Die Unternehmensvernetzer
Das Startup-Netzwerk Bodensee will Gründer aus der Dreiländerregion zusammenbringen
RAVENSBURG - Beim Stichwort Startup denken viele an Kalifornien, das Silicon Valley, vielleicht noch an Berlin und München. Dabei hat auch die Bodenseeregion das Potenzial, ein attraktiver Standort für Jungunternehmer zu sein, findet jedenfalls Philipp Kessler. Der 32-Jährige weiß, wovon er spricht. Als Mitgründer des erfolgreichen Technik-Aufkaufdienstes Wir-kaufens hat der gebürtige Tübinger die pulsierende Gründerszene Berlins selbst erlebt – und ist dennoch in seine alte Heimat zurückgekehrt. Genauer gesagt nach Konstanz.
Zusammen mit dem Investor Jens Freiter arbeitet Kessler an einem großen Projekt: an der Idee, Gründer, Investoren und Mittelständler aus der Region zusammenzubringen und innovativen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Dafür haben die beiden das Startup-Netzwerk Bodensee gegründet – eine Onlineplattform, die jungen Unternehmern einen besseren Zugang zu Know-how, zu Kontakten, zu Mitarbeitern und nicht zuletzt zu Kapital ermöglichen soll.
Auch Kesslers Partner Freiter ist kein Unbekannter in der Szene. Als Mitgründer des Reisebewertungsportals Holidaycheck, das 2006 der Burda-Verlag übernommen hat, hat der in Kreuzlingen lebende Unternehmer den Traum vieler Gründer bereits einmal gelebt. Heute stellt Freiter jungen Start-ups Geld zur Verfügung und berät diese.
Gründer in der Region halten
Das Ziel der beiden: Gründern im Bodenseeraum ein Umfeld zu schaffen, damit sie in der Dreiländerregion bleiben. Das Potenzial dafür sei da – gute Hochschulen, kluge Köpfe und eine Region mit Anziehungskraft. Doch bislang seien die meisten Gründer der Meinung, dass sie, um erfolgreich zu sein, in Start-up-Metropolen wie Berlin, München oder Zürich gehen müssen. „Das wollen wir ändern“, sagt Kessler, der Geschäftsführer des Netzwerks.
Eine der größten Hürden aus seiner Sicht: Die vielen Grenzen in der Region Bodensee, der doch eigentlich als verbindendes Element beworben wird. Laut Kessler gibt es am See vier Gründerzentren von Relevanz. Neben Konstanz und Friedrichshafen/Ravensburg seien das Dornbirn/Bregenz auf österreichischer Seite und St. Gallen in der Schweiz. Vier Cluster also, die nicht nur verschiedene Landkreis-, sondern auch Ländergrenzen trennt.
„Viele Akteure wissen oft nichts voneinander, obwohl sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt sind“, erläutert Kessler. Jeder – angefangen von den Industrie- und Handelskammern bis hin zu den Universitäten – unterhalte eigene Gründerprogramme. „Doch einzelne Städte wie Friedrichshafen oder Konstanz werden nie die Relevanz erreichen, um Gründer in größerem Stil an den See zu ziehen“, glaubt Kessler.
Dabei kann die Bodenseeregion durchaus mit Vorteilen gegenüber Hochburgen wie Berlin punkten: beispielsweise mit einem starken und innovationsfreudigen Mittelstand. Von einer Zusammenarbeit profitieren sowohl Start-ups als auch etablierte Unternehmen. So wie im Fall von Pieye und dem Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Die vier Pieye-Gründer haben sich als Elektronikentwicklungspartner etablierter Unternehmen selbstständig gemacht und waren unter anderem mit ZF-Ventures in Kontakt. „Eine Beteiligung von ZF kam daraus zwar nicht zustande, doch ist der Automobilzulieferer inzwischen unser größter Kunde“, sagt Harald Ilg-Wassner, der Geschäftsführer des Friedrichshafener Unternehmens. Die Gründer entwickeln für ZF optische Personenerfassungssysteme, die beispielsweise in Bussen zum Einsatz kom- men. Ein erster Auftrag mit der Lieferung von 7500 solcher Geräte wurde Mitte September unterzeichnet.
Kooperationen mit Universitäten
Andere Firmen docken sich an die Gründerzentren der Universitäten im Bodenseeraum an und versuchen, auf diese Weise Innovationen voranzutreiben und Antworten auf die Herausforderungen der digitalen Transformation zu finden. So wie die Markdorfer Wagner-Gruppe, ein Spezialist für Oberflächenbeschichtung. Das Unternehmen kooperiert mit der Zeppelin Universität (ZU) aus Friedrichshafen und wird innerhalb des ZU-Gründerzentrums einen eigenen Inkubator eröffnen. Dort wolle man Geschäftsideen mit Bezug zur Oberflächenbeschichtungstechnik fördern, erklärt Wagner-Chef Bruno Niemeyer, und zwar durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten, Finanzierung, Mentoring und Know-how-Zugang. Ähnliche Initiativen finden sich auch auf der anderen Seeseite, etwa an der Universität St. Gallen oder in Konstanz.
Solche Initiativen und Gründerinstitutionen sowie bestehende lokale Netzwerke wollen Kessler und Freiter einbinden – für ein „besseres großes Ganzes“wie sie sagen. Knapp 40 Kommunen, Wirtschaftsförderungen, Handelskammern, lokale Netzwerke und Initiativen haben die beiden bereits für ihre Idee gewonnen. Alle wissen: Nur gemeinsam und grenzüberschreitend kann die Bodenseeregion zu einem international relevanten Start-up-Zentrum werden. „Das ist manchmal anstrengend, aber auch ein echter Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Regionen“, sagt Kessler. „Nirgendwo sonst ist der Zugang zu gleich drei spannenden, gleichsprachigen Märkten so schnell und einfach möglich wie hier.“
Und hinzu kommt eines: das verbindende Element ist ein sehr attraktives – der Bodensee. Deshalb haben ihn Kessler und Freiter auch in den Namen ihres Netzwerks genommen.