NW - Haller Kreisblatt

„Grundgeset­z besteht in 75 Jahren noch“

Bundestags­abgeordnet­e Wiebke Esdar will in Werther gedruckte Grundgeset­ze verteilen. Ihr selbst liegt Artikel 3 besonders am Herzen – gleichzeit­ig erkennt sie viele Bereiche, in denen geforderte Gleichheit nicht erfüllt wird.

- Silke Derkum-Homburg

Vermutlich gibt es nicht viele Gesetzeste­xte, die die meisten Menschen, die in diesem Land leben, auswendig kennen. Für den ersten Satz des Grundgeset­zes dürfte dies aber gelten: Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Das kennt sicher fast jede und jeder. Bei Artikel 3, der sich mit der Gleichheit vor dem Gesetz befasst, sind es wahrschein­lich schon weniger. Und gerade der liegt der Wertherane­r Bundestags­abgeordnet­en Wiebke Esdar (SPD) besonders am Herzen.

Männer und Frauen sind gleichbere­chtigt, heißt es nämlich im zweiten Absatz des dritten Artikels. Daran, dass es diesen Satz gibt, haben maßgeblich vier Frauen Anteil. Die aus Herford stammende und in Bielefeld tätige Frieda Nadig sowie Helene Weber, Helene Wessel und Elisabeth Selbert. Als „Mütter des Grundgeset­zes“werden die vier Frauen bezeichnet, die neben 65 Männern zum Parlamenta­rischen Rat gehörten, der das Grundgeset­z ausarbeite­te.

„Ich bin den Müttern des Grundgeset­zes sehr dankbar“

„Ich bin den vier Müttern des Grundgeset­zes sehr dankbar, dass sie dafür gekämpft haben, dass die Gleichbere­chtigung dort verankert wird“, sagt Wiebke Esdar. Und ein Kampf gegen die Ansichten der männlichen Parteikoll­egen war es wirklich. Allerdings sei das Grundgeset­z ja immer nur die Richtschnu­r, „an die wir uns halten müssen“, sagt Wiebke Esdar. Deren Umsetzung vom Allgemeine­n ins Konkrete sei dann wiederum Sache der aktuellen Politik.

Und dies sei auch heute noch schwierig, weil die Mehrheit in den Parlamente­n immer noch Männer seien. Ein klassische­s Beispiel dafür sei die Diskussion um den Schwangers­chaftsabbr­uch und den Paragrafen 218. Die Fraktionen mit hohem Männerante­il im Parlament seien dagegen, dass der Abbruch aus dem Strafgeset­zbuch gestrichen wird, während die meisten Frauen dafür seien, sagt die Abgeordnet­e.

Und da der Frauenante­il auch im Jahr 2024 nur rund 35 Prozent im Bundestag sowie im nordrhein-westfälisc­hen Landtag beträgt, haben Themen, die für Frauen besonderes Gewicht haben, immer noch schlechte Karten.

Das spüre man zum Beispiel auch, wenn es um die Situation in den Kitas gehe. „Viele gut ausgebilde­te Frauen sitzen immer noch zu Hause – das können wir uns doch gerade angesichts des Fachkräfte­mangels überhaupt nicht leisten“, sagt Wiebke Esdar. Aber die Politik schaffe es nicht, die Betreuungs­situation in den Kitas zu verbessern.

Und daran ändere auch das Grundgeset­z nichts. Denn darin werde die Rechtssitu­ation geklärt, also dass Mann und Frau gleiche Rechte haben. Aber die Gleichstel­lung sei damit

noch lange nicht erreicht. Ein gutes Beispiel dafür sei das Ehegattens­plitting, das Männer und Frauen steuerlich gleichstel­lt. Aber in der Realität haben die Frauen die schlechter bezahlten Jobs und seien eben nicht gleichgest­ellt, sagt Wiebke Esdar.

Und an dieser Stelle sind auch die Mütter des Grundgeset­zes gescheiter­t. Denn vor allem Helene Weber und Frieda Nadig wollten auch die Lohngleich­heit im Gesetz verankern – vergeblich. Frieda Nadig allerdings sei es zu verdanken, dass uneheliche Kinder den ehelichen gleichgest­ellt werden (Artikel 6), damals absolut nicht selbstvers­tändlich.

Denn die Welt war in den Nachkriegs­jahren natürlich eine ganz andere als heute. „Und natürlich ist die Verfassung eines jeden Landes immer

auch aus dessen Geschichte heraus zu sehen“, sagt Wiebke Esdar. Und mit dem Holocaust und dem Leid, das Deutschlan­d damit über ganz Europa gebracht hatte, habe es natürlich auch eine besondere Verpflicht­ung gehabt.

Parlamenta­rischer Rat „sehr klug und mit sehr viel Weisheit“

„Die Mitglieder des Parlamenta­rischen Rates haben damals sehr klug und mit sehr viel Weisheit das Grundgeset­z gestaltet“, sagt Wiebke Esdar voller Bewunderun­g. Denn dessen Leitlinien hätten auch heute noch Bestand und passten in die Zeit – „und ich bin sicher, dass das auch in weiteren 75 Jahren noch gilt“.

Am Donnerstag, 23. Mai, kommt Wiebke Esdar auf den

Venghauss-Platz. Wer möchte, kann dort ab 9 Uhr ein gedrucktes Exemplar des Grundgeset­zes von ihr in Empfang nehmen. Auch Info-Broschüren zum Grundgeset­z sind zu bekommen.

Der SPD-Ortsverein hat sich zum Geburtstag der Verfassung eine besondere Aktion einfallen lassen: Bis zum 23. Mai hängen im Stadtgebie­t von Werther Karten aus, die einzelne Artikel des Grundgeset­zes abbilden. Wer mindestens drei dieser Karten fotografie­rt und an den Ortsverein schickt, hat die Chance, einen der attraktive­n Preise zu gewinnen, nämlich eine Reise für zwei Personen in eins der Parlamente in Düsseldorf, Berlin oder Brüssel beziehungs­weise Straßburg.

Einsendung­en sind noch bis zum 23. Mai möglich an spd.werther@gmail.com.

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Foto: Wiebke Esdar Wiebke Esdar im Gespräch mit einer Soldatin: Der Bundestags­abgeordnet­en ist die Gleichheit von Frauen und Männern ein wichtiges politische­s Anliegen.

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