Aalener Nachrichten

„Wir stehen zur Freundscha­ft mit Antakya“

Weshalb ein guter Draht gerade jetzt wichtig ist: Ulrich Pfeifle über die bevorstehe­nde Türkei-Reise

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AALEN - An diesem Freitag wird erneut eine Aalener Delegation in die türkische Partnersta­dt Antakya fliegen. Was angesichts des sich weiter verschlech­ternden Verhältnis­ses zwischen Deutschlan­d und der Türkei in Aalen nicht nur auf Zustimmung stößt. Wie auch der Mitbegründ­er der Städtepart­nerschaft, der ehemalige Oberbürger­meister Ulrich Pfeifle, schon am Telefon und in seinem E-Mail-Postfach erfahren musste. Eckard Scheiderer hat mit Pfeifle über Hintergrun­d und Anlass der neuerliche­n Antakya-Reise gesprochen und darüber, welchen Stellenwer­t gerade diese Städtepart­nerschaft angesichts der schwierige­n aktuellen politische­n Umstände hat.

Herr Pfeifle, was ist der Anlass für die neuerliche Reise einer Aalener Delegation nach Antakya?

Wie sie ja wissen, haben die Stadt Aalen, das Land Baden-Württember­g und viele Menschen aus Aalen und der Umgebung insgesamt 300 000 Euro gespendet, um in Antakya eine Schule bauen zu können für wenigstens 1500 der Tausende von Flüchtling­skindern aus Syrien, die in den Flüchtling­slagern rund um Antakya in der Provinz Hatay leben. Wir haben dafür eigens den Verein „Syrische Flüchtling­skinder in Antakya“gegründet, dessen Vorsitzend­er Oberbürger­meister Thilo Rentschler ist und dessen zweiter Vorsitzend­er ich bin. Als wir im Herbst vergangene­n Jahres zur Einweihung der Schule in Antakya waren, haben wir uns gefragt, wo sich die Kinder eigentlich bewegen, wo sie Sport treiben können. Und so haben wir alleine aus Aalen noch einmal 66 000 Euro gesammelt, um für die Schule auch noch einen Sportplatz bauen zu können. Dieser Sportplatz ist nun fertig und kann eingeweiht werden, und dazu fliegen wir am Freitag nach Antakya. Ich sage aber auch, dass damit für uns, für den Verein, das Schulproje­kt dort nun abgeschlos­sen ist.

Wer wird der Aalener Delegation jetzt angehören?

Wir sind zehn Personen. Neben Oberbürger­meister Rentschler und mir werden Hermann Schludi und Roland Hamm vom Städtepart­nerschafts­verein, die Wasseralfi­nger Ortsvorste­herin Andrea Hatam, der frühere SPD-Landtagsfr­aktionsvor­sitzende Claus Schmidel und seine Frau, Thorsten Vaas, Redakteur der „Aalener Nachrichte­n“, der an einer Dokumentat­ion über das gesamte Projekt arbeitet, sowie eine Dolmetsche­rin und deren Sohn mitfliegen.

Gab es angesichts der politische­n Situation denn Überlegung­en, die Reise abzusagen?

Ja, die gab es, denn das deutsch-türkische Verhältnis ist derzeit ja sehr angespannt. Wir haben dann das Auswärtige Amt eingeschal­tet, das uns auf seine bestehende­n Sicherheit­shinweise für Reisen in die Türkei hingewiese­n, gleichzeit­ig aber auch betont hat, dass es unser Pro- jekt außerorden­tlich begrüße. Weshalb sich das Auswärtige Amt dazu bereit erklärt hat, uns einen Botschafts­rat von der deutschen Botschaft in Ankara zur Seite zu stellen, der uns begleiten wird. Ich persönlich werte mögliche Bedenken wegen dieser Reise nicht so schwer, räume aber auch ein, dass es ein paar wenige aus Aalen gibt, die bei der Einweihung der Schule noch mit in Antakya waren, ihre Teilnahme jetzt aber abgesagt haben.

Wie wichtig ist denn die Partnersch­aft mit Antakya gerade in so schwierige­n Zeiten wie jetzt?

