Urlaubszeit? Erkältungszeit!
Wenn der Körper zu Ferienbeginn schlapp macht, steckt dahinter oft ein ungesunder Arbeitsalltag
„Leisure Sickness“(„Freizeiterkrankung“) ist zwar keine medizinische Diagnose, aber ein Phänomen, von dem viele Beschäftigte berichten: Kaum hat das Wochenende oder gar der Urlaub begonnen, macht sich beispielsweise eine Erkältung bemerkbar. „Migräne oder kleine Infekte sind typische Symptome von ,Leisure Sickness‘“, sagt Elisabeth Rauh, Chefärztin am Fachzentrum für Psychosomatik der Schön Klinik Bad Staffelstein.
Rauh ist mit dem Phänomen vertraut: Zum einen kann es laut der Expertin sein, dass das Gehirn in der Anspannung des Alltags manche Warnsymptome einfach ausgeblendet hat – und diese nun hervortreten. Zum anderen gibt es, sehr vereinfacht gesagt, ein Wechselspiel zwischen zwei Teilen des vegetativen Nervensystems: dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Nur eines dieser beiden Systeme kann aktiviert sein. Da ist der Sympathikus, der – einfach ausgedrückt – für die Spannkraft des Körpers zuständig ist. Ist er aktiv, wird das Hormon Adrenalin ausgeschüttet, um zum Beispiel Herz und Lunge stärker zu machen. Zeitverzögert wird auch das Stresshormon Cortisol ausgestoßen, damit mehr Energie in die Leistung gehen kann.
Der Parasympathikus dagegen dämpft diese Reaktionen und bereitet den Körper auf Entspannung und Ruhe vor. Unter seiner Regie lässt die Cortisolausschüttung nach. Doch das Stresshormon hat die Arbeit des Immunsystems gedrückt. Dadurch können unterschwellige, „weggedrückte“Infekte ausbrechen, wenn der Parasympathikus übernimmt. „Die Infektanfälligkeit nach Dauerstress ist erhöht“, sagt Psychosomatikerin Rauh.
Läuft das Wechselspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus nicht geschmeidig, klappt die Entspannung nach der Arbeit weniger gut und auch das Risiko einer „Leisure Sickness“steigt. „Der Körper ist ein Schiff und kein Auto“, sagt Elisabeth Rauh. „Ruckartige Wechsel und Kehrtwenden funktionieren nicht.“
Vorbeugung ist eigentlich ganz einfach: Auch in herausfordernden oder stressigen Zeiten ist ein Wechselspiel aus Anspannung und Entspannung wichtig, auch unter der Woche. Rauh rät, auf eine gute Pausen- und Esskultur zu achten. Besonders ehrgeizigen Menschen empfiehlt Rauh Ausgleich im Alltag.
Der Psychiater und Stressforscher Michael Stark rät zu mehr Achtsamkeit im Alltag. Beim Körper können Warnzeichen Schlafstörungen sein, Verdauungsprobleme, Heißhunger, Libidoverlust und viele andere. „Diese Stresssymptome wollen einen nicht ärgern, sondern aufmerksam machen“, sagt Stark. Dann gelte es die Belastung zu begrenzen, um nicht zu Urlaubsbeginn flachzuliegen.Auch er empfiehlt, immer wieder Erholungsphasen in den Alltag einzubauen. Etwa regelmäßige Bewegung, das Handy mal einen Tag auszuschalten, in der Natur unterwegs zu sein, ein Museumsbesuch, der Freude macht – alles, was Körper und Seele aus dem Hamsterradmodus herausholt.
„Was unser Körper, unsere Seele und unser Geist am liebsten mögen, ist eine Gleichmäßigkeit“, so Elisabeth Rauh. „Wenn ich schon im Alltag für mich sorge, kann sich auch der Urlaub richtig entfalten. Mache ich das nicht, dann muss ich im Urlaub erst mal Aufräumarbeiten leisten.“
Und was, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und sich am zweiten Urlaubstag der Infekt meldet? Dann ist Gelassenheit angesagt, rät die Ärztin: „Es ist, wie es ist – ich muss das annehmen und kann wissen: Nach zwei Tagen geht es schon wieder besser.“Und zumindest Angestellte können sich, da ist die Rechtslage klar, auch im Urlaub krankschreiben lassen. Die vermeintlich vergeudeten Urlaubstage bekommt man dann zurück.