Ein Kalif zum Kuscheln
Bei der Einweihung der Ahmadiyya-Moschee in Augsburg tummelt sich das weltliche Bayern
AUGSBURG - Auf die meisten Deutschen wirkt der Islam wie ein geschlossener Block. Nicht selten auch als Bedrohung. Wie viel Verschiedenheit unter Muslimen herrscht, ließ sich aber kürzlich im Süden erfahren. In Waldshut-Tiengen und in Augsburg weihte die AhmadiyyaGemeinde nagelneue Moscheen ein. Widerstand gibt es vor allem aus sunnitischen Islam-Kreisen.
Denen gilt die wachsende Bewegung als häretisch, sie werden, ähnlich wie die Ismaeliten, als Ungläubige verdächtigt. Die Begegnung mit diesem Islam kann aber auch richtig kuschelig sein: An der Donauwörther Straße im Augsburger Stadtteil Oberhausen singen festlich herausgeputzte Kinder fröhlich-fromme Lieder. Junge Männer in piekfeinen Anzügen kümmern sich um die christlichen Besucher als wäre jeder von diesen ein Ehrengast. Die Sonne scheint.
Und dann kommt der Kalif. Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, gewähltes Oberhaupt von wohl 100 Millionen Gläubigen rund um den Globus. Der Kalif allein schon wäre die Reise ins Schwäbische wert: Ein Mann mit Charisma, 66 Jahre alt, scheinbar unerschütterlich freundlich, mit einer eleganten Ehefrau an seiner Seite und einem halben Dutzend Personenschützern. Er wirkt mit seinem kunstvoll gewundenen Turban nicht nur wie ein Maharadscha, sondern er stammt tatsächlich vom indischen Subkontinent, aus Rabwah in Pakistan. Aus einer irgendwie sehr fremden Welt.
Kein Islam der wilden Bärte
Es ist dies wohl kein Islam der wilden Bärte und der jungen Männer, die mit Maschinenpistolen posieren. Und möglichst noch mit abgeschnittenen Köpfen. Gerade in ihren Ursprungsländern Indien und Pakistan sind die Ahmadiyya selbst geächtet, werden verfolgt und getötet. Ihr angebliches Verbrechen: Sie wollen nicht glauben, dass Mohammed der letzte legitime Prophet gewesen sei und dass es deshalb seit 1400 Jahren in Glaubensdingen keine Neuerung geben darf für die Muslime.
Der amtierende Kalif spricht in Augsburg gar von „dummen Muslimen“, die auf die Hassbotschaften von IS und Taliban hereinfallen. Und er sagt in seiner scheinbar unerschütterlichen Freundlichkeit, dass die Botschaft des Islam die Liebe sei und nicht der Hass. Gerade Ahmadiyya sei Opfer von Hass. So sehr, dass sie nicht einmal ganz genau wissen, wie viele Menschen zu ihrer Gemeinschaft zählen. Es gibt Länder, in denen ist es lebensgefährlich, offen dazuzugehören.
Deshalb residiert der Kalif nicht in Pakistan, sondern in London und mit der Deutschland-Zentrale in Frankfurt. In Waldshut wie in Augsburg haben die Leute bei den Moschee-Einweihungen erst mal gestaunt wegen der britischen Nummernschilder an den schwarzen Limousinen und Geländewagen deutscher Premiummarken. Sogar die Polizeibeamten, die mit einem derart großen Bahnhof wohl nicht gerechnet hatten.
Spannender als das Gepränge sind die Worte. Auf dem Gehsteig bindet ein mittelalter Mann mit Tweed-Mütze einem Jüngeren noch eben die Krawatte. Er heißt Saeed Ahmad Gessler und stammt vom Bodensee, aus Vorholz bei Maierhöfen. Das kann man hören, und auch spüren. Wenn er sagt, dass ein wenig Kleiderordnung einem Mädchen nicht schaden kann. Oder dass es gut ist, wenn beide Elternteile ihren Kindern den Glauben vorleben.
Saeed Gessler ist der zweite Mann in der deutschen Gemeinde. Ein Konvertit wie viele Männer und Frauen in der Gemeinschaft. Der Erscheinung nach ein Alt-68er aus der Hippie-Zeit. Als Indien und Gurus „in“waren. Nur von freier Liebe hält Herr Gessler gar nichts. Eher liebt er das Genaue und Korrekte. Muss er auch als Leiter der Ahmadiyya-Bauabteilung, verantwortlich für den ehrgeizigen Plan, 100 Moscheen in Deutschland zu bauen.