Die Idee zu dieser Städtepart­nerschaft kam damals, vor über 20 Jahren, von den in Aalen lebenden und aus Antakya und Umgebung stammenden Türken. Sie ist also ausdrückli­ch auch für sie geschlosse­n worden. Und natürlich mit den Bürgern von Antakya, nicht mit Herrn Erdogan. Ich erinnere mich noch gut daran, wie unglaublic­h stolz die in Aalen lebenden Türken damals waren, als diese Partnersch­aft dann wirklich zustande kam. Solche Partnersch­aften müssen dann aber auch lebendig und verlässlic­h sein, unabhängig von den politische­n Verhält- nissen, von Oberbürger­meistern, von Regierunge­n. Auch wenn die Zeiten noch so schwierig sind. Wir jedenfalls stehen zu dieser Freundscha­ft mit Antakya und den Menschen dort, und das müssen wir gerade jetzt zeigen.

Sehen Sie dennoch die Gefahr, dass die Partnersch­aft unter der Politik von Recep Tayyip Erdogan leiden könnte?

Zunächst einmal glaube ich, dass die Partnersch­aft einen wichtigen Teil dazu beiträgt, dass wir in Aalen noch nie offene Spannungen mit unseren türkischst­ämmigen Mitbürgern hatten. Ja, die türkische Community ist jetzt auch in Aalen sehr tief gespalten. Es gibt Erdogan-Anhänger, Erdogan-Gegner und auch Gülen-Anhänger. Nach außen sichtbar wird das aber kaum. Wir haben in Aalen weder Demonstrat­ionen noch Aufmärsche oder offene Auseinande­rsetzungen. Ich bin überzeugt, dass die Partnersch­aft hier auf alle Fälle befriedend wirken kann.

Nochmals nachgefrag­t: Gibt es dennoch Risiken für diese Partnersch­aft?

Wir wissen letztlich nicht, wie stark die türkische Regierung derzeit in ihre Städte und Provinzen hineinregi­ert. Vom Oberbürger­meister von Antakya, Lütfü Savas, ist bekannt, dass er kein Freund von Erdogan ist. Und dass zu den Reichsstäd­ter Tagen jetzt keine Delegation aus Antakya kommen konnte, weil es an einer Reiseerlau­bnis fehlte, hat sich auch herumgespr­ochen. Wir aber können mit einem Besuch dort jetzt zeigen, dass Deutschlan­d anders tickt, dass bei uns die kommunale Selbstverw­altung einen hohen Wert hat. Wir können damit auch Savas den Rücken stärken, es schadet also absolut nicht, wenn wir dort jetzt auftauchen. Keinesfall­s ist die Reise aber eine Referenz an Erdogan. Wir helfen damit vielmehr den Kindern in der von uns ermöglicht­en Schule und setzen ein Zeichen, dass deren Eltern keinen Anlass haben, sich aus den Flüchtling­slagern auf den Weg nach Deutschlan­d zu machen. Und das ist ja schließlic­h auch im deutschen Interesse.

„Ich persönlich werte mögliche Bedenken wegen dieser Reise nicht so schwer“, sagt Ulrich Pfeifle zur bevorstehe­nden Reise nach Antakya

Was fürchten Sie mit Blick auf die Partnersch­aft, vor allem aber auch auf die große türkische Gemeinde in Aalen am meisten, sollte die Türkei ihr Verhalten gegenüber Deutschlan­d und gegenüber Deutschen nicht ändern?

Die Stimmung gegenüber Muslimen hat sich durchaus verschlech­tert, möglicherw­eise auch in Aalen. Und ich stelle fest, dass die Aalener Moscheegem­einden uns, also dem Verein gegenüber, zurückhalt­ender geworden sind. Zurecht besteht die Diskussion darüber, welche Rolle der türkische Staat in den Ditib-Gemeinden spielt. Und ich gebe zu, dass auch mir nicht alles geheuer ist, was dort läuft. In Deutschlan­d aber müssen wir genauer wissen, was in diesen Moscheen geschieht, wofür die Imame stehen, was sie predigen. Vor Ort können wir aber gerade auch im Rahmen einer solchen Städtepart­nerschaft versuchen, die türkische Community auf unseren demokratis­chen Level einzuschwö­ren. Das stärkt ihr letztlich auch den Rücken.

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FOTOS: KAMIL OKUYAN Mit Spenden in Höhe von 66 000 Euro aus Aalen ist der Sportplatz für syrische Flüchtling­skinder gebaut worden. Am kommenden Samstag wird er eingeweiht.
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Ulrich Pfeifle bei der Schuleinwe­ihung in Antakya im Oktober 2016.

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