Altes Handwerk verhalf Geschäftsmann zum Erfolg
Dieter Lindhorst ist vielen Wertheranern mit seinen Läden ein Begriff. Der berufliche Werdegang des 84-Jährigen ist auch eine Zeitreise durch die Wirtschaftsgeschichte im Nachkriegsdeutschland.
Seine Werkstatt im Keller ist so eingerichtet, dass er eigentlich morgen weitermachen könnte. Falzbein, Bügelandruckzange, Eckeneinziehmesser und Aufweitzange liegeninverschiedenenGrößenim Werkzeugkasten. An der Wand zahlreiche kleine Kästen, in denen Druckknöpfe und Nieten fein säuberlich sortiert sind. 68 Jahre ist es her, dass Dieter Lindhorst die Anwendung all dieser Werkzeuge gelernt hat. Heute scheint der Beruf, den er 1956 ergriff, fast in Vergessenheit geraten zu sein: Täschner.
Der Begriff legt nahe, dass es bei dem Handwerk um Taschen gehenkönnte.Nichtganzfalsch, aber auch nicht ganz richtig. Nicht die Herstellung von Handtaschen hat Dieter Lindhorst einst gelernt, sondern von Portemonnaies, Brieftaschen und Schlüsselmäppchen – alles aus Leder natürlich. „Handtaschen, das war wieder ein anderer Ausbildungsberuf. Die saßen aber auch bei uns mit in der Berufsschule“, erklärt er.
15 Jahre war der Wertheraner damals alt, als er sich in Bielefeld bei der Firma Wilhelm Linnert um eine Lehrstelle bewarb. Er wollte etwas Kreatives machen und etwas, das körperlichnichtsoherausforderndwar wie viele andere Lehrberufe in der damaligen Zeit.
Mehr als 20 Betriebe bildeten aus
Täschnerwardamalseingängiger Beruf, es gab mindestens 20 Betriebe in Bielefeld und auch in Spenge, die darin ausbildeten. So wie in vielen anderen lederverarbeitenden Handwerken. Die Branche war vielschichtig. „In unserer Berufsschulklasse saßen angehende Schuhmacher, Handschuhmacher und Feintäschner“, zählt Dieter Lindhorst auf. Auch Beutler, Sattler, Riemer gehörtenzudenBerufenrundumsLeder,jederfürdieHerstellunganderer Produkte zuständig.
Gemeinsam mit Dieter Lindhorst drückte auch Dieter WinkelmanndieSchulbankimCarlSevering-Berufskolleg. Die beiden arbeiteten gemeinsam in der Firma Linnert und sind bis heute befreundet. „Insgesamt sind wir vier Männer, die damals die Lehre zusammen machten und sich immer noch heute treffen“, erzählt Dieter Winkelmann, der aus Schildesche
ebenfalls zum Pressetermin gekommen ist.
„Mein Vater hat damals in den Anker-Werken gearbeitet, es war immer alles dreckig und voller Öl dort. Das wollte ich nicht und habe mich deshalb für den sauberen Beruf des Täschners entschieden“, erklärt er. Sauber war der Beruf – und sehr anspruchsvoll, betonen beide Männer. „Wir hatten Fachzeichnen, Fachrechnen und Warenkunde“, sagt Dieter Winkelmann. „Und wir mussten die Portemonnaies und Brieftaschen selber entwerfen“, ergänzt Dieter Lindhorst.
Die Entwurfszeichnung der Portemonnaies, dann das Zuschneiden der Schablonen, das Schneiden des Leders und vor allem dessen fachgerechte Bearbeitung, das Zuschneiden der Futterstoffe und am Ende das Anbringen der Schlösser, Bügel oder Nieten – diese Arbeitsschritte hatten die Täschner bis zum fertigen Produkt abzuarbeiten. „Aber selber das Leder und das Futter zusammennähen, das durften wir nicht. Da hätten wir von den Näherinnen was an die Ohren gekriegt“, erzählt
Dieter Lindhorst lachend. Das Schärfen des Leders, das heißt, das Verdünnen der Kanten an den Stellen, die später umgelegt werden, oder das Ziehen der schnurgeraden Kantenlinie, die dem Etui die entsprechende Eleganz verleihen, war aber einzig und allein den Täschnern vorbehalten. Es war eine schöne Zeit, sagen die beiden 84-Jährigen heute rückblickend. „Wir hatten eine 45Stunden-Woche und nur zwei
Wochen Urlaub im Jahr, im dritten Lehrjahr gab es 55 Euro im Monat, aber wir waren zufrieden“, sagt Dieter Lindhorst.
