Französischlektionen auf dem Land
Mädchen und die Liebe zur Initiation: Monja Arts wunderbarer Debütfilm „Siebzehn“
Die Jugend als düsteres Paradies und die Liebe als Schicksalsmacht – überaus verdient gewann „Siebzehn“, das ausgezeichnete Spielfilm-Debüt von Monja Art, im Januar den renommierten MaxOphüls-Preis. Auch der Preis für die beste Darstellerin ging an Elisabeth Wabitsch in der Hauptrolle. Nicht hochgestochen, sondern witzig und leicht erzählt der Film von einer Handvoll 17-jähriger Schüler in einem Internat, von erstem Verliebtsein und Enttäuschung, von Zukunftsplänen und von der Liebe zu Frankreich und zu französischer Literatur. Jetzt kommt „Siebzehn“ins Kino.
„Hoffnung?“– „L'espoir!“; „Kleid?“– „La robe!“; „J'aime, j'aimais, j'ai aimé“– Französischlektionen für die Schule. Paula bereitet sich mit ihren Freunden auf eine Prüfung vor, und Frankreich, französisches Kino, französische Romane, französische Lebensart sind hier die Utopie für einige der jugendlichen Hauptfiguren eines außergewöhnlichen Films.
Ein düsteres Paradies
Der Schauplatz ist ein düsteres Paradies: Es ist Sommer, kurz vor Abschluss des Schuljahres, das warme Licht der Jugend scheint über ein Internat im österreichischen Land. Paula ist eine Externe, sie ist eine Einzelgängerin. Paula ist siebzehn. Aber sie ist reifer, erwachsener als viele ihrer Klassenkameraden, sie macht sich Gedanken. Sie liebt Französisch. Und sie liebt Charlotte – heimlich natürlich, zumal Charlotte mit einem Jungen zusammen zu sein scheint.
Das Alltägliche und die Liebe als Schicksalsmacht sind die Sujets eines Films, der mit Träumen, Fantasien und viel subjektiver Perspektive schon jetzt einer der besten Filme des Jahres ist – auch in seinem Einsatz der Musik als Mittel zur Ausgelassenheit. Und in seinem großartigen Humor.
Einmal wird Paula im Unterricht gefragt, was es mit Flauberts Romanheldin Emma Bovary auf sich habe. Ihre Antwort spricht Bände: „Emma Bovary nimmt ihre Vorstellung von Liebe aus Novellen. Daher glaubt sie, Liebe müsse voller Passion, Drama und Leid sein. Für sie ist es keine echte Liebe, solange es keine Probleme gibt.“
In solchen Sätzen erzählt sie vor allem von sich selbst, und alle Sensiblen in der Klasse, auch alle Sensiblen im Publikum, begreifen das. Nur Paula selbst scheint es noch nicht zu verstehen.
So begleitet dieser Film seine Heldin und einige ihrer Klassenkameraden über die letzten Wochen des Schuljahrs – Momentaufnahmen des Erwachsenwerdens, in denen einige die erste Liebe erleben, aber auch die Täuschungen und Enttäuschungen, den Verrat und die Selbstentblößungen, die dazugehören.
Die Liebe zum französischen Autorenkino gibt diesem Film die Richtung. Regisseurin Monja Art, Jahrgang 1984, hat bei Michael Haneke in Wien studiert; offensichtlich mag sie Autofahren, Musik und Literatur, und das alles zeigt sie in ihrem Debüt. Sie hat auch einen Mut zur Intellektualität, der fasziniert, besticht und bezaubert – zumal die Intelligenz dieses Films nie aufdringlich ist. Paula ist eine junge Schwester von Antoine Doinel aus Truffauts gleichnamigem Filmzyklus, und auch sie ist überzeugt, dass das Alltägliche der Tod der Liebe ist, dass das Abwesende oft viel faszinierender ist, als das Anwesende.
So ist „Siebzehn“ein Initiationsdrama voller Träume, Fantasien und subjektive Ansichten der Welt – und einfach ein wundervoller, nahezu perfekter Film. Getragen wird er von der exzellenten Kameraarbeit von Caroline Bobeck und von einer tollen Hauptdarstellerin: In ihrem allerersten Filmauftritt spielt Elisabeth Wabitsch die Hauptfigur Paula mit einer Ausstrahlung, die kaum zwei Prozent ihrer Kollegen haben. Es genügt, wenn Wabitsch eine Mandarine schält oder einfach so dasitzt – sie hat Energie, das gewisse Etwas, sie hält einen gefangen.
Überaus verdient gewann dieses ausgezeichnete Spielfilm-Debüt im Januar den Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken. Zugleich muss man sagen: Dieses österreichische Werk ist auch eine Mängelanzeige für das deutsche Kino: Ein solcher Film wie „Siebzehn“hätte vor den Augen der oft spießigen deutschen Fördergremiengeschmäcker nie im Leben Gnade gefunden. Denn hier wird gerade nicht alles auserzählt und erklärt, hier sind die Figuren so widersprüchlich wie das Leben. Welch ein bezaubernder Mut!
Regie: Monja Art. Mit Elisabeth Wabitsch, Anaelle Dézsy, Alexandra Schmidt. Österreich 2016. 109 Minuten. FSK: ab 12 Jahren.