Von Kleidung befreit zurück zur Natur
Die Ausstellung „Unter Nackten. Freikörperkultur 1890-1970“in Hannover zeigt die Entwicklung der FKK-Bewegung. Darin sind auch Dokumente eines Bielefelder Vereins zu sehen.
Sie tanzen, machen gymnastische Übungen, werfen sich Medizinbälle zu, vergnügen sich beim Baden, unter freiem Himmel – und sind nackt. FotosmitsolchenMotivensind in der gerade eröffneten Ausstellung „Unter Nackten. Freikörperkultur 1890-1970“im Museum Schloss Herrenhausen in Hannover zu sehen. Eine Ausstellung, die auch Bücher, Zeitschriften, Filmausschnitte und Texttafeln zeigt, mit Dokumenten aus OstwestfalenLippe.
Deutlich wird: Die in vielen Städten im Kaiserreich um die Jahrhundertwende gegründeten Freikörperkulturvereine sind Teil einer Bewegung „Zurück zur Natur“sowie Reaktion auf Industrialisierung und Verstädterung. Dabei bezieht man sich je nach weltanschaulicher Ausrichtung bei den Vorbildern auf das antike Griechenland, das Germanentum oder auf biblische Motive.
Durchtrainierte Körper sportlicher junger Menschen – so inszeniert sich die FKK-Bewegung in ihren Zeitschriften, die in Vitrinen ausliegen. Dass die Mehrheit der Nackten diesem Idealbild nicht entspricht, wird nicht verschwiegen: Die Fotografin Julia Gaes hat in den letzten Jahren ältere Nudisten auf der Couch, beim Bowling oder im Gewächshaus abgelichtet, die sich nicht schämen, ihren Bauch und ihre Falten zu zeigen.
Was ist eigentlich nackt? Eine nur scheinbar simple Frage. Die berühmte Tänzerin Isadora Duncan (1877-1927) galt einst als nackt und anstößig, nur weil sie barfuß tanzte. In der FKK-Bewegung waren noch Anfang des 20. Jahrhunderts die Geschlechter getrennt. Frauen trugen beim Luftbaden dünne, lange Hemden, die Männer Badehosen, nur Kinder liefen ohne Bekleidung herum.
In den Luftbadeanstalten – abgezäunte Gelände unter freiem Himmel – gab es für die Mitglieder zur Erholung und Ertüchtigung Turngeräte, Holzpritschen, Liegestühle, Sitzbadewannen, Duschen und Sandkästen.1951stießderFilm „Die Sünderin“auf großes Interesse und gleichzeitig vor allem bei der evangelischen und katholischen Kirche auf Empörung, weil die Hauptdarstellerin Hildegard Knef eine Prostituierte verkörperte und ihr blanker Busen ganz kurz zu sehen war.
„Die katholische Kirche war der Freikörperkultur sehr ablehnend gegenüber eingestellt, hat sie als unmoralisch verurteilt und sie mit Sexualität in Verbindung gebracht“, sagt Ausstellungskuratorin Cornelia Regin, Leiterin des Stadtarchivs Hannover. In eher protestantisch geprägten Städten habe es deutlich mehr FKKVereine gegeben. Anfang der 30er Jahre trafen sich auch in Bielefeld Mitglieder der Geländegemeinschaft unter dem Motto „Wochenend und Sonnenschein“.
Unter den Nationalsozialisten wurden die Gruppen aufgelöst. Sie verloren ihre Vereinsgelände und mussten sich dem Kampfring für völkische Freikörperkultur anschließen, der sich später in Bund für Leibeszucht – Gemeinschaft für naturnahe und arteigene Lebensgestaltung umbenannte. Ein 1933 verfügtes FKK-Verbot wurde mit der Zeit immer weniger kontrolliert, Nacktbaden und Nacktgymnastik geduldet und ab 1942 wieder erlaubt, wobei Körperertüchtigung im Vordergrund stand und von den Nudisten ein Ariernachweis verlangt wurde.DieausgestelltenZeitschriften aus dieser Zeit zeigen immer wieder nackte, starke Körper mit blonden Haaren und blauen Augen.
Zu den herausragenden Exponaten gehört eine nachgebaute Lufthütte, in der sich einst Kurgäste im Naturheilsanatorium Jungborn im Eckertal im Harz erholten. Der Schriftsteller Franz Kafka war im Juli 1912 in so einer offenen Hütte untergebracht – durch Licht, Luft und Sonne und das Abstreifen der einengenden Kleidung sollte der geschwächte Körper der Stadtmenschen gesund werden, denen die Schulmedizin nicht helfen konnte. Bei Gästen galt Kafka, dem die nackten Menschen suspekt waren, als „der Mann mit den Schwimmhosen“. An seinen Aufenthalt im Sanatorium erinnert er sich so: „Hie und da bekomme ich leichte,oberflächlicheÜbelkeiten, wenn ich, meistens allerdings in einiger Entfernung, diese gänzlich Nackten langsam zwischen den Bäumen sich vorbeibewegen sehe. Ihr Laufen macht es nicht besser. Auch alte Herren, die nackt über Heuhaufen springen, gefallen mir nicht.“
Auch die Frage „Ist Nacktheit strafbar?“behandelt die anschaulicheAusstellung.1932 wurde das öffentliche Nacktbaden untersagt – ein Verbot, das 1942 aufgehoben wurde mit dem Zusatz, dass die Nackten von Unbeteiligten nicht gesehen werden durften. In den westdeutschen Bundesländern gab es unterschiedlich starke Beschränkungen. In der DDR galt ab 1956 die Vorschrift, dass das Baden ohne Bekleidung von den örtlichen Räten genehmigt und gekennzeichnet werden muss, eine Regel, die nicht für Kinder unter zehn Jahren galt.
„Baden ohne“war in der DDR deutlich verbreiteter. In der Bundesrepublik waren die Nudisten stärker in Vereinen organisiert, wobei vor 50 Jahren dreimal so viel Mitglieder wieheute(34.000)gezähltwurden. In der Ausstellung wird die Satzung des „Vereins für Gymnastik Bielefeld“aus dem Jahr 1964 präsentiert, der sich die „geistige und körperliche Gesundung“zum Ziel gesetzt hat. Dazu sollen in erster Linie die „Freikörperkultur ohne Trennung der Geschlechter zur Pflege der Gymnastik, des Schwimmens, des Wanderund Wintersports“und die „Ausübung des Volkstanzes“beitragen. Außerdem will sich der Verein, der sich ausdrücklich als unpolitisch und ohne religiöse Bindung bezeichnet, für die „soziale Fürsorge zur Schaffung gesunder Lebens-, Wohn- und Arbeitsverhältnisse“einsetzen.
Zu sehen bis zum 1. September, täglich 11-18 Uhr.