Im November 1959 war die dreijährige Lehre beendet. Bis 1964 blieb Dieter Lindhorst als Geselle seinem Ausbildungsbetrieb treu. Dann zog es ihn weiter. Er habe schon damals das Gefühl gehabt, dass der Beruf des Täschners möglicherweise keine große Zukunft habe, sagt er. Eine zufällige Begegnung sollte dann die Wende bringen.
Mit Karstadt winkte die große weite Welt
„Auf der Bielefelder Bahnhofstraße traf ich einen alten Freund, der war gelernter Textilkaufmann und gerade auf dem Weg zu Karstadt, um sich dort vorzustellen“, erzählt Dieter Lindhorst. Am 23. April 1964 hatte der Warenhaus-Konzern seine Filiale in Bielefeld neu eröffnet, damals ein Ausdruck der Moderne.1.200Angestelltesollten dort arbeiten und man war auf der Suche nach Mitarbeitern. „Komm mit!“, sagte der Freund, „wir sind beide so gut, wir stellen uns dort zusammen vor.“
Gesagt, getan. Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in die Chefetage, und schon wenige Tage später hatte Dieter Lindhorst seinen ersten Arbeitstag in dem riesigen Warenhaus, in dem seine Karriere richtig an Fahrt aufnahm. In der Lederwarenabteilung waren seine Kenntnisse gefragt, und er blieb nicht lange in Bielefeld. Zuerst schickte man ihn in die piekfeine Filiale an Hamburgs Mönckebergstraße, dann nach Lüneburg, nach Hannover und schließlich wurde er Einkaufs- und Abteilungsleiter bei Karstadt in Fulda.
Zwischendurch machte er 1969 die Prüfung zum Kaufmannsgehilfen. „Ich hatte eine Sonderzulassung bekommen, damit ich die Prüfung machen durfte, ohne vorher eine Lehre absolviert zu haben“, erzählt er. Natürlich bestand er die Prüfung mit Bravour und durfte sich fortan Lederwareneinzelhandelskaufmann nennen.
1973 folgte dann der nächste Schritt: das eigene Geschäft. An der Ravensberger Straße 5 in Werther eröffnete er den eigenen Lederwarenhandel und zog auch selbst in die Böckstiegelstadt. „Leder Lindhorst“war fortaneinBegriff.DieLiebezum Material Leder und zur Qualität bemerkten auch die Kunden und schätzten die Beratung von Dieter Lindhorst.
Er zieht sein eigenes Portemonnaie aus der Tasche. „Das ist 30 Jahre alt“, sagt er. „Ich wollte immer Qualität verkaufen, auch wenn man mir sagte, dass ich dann doch nichts verdiene.“Doch offensichtlich stimmte der Verdienst. 1978 eröffnete er eine Filiale in Versmold, 1987 bauten er und seine Frau Hannelore ein neues Geschäftshaus an der Ravensberger Straße 12 in Werther, in das sie mit ihrem Laden einzogen. 1989 kam eine weitere Filiale in Halle dazu.
Dass der gelernte Täschner in seinem Laden für die Kunden sämtliche Lederwaren reparierte, war Ehrensache. „Das habe ich auch später als Rentner immer noch gemacht, wenn Freunde mit kaputten Sachen ankamen“, erzählt er. Und auf noch etwas ist er stolz: „Den ersten Schulranzen mit einem Griff, der in Deutschland verkauft wurde, habe ich gefertigt. Die Idee mit dem Griff hätte ich mir patentieren lassen sollen“, sagt er augenzwinkernd.
Selbst Ersatzteile sind nicht mehr zu bekommen
1998, 25 Jahre nach der Eröffnung ihres Geschäfts, verkauften die Lindhorsts ihren Laden und setzten sich zur Ruhe. In der Werkstatt im Keller arbeitet Dieter Lindhorst ab und zu noch, wenn er Ledersachen für Freunde repariert. „Aber inzwischen geht das auch nicht mehr, weil es nirgendwo mehr die Ersatzteile und den speziellen Leim zu bekommen gibt.“
Der Beruf des Täschners, den er einst gelernt hat, lernen nur noch sehr wenige. In der Handwerkskammer OstwestfalenLippe ist kein Ausbildungsbetrieb für Feintäschner im Kammerbezirk bekannt. „Wir haben früher in einem Dreierteam 100 Börsen in zwei Tagen produziert“, sagt Dieter Lindhorst. Doch inzwischen bekommt man Portemonnaies für fünf Euro. „Die werden alle in China gemacht“, sagt Lindhorst, denn bis heute seien viele Arbeitsschritte immer noch nur per Hand auszuführen. „Und das kann hier heute niemand mehr bezahlen.“