Ein Lebensmodell von vielen
In der Bevölkerung gibt es eine Mehrheit, die sich für die „Ehe für alle“ausspricht. Jetzt war die Mehrheit im Parlament eindeutig dafür. So weit, so gut. Der anschließende Klamauk mit Konfetti in Regenbogenfarben sollte schnell abgehakt werden. Dem historischen Tag, von dem viele Redner im Bundestag sprachen, wurde diese Albernheit nicht gerecht, aber vielleicht war die Karnevalseinlage auch eine Möglichkeit, das Thema nicht zu einer Frage über Sein oder Nichtsein zu überhöhen. Aktuell gibt es in Deutschland 43 000 eingetragene Lebenspartnerschaften.
Die Entscheidung, eine Ehe einzugehen, ist Privatsache. Es gibt im Zweifelsfall viel mehr heterosexuelle Paare, die Kinder haben und dennoch nicht heiraten wollen, als homosexuelle Paare, die in Zukunft den Bund fürs Leben schließen werden. Dennoch ist für viele Menschen mit einem klassischen Familienbild die „Ehe für alle“eine Kröte, die schwer zu schlucken ist. Für das gesellschaftliche Zusammenleben ist es wichtig, wenn deren Bedenken, abweichende Meinungen oder auch Gefühle nicht automatisch als homophob diskreditiert würden.
Ebenfalls zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gehört aber auch die Existenz von unterschiedlichen Modellen: Alleinerziehende, Patchwork-Familien oder eben auch Homosexuelle mit Pflegekindern. Ein großer Knackpunkt für die Gegner der absoluten Gleichstellung ist das Adoptionsrecht. Die Jugendämter werden jedoch auch in Zukunft die Interessen der Kinder im Auge haben, wenn sie sich um Adoptionen kümmern. Dabei geht es singulär um das Kindeswohl, nicht um die Wünsche von Paaren. Reformbedarf im Adoptionsrecht gibt es ohnehin, etwa mit Blick auf Altersgrenzen.
Was bei den Aufgeregtheiten des Tages fast unterging, ist eine Zäsur im Binnenverhältnis der Großen Koalition. Auch wenn Unionsfraktionschef Volker Kauder lediglich von einem Vertrauensbruch der SPD sprach, de facto handelte es sich um einen Koalitionsbruch: SPD, Grüne und Linke gegen große Teile von CDU/CSU. Kurzum: Es gibt genügend Stoff für den Wahlkampf – mit oder ohne „Ehe für alle“.