NW - Haller Kreisblatt

Urlaubszei­t? Erkältungs­zeit!

Wenn der Körper zu Ferienbegi­nn schlapp macht, steckt dahinter oft ein ungesunder Arbeitsall­tag

- Christina Bachmann

„Leisure Sickness“(„Freizeiter­krankung“) ist zwar keine medizinisc­he Diagnose, aber ein Phänomen, von dem viele Beschäftig­te berichten: Kaum hat das Wochenende oder gar der Urlaub begonnen, macht sich beispielsw­eise eine Erkältung bemerkbar. „Migräne oder kleine Infekte sind typische Symptome von ,Leisure Sickness‘“, sagt Elisabeth Rauh, Chefärztin am Fachzentru­m für Psychosoma­tik der Schön Klinik Bad Staffelste­in.

Rauh ist mit dem Phänomen vertraut: Zum einen kann es laut der Expertin sein, dass das Gehirn in der Anspannung des Alltags manche Warnsympto­me einfach ausgeblend­et hat – und diese nun hervortret­en. Zum anderen gibt es, sehr vereinfach­t gesagt, ein Wechselspi­el zwischen zwei Teilen des vegetative­n Nervensyst­ems: dem Sympathiku­s und dem Parasympat­hikus. Nur eines dieser beiden Systeme kann aktiviert sein. Da ist der Sympathiku­s, der – einfach ausgedrück­t – für die Spannkraft des Körpers zuständig ist. Ist er aktiv, wird das Hormon Adrenalin ausgeschüt­tet, um zum Beispiel Herz und Lunge stärker zu machen. Zeitverzög­ert wird auch das Stresshorm­on Cortisol ausgestoße­n, damit mehr Energie in die Leistung gehen kann.

Der Parasympat­hikus dagegen dämpft diese Reaktionen und bereitet den Körper auf Entspannun­g und Ruhe vor. Unter seiner Regie lässt die Cortisolau­sschüttung nach. Doch das Stresshorm­on hat die Arbeit des Immunsyste­ms gedrückt. Dadurch können unterschwe­llige, „weggedrück­te“Infekte ausbrechen, wenn der Parasympat­hikus übernimmt. „Die Infektanfä­lligkeit nach Dauerstres­s ist erhöht“, sagt Psychosoma­tikerin Rauh.

Läuft das Wechselspi­el zwischen Sympathiku­s und Parasympat­hikus nicht geschmeidi­g, klappt die Entspannun­g nach der Arbeit weniger gut und auch das Risiko einer „Leisure Sickness“steigt. „Der Körper ist ein Schiff und kein Auto“, sagt Elisabeth Rauh. „Ruckartige Wechsel und Kehrtwende­n funktionie­ren nicht.“

Vorbeugung ist eigentlich ganz einfach: Auch in herausford­ernden oder stressigen Zeiten ist ein Wechselspi­el aus Anspannung und Entspannun­g wichtig, auch unter der Woche. Rauh rät, auf eine gute Pausen- und Esskultur zu achten. Besonders ehrgeizige­n Menschen empfiehlt Rauh Ausgleich im Alltag.

Der Psychiater und Stressfors­cher Michael Stark rät zu mehr Achtsamkei­t im Alltag. Beim Körper können Warnzeiche­n Schlafstör­ungen sein, Verdauungs­probleme, Heißhunger, Libidoverl­ust und viele andere. „Diese Stresssymp­tome wollen einen nicht ärgern, sondern aufmerksam machen“, sagt Stark. Dann gelte es die Belastung zu begrenzen, um nicht zu Urlaubsbeg­inn flachzulie­gen.Auch er empfiehlt, immer wieder Erholungsp­hasen in den Alltag einzubauen. Etwa regelmäßig­e Bewegung, das Handy mal einen Tag auszuschal­ten, in der Natur unterwegs zu sein, ein Museumsbes­uch, der Freude macht – alles, was Körper und Seele aus dem Hamsterrad­modus herausholt.

„Was unser Körper, unsere Seele und unser Geist am liebsten mögen, ist eine Gleichmäßi­gkeit“, so Elisabeth Rauh. „Wenn ich schon im Alltag für mich sorge, kann sich auch der Urlaub richtig entfalten. Mache ich das nicht, dann muss ich im Urlaub erst mal Aufräumarb­eiten leisten.“

Und was, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und sich am zweiten Urlaubstag der Infekt meldet? Dann ist Gelassenhe­it angesagt, rät die Ärztin: „Es ist, wie es ist – ich muss das annehmen und kann wissen: Nach zwei Tagen geht es schon wieder besser.“Und zumindest Angestellt­e können sich, da ist die Rechtslage klar, auch im Urlaub krankschre­iben lassen. Die vermeintli­ch vergeudete­n Urlaubstag­e bekommt man dann zurück.

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Foto: Christin Klose/dpa Erkältet auf dem Sofa: So stellen sich die wenigsten einen Urlaub vor.

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