aus Nordafrika hatte in den vergangenen Monaten und Wochen zu bissigen Bemerkungen des Innenministers geführt. Salvinis scharfe Rhetorik scheint katholische Medien dazu ermutigt zu haben, die Regierungsarbeit direkt anzugreifen. Das hat es in Italien lange nicht gegeben.
Interessant ist auch, dass die gleichen Kreise aus dem katholischen Umfeld, die die Regierung kritisieren, zu jenen Kräften gehören, die die Gründung einer neuen Partei forcieren. Wie aus Kreisen der in Rom ansässigen Zentrale der katholischen Laienorganisation von Sankt Egidius bekannt wurde, wird dort an einer neuen politischen Formation mit dem Namen „Democrazia solidale“(Solidarische Demokratie) gearbeitet. Am Projekt sind liberale und Franziskusnahe katholische Medienmacher, Intellektuelle, Politiker, Geistliche und Bischöfe beteiligt. Die neue Partei soll Mitte September aus der Taufe gehoben werden.
Dies sei ein verständlicher Vorgang, äußerte Antonio Spadaro, Jesuit und Direktor der papstnahen Jesuitenzeitschrift „Civiltà cattolica“, Verständnis. Italiens Oppositionsparteien, so Spadaro, scheinen in einer Schockstarre gefangen zu sein. Eine neue liberale und solidarische christliche Partei könnte eine Lücke schließen, analysiert der Soziologe Giuseppe De Rita vom römischen Sozialforschungsinstitut Censis.