Eher Praktiker als Sambatänzer
Der neue Kia Rio macht seinem Namen keine Ehre – Alltagstauglicher Kleinwagen mit hohem Nutzwert
Beantworten wir die spannendste Frage gleich vorab: Ein feuriger Sambatänzer – der Name des getesteten Automobils legt diese Vermutung ja irgendwie nahe – ist der Kia Rio nun wirklich nicht. Auch als hinreißende Sambatänzerin, nach der sich ein jeder den Kopf verdreht, geht er keinesfalls durch. Und doch darf die vierte Generation des koreanischen Kleinwagens, die seit diesem Jahr auch über deutsche Straßen rollt, als gelungen bezeichnet werden. Ein respektables, alltagstaugliches Wägelchen, das von einer Spaßgranate in etwa so weit entfernt ist wie sein Mutterland von Europa. Eigenschaften übrigens, die der Rio mit seinen Konkurrenten wie Clio, Corsa und Co. teilt und die viele Käufer zu schätzen wissen, die einfach nur ein praktisches Auto für die Fortbewegung von A nach B suchen. Sie dürfen den Koreaner getrost mit auf die Auswahlliste setzen.
Heiße Liebe auf den ersten Blick sollten sie allerdings nicht erwarten, auch wenn der Kleinwagen optisch im Vergleich zum Vorgänger kräftig aufpoliert daherrollt. Der tief hinab reichende Kühlergrill ist breiter, die Motorhaube länger und der Po knackiger geworden. Designer sprechen an dieser Stelle gern von einem dynamischen, Großzügiges Platzangebot, sehr gute Dämmung, umfangreiche Ausstattung, sieben Jahre Garantie kräftigen Auftritt – und haben im Fall des harmonisch gezeichneten Rio durchaus recht. Dass dies mehr Schein als Sein ist, weil nicht von einer entsprechenden Motorisierung untermauert – dazu später mehr.
Sprechen wir lieber zunächst über Erfreulicheres. Etwa das für einen Kleinwagen überraschend großzügige Platzangebot. Schon klar, der Rio hat in der Länge nur um 15 Millimeter auf jetzt gut vier Meter zugelegt – und fühlt sich doch wesentlich geräumiger an. Zwei Erwachsene im Fond reisen ebenso unbeschwert wie Fahrer und Beifahrer – es muss ja nicht gleich bis nach Asien sein. Dafür wäre dann der Kofferraum, obwohl um 37 auf beachtliche 325 Liter gewachsen, vielleicht doch etwas zu klein. Für den Alltagsgebrauch und die Wochenendeinkäufe erweist sich dieses Volumen aber allemal als ausreichend. Gewünscht hätten wir uns hingegen noch etwas üppigere Ablagen in den Türen sowie eine tiefere Ladekante, um nicht jede Getränkekiste mehr als 70Zentimeter nach oben wuchten zu müssen.
Ansonsten hinterlässt die Kabine des Rio einen durchweg ordentlichen Eindruck. Das Cockpit ist übersichtlich und klar gegliedert und verzichtet auf den so häufig zu beklagenden Knopfsalat. Das Lenkrad ist griffig mit gut zu erreichenden Tasten für Tempomat, Telefon oder Radio. Der große Touchscreen – keineswegs selbstverständlich in dieser Klasse – ist kinderleicht und intuitiv zu bedienen, die Materialanmutung als mindestens passabel einzustufen. Und selbst die Sitze überzeugen sogar auf längeren Strecken, auch wenn es ihnen spürbar an Seitenhalt mangelt. Aber den haben wir, ganz ehrlich, angesichts der eher dürftigen Fahrleistungen – wir erwähnten es bereits – nicht sonderlich vermisst.
Sie denken nun, wir sollten die Kirche bitteschön im Dorf lassen, weil wir uns ja schließlich im Kleinwagensegment bewegen? Zugegeben: Der Rio ist wendig und lenkt bereitwillig ein, nimmt Kurven präzise und punktet mit ausreichender Dämpfung sowie sehr guter Dämmung auch bei hohem Tempo. Allein der Benzinmotor mit seinem kurz und knackig zu schaltenden Sechsganggetriebe – etliche Konkurrenten müssen sich mit fünf Gängen begnügen – und seinen 99 PS treibt uns bisweilen zur Weißglut. Im Anzug eher schleppend, kommt der Koreaner nur behäbig auf Touren, zwingt bei Steigungen sogar auf der Autobahn zum Zurückschalten. Vergnügungssteuer für überbordenden Fahrspaß und Agilität haben wir jedenfalls nicht entrichten müssen. Ähnliche Motoren durften wir schon wesentlich lebendiger erleben. Auch deshalb erscheint der gemessene Durchschnittsverbrauch von 6,2 Litern bei zartem Gasfuß unpassend und zu hoch.
Jetzt ist aber wirklich genug gequengelt! Reden wir also lieber über die schon in der Basisversion (ab 11 690 Euro) umfangreiche Ausstattung – unter anderem mit Radio, Bordcomputer, Start-Stopp-System und Multifunktionslenkrad – sowie über Sicherheitsfeatures, die in dieser Klasse noch längst nicht üblich sind: Autonomen Notbremsassistenten mit Fußgängererkennung beispielsweise und Bremsstabilisierung bei Geradeausfahrt, um im Fall des Falles Kursabweichungen entgegenzuwirken, haben wir zwar nicht benötigt. Ein gutes Gefühl verschaffen sie dem Fahrer dennoch. Ebenso wie die sieben Jahre Hersteller- und Mobilitätsgarantie und das sieben Jahre lang kostenlose NavigationskartenUpdate.
Da könnten sogar die Fans von feurigen Sambatänzern ins Grübeln kommen.