Abdullah Uwe Wagishauser könnte ein Bruder des Moschee-Baumeisters sein. Trägt wie Gessler so eine leicht verbeulte ArchitektenKappe, stammt ebenfalls vom Bodensee, aus Neufrach bei Salem. Spricht logisch mit schwäbischem Grundton und ist das Sprachrohr der deutschen Ahmadiyya-Gemeinde. Legende ist sein Disput im Mitteldeutschen Rundfunk, bei dem Wagishauser den AfD-Rechtsaußen Bernd Höcke plattgemacht hat mit seiner unerschütterlichen Freundlichkeit.
„Ich bin Langstreckenläufer“, sagt Wagishauser, „bei mir treibt so schnell nichts den Blutdruck hoch.“Wird wohl so sein: Wenn sie irgendwo in Deutschland eine neue Moschee bauen, muss der Schwabe her und erklären, warum auch Muslime Gotteshäuser brauchen. Bei Ahmadiyya stehen sie zu den gemeinsamen Wurzeln der abrahamitischen Religionen Christentum, Islam und Judentum. Wie alle Muslime verehren sie Jesus Christus als Propheten.
Mitunter muss Emir (so lautet sein Titel) Wagishauser auch anrücken, wenn es weniger gesittet zugeht. Wie vor zwei Jahren, als ein Ehepaar aus der Gemeinde in Darmstadt die Tochter im Bett erstickte, weil sie Sex mit ihrem Freund hatte und beide Familien eine Hochzeit ablehnten. Sechs Wochen vorher wollte Wagishauser noch schlichten: „Ich riet ihnen dazu, der Ehe der Kinder nun schnellstmöglich zuzustimmen.“ Aber das war wohl vergebene Liebesmüh und sorgte für Negativschlagzeilen über die Ahmadiyya.
In Augsburg haben sie auf den ursprünglich geplanten Gebetsturm verzichtet und lediglich ein „Zierminarett“zur neuen Moschee gebaut, die auch sonst architektonisch einiges hergibt. Mit klaren Formen, selbst an der gläsern-blauen Kuppel und den dezenten Schriften. Und mit klarer Trennung der Gebetsräume der Männer und der Frauen. Da sind sie konservativ, wollen das auch sehr bewusst nach außen zeigen. So wie sie andererseits voller Stolz die akademischen Erfolge ihrer Frauen und Mädchen verkünden.
Trotzdem (oder folgerichtig?) sitzen Männlein und Weiblein streng getrennt bei der großen Feier mit dem Kalifen im Augsburger Kongresszentrum. Die jungen Imane und Theologiestudenten, die als Gesprächspartner abgeordnet sind, haben offenbar auch auf solche Fragen passende Antworten. Überaus höflich und geschliffen, auch die Manieren.
Gut sieben Jahre dauert das Studium an den eigenen Hochschulen der Gemeinschaft. Die meisten dieser jungen Priester haben schon den Religionsunterricht besucht, den Ahmadiyya-Lehrer seit Jahren in einigen Bundesländern an öffentlichen Regelschulen geben – in deutscher Sprache. Integration gehört zu den wichtigsten Zielen der Gemeinschaft. Die Kritiker sagen, sie würden, ähnlich der Gülen-Bewegung krakenartig versuchen, ihren Einfluss zu vergrößern.
Nicht nur Christine Kamm von den Grünen beeindruckt die Feier mit raffiniert-einfachen Speisen: „Was für eine Bereicherung“, ruft die Landtagsabgeordnete in ihrem Grußwort. Vize-Bürgermeister Stefan Kiefer von der SPD nennt seine Gastgeber „Botschafter des Friedens“. Und Oberbürgermeister Kurt Griebl von der CSU wird womöglich bedauern, dass er zur Moschee-Einweihung nur seinen Stellvertreter geschickt hat.
Wo heute doch alle so glücklich sind mit diesen Muslimen in der Stadt des Religionsfriedens von 1555. Als die Christen vereinbarten, einander nicht mehr die Köpfe einzuschlagen. Und wo heute der Kuschel-Kalif mit dem malerischen Turban erklärt, wie sehr Kirchen, Synagogen und Moscheen doch gemeinsam bedroht sind, wenn die Menschen aufhören, an Gott zu glauben. „Unser Gott ist der Gott aller Menschen“, schließt Hadhrat Mirza Masroor Ahmad seine Ansprache, „ob wir gut oder schlecht waren, das wird Gott nach unserem Tod entscheiden.“