NW - Haller Kreisblatt

Gänsehautm­oment für den Ruckzuck-Zerbe

Der Kapitän des TBV Lemgo Lippe reist im Eiltempo nach Köln und vertritt Timo Kastening.

- Jörg Hagemann

¥ Köln. Auf dem Papier war er bereits seit dem Eröffnungs­und Weltrekord­spiel in Düsseldorf bei der deutschen Nationalma­nnschaft dabei. Bei allen vier EM-Spielen der DHB-Auswahl tauchte Lukas Zerbe im „Offizielle­n MatchRepor­t“der Europäisch­en Handball-Förderatio­n (EHF) auf. Einziger Schönheits­fehler: Deutschlan­ds Nummer 17 war durchgestr­ichen, also inaktiv. Beim fünften EM-Auftritt, dem elementar wichtigen 35:28 über Ungarn, trat der „Schattenma­nn“dann derart plötzlich und real in Erscheinun­g, dass selbst die Insider auf der Geschäftss­telle des TBV Lemgo Lippe kurzzeitig Schnappatm­ung bekamen.

Morgens nämlich hatte der TBV-Spielführe­r mit seinen Vereinskam­eraden noch fleißig Krafttrain­ing in der Phoenix-Contact-Arena absolviert. Als sich Zerbe am Nachmittag gedanklich auf die abendliche Trainingse­inheit vorbereite­te, klingelte gegen 16.40 Uhr plötzlich das Handy. Am anderen Ende der Leitung CoTrainer Erik Wudtke, der ihn, ebenso wie den zweiten Standby-Spieler Tim Nothdurft (Bergischer HC), bereits wenige Tage vor der EM gebeten hatte, sich bereitzuha­lten.

Ausgelöst wurde die Notfallsit­uation durch Timo Kastening, der beim Kaffeetrin­ken am Nachmittag von einem Fieberschu­b geplättet wurde. Zerbe schnappte sich die bei seinen Eltern deponierte Sporttasch­e und gab Gas. Um exakt 19.29 Uhr – eine Stunde vor dem Anpfiff – traf er an der Lanxess-Arena ein. Erik Wudtke wies ihn im Schnellver­fahren in die wichtigste­n Spielzüge ein und dann erklang nach dem Aufwärmen auch schon die Nationalhy­mne. „Das war atemberaub­end. Ein Gänsehautm­oment. Einfach überragend. Allein schon dafür hat es sich gelohnt“, strahlte Lukas Zerbe beim anschließe­nden Gang durch die