Die Freiheit auf zwei Rädern
Echt, einfach und ein bisschen retro – Das Motorrad als Fluchtfahrzeug aus der digitalen Welt
Es gab eine Zeit, da war Motorradfahren schwer in Mode. Tom Cruise raste in „Top Gun“mit einer Kawasaki über das Flugfeld, Arnold Schwarzenegger verfolgte seine Gegner als Terminator auf der Harley-Davidson. Von den legendären „Easy Ridern“Peter Fonda, Jack Nicholson und Dennis Hopper ganz zu schweigen. Das ist schon ein paar Jährchen her. Lange galt das Motorrad als Vehikel für coole Typen und solche, die es sein wollten. Rund um das Jahr 2000 war die Zahl der Neuzulassungen von Krafträdern in Deutschland mit mehr als 250 000 Neuzulassungen pro Jahr auf Rekordhoch – um danach rasant abzufallen. Im Jahr 2017 sieht es wieder anders aus. Jetzt, an den ersten Sonnentagen, sind Biker sehr oft auf der Straße zu sehen. Freiheit, Lifestyle, Coolness – ist Motorradfahren wieder angesagt?
„Das Motorradfahren ist in ganz vielen Bereichen der Gesellschaft wieder angekommen – vor allem in den letzten Jahren“, sagt einer, dessen Job die Lobbyarbeit für das motorisierte Zweirad ist. Reiner Brendicke ist Chef des Industrieverbandes Motorrad. Er sieht diesen Trend nicht nur auf Straßen, sondern auch in Mode und Werbung. Das Motorrad stehe mittlerweile wieder für Dynamik, Freiheit und Lifestyle. Dabei bedienten sich längst nicht nur Motorradfahrer der Biker-Mode. Brendicke verweist auf Lederjacken, auf T-Shirts mit aufgedrucktem Motorrad oder Stiefel, die den Boots der Biker ähneln.
Das Motorrad ist im Aufwind, wie die Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes belegen. Doch Spaß und Nervenkitzel auf zwei Rädern haben ihren Preis. Allein im vergangenen Jahr kamen auf deutschen Straßen 536 Fahrer und Mitfahrer von Krafträdern ums Leben, hinzu kamen fast 10 000 Schwerverletzte, wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervorgeht. Da sind jedoch auch Mofas, Mopeds und Roller eingerechnet.
Dabei sei zu schnelles oder nicht angepasstes Fahren die häufigste Unfallursache, sagt ADAC-Unfallexperte Thomas Unger. Betroffen sind nicht nur junge, unerfahrene Biker. Gefährdet sind auch Wiedereinsteiger, die ihren Führerschein vor vielen Jahren gemacht haben – und sich im fortgeschrittenen Alter eine neue Maschine zulegen. „Die Fahr-Erfahrung liegt in diesen Fällen oft 20 Jahre oder mehr zurück. In dieser Zeit hat sich aber viel getan“, sagt Unger.
Die Wiedereinsteiger würden ihre Maschine oft unterschätzen und die eigenen Fähigkeiten überschätzen. Im Jahr 2015 wurden laut ADAC 116 Kraftradfahrer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren getötet. Unter den 45- bis 55-Jährigen waren es fast 126.
Nach der Finanzkrise von 2008 war die Zahl der Neuzulassungen von Krafträdern – also Motorräder, Motorroller, Mofas, aber auch sehr kleine drei- und vierrädrige Fahrzeuge – eingebrochen. Mittlerweile steigt die Nachfrage aber rasant und mit ihr die Zahl der Neuzulassungen. 2016 wurden wieder mehr als 180 000 Krafträder angemeldet. Im vergangenen Jahr gab es laut ADAC mehr als 4,2 Millionen Krafträder in Deutschland. Das hat auch mit den miserablen Zinsen für Sparguthaben zu tun. „In Zeiten, in denen Nullzinsniveau herrscht, ist die Bereitschaft, in Lebensqualität zu investieren, größer“, sagt Brendicke.
Echte Erlebnisse
Auch für Experten des gesellschaftlichen Wandels ist das neue Interesse für das Motorrad logisch. Das sei eine Flucht aus aktuellen Entwicklungen und einer Welt, in der Digitalisierung und Vernetzung eine immer größere Rolle spielten. „Wir erleben, dass sich viele Dinge in Bereichen abspielen, in denen wir spürbar die Kontrolle verlieren“, sagt Trendforscher Ulrich Köhler, der das Trendbüro in Hamburg leitet. Deshalb steige der Drang nach echten Erlebnissen.
Den Rückzug ins Einfache, Überschaubare oder Kontrollierbare sieht Köhler auch bei der neuen Liebe für Schallplatten aus Vinyl, bei Retrowellen der Mode oder dem Trend zu sehr bewusster und gesunder Ernährung. „Das Motorrad ist die Entsprechung dieser Vorstellung.“Das gelte vor allem für junge Menschen, die von klein auf leistungsfähig sein müssten. Das Motorrad suggeriere Freiheit, Einfachheit und die Rückgewinnung der Kontrolle über das Leben.
Langsam, aber sicher begeistert das Motorradfahren auch immer mehr Frauen. Laut Industrieverband Motorrad ist das Wachstum der neu zugelassenen Leichtkrafträder mit weiblichen Haltern zuletzt sogar deutlich höher gewesen als bei männlichen. Brendicke: „Da wächst eine Generation nach, bei der der Anteil der Frauen höher sein wird als bei der bestehenden Motorrad-Community.“
Das Motorrad suggeriert Freiheit, Einfachheit und Kontrolle über das eigene Leben. Trendforscher Ulrich Köhler