Britische Regierung streitet über Migration
In der Regierung von Premierministerin Theresa May gibt es Streit über die Einwanderungspolitik und deren Auswirkung auf die Brexit-Verhandlungen. Ein den Medien zugespieltes Regierungspapier befürwortet das Ende der Personenfreizügigkeit vom Zeitpunkt des EUAustritts im März 2019 an. Damit wären alle Ideen vom Tisch, nach denen Großbritannien während einer Übergangsphase temporär in Binnenmarkt und Zollunion bleiben könnte.
„Immigration sollte nicht nur den Einwanderern selbst zugute kommen, sondern auch der bestehenden Bevölkerung“, heißt es in dem Papier. Wirtschaftsverbände reagierten bestürzt: Die endgültige Regierungsposition müsse „offenen“Zugriff auf Arbeitskräfte ermöglichen.
Die Konservativen wollen seit Jahren eine Nettoeinwanderung von weniger als 100 000 Menschen pro Jahr erreichen. Dass dies nie gelungen ist (jüngste Zahl: 246 000), lag auch an der Personenfreizügigkeit. Deshalb gehörte die Kontrolle der Einwanderung zu den Hauptargumenten der Brexit-Befürworter vor dem Referendum im Juni 2016. Seither kommen weniger EU-Bürger, vor allem Polen, Rumänen und Bulgaren, auf die Insel.
Das 82-seitige, dem „Guardian“zugespielte Papier erlegt EU-Bürgern künftig die Pflicht auf, bei dauerhaften Aufenthalten eine Arbeitsstelle vorzuweisen. Hochqualifizierte sollen für bis zu fünf Jahre bleiben dürfen, Arbeitskräfte mit weniger guter Ausbildung maximal zwei Jahre. Strenger geregelt wird auch der Familiennachzug: Er soll künftig den Regelungen für Menschen außerhalb der EU angeglichen werden und damit nur noch für engste Angehörige gelten, die zudem ein Mindesteinkommen nachweisen müssen.
Regierungsvertreter spielten die Bedeutung des Papiers herunter: Es sei ein längst überarbeiteter Entwurf. Die harte Linie des Innenministeriums wird weder von Finanzminister Philip Hammond oder Wirtschaftsminister Greg Clark noch von Gesundheitsminister Jeremy Hunt geteilt. Alle drei müssen sich die Klagen der Unternehmen anhören, die von billigen Arbeitskräften vom Kontinent profitieren. Der besonders von Hammond geförderte Plan einer bis zu dreijährigen Übergangsfrist dürfte ohne weitgehende Beibehaltung der Freizügigkeit kaum aufgehen.
Womöglich reichen die Meinungsverschiedenheiten bis ins Innenministerium. Es wurde bis 2016 sechs Jahre lange von der heutigen Premierministerin geleitet; deren Nachfolgerin Amber Rudd gilt als liberaler. Vor Jahresfrist machte sie allerdings mit dem Vorschlag von sich reden, Firmen müssten Namenslisten ihrer ausländischen Mitarbeiter erstellen und an die Regierung weiterreichen. Die Idee wurde nach Protesten aus der Wirtschaft kassiert.
Erst im Juli beauftragte die Ministerin eine Kommission damit, Vorund Nachteile der massenhaften Einwanderung abzuwägen. Das Papier aus ihrem Haus stammt vom August und scheint die Ergebnisse der Experten vorwegzunehmen: Zuwanderung aus der EU soll vermieden werden. May ließ im Unterhaus Sympathie für dieses Ziel erkennen: Der unbegrenzte Zulauf billiger Arbeitskräfte aus Europa sei problematisch „besonders für Niedrigverdiener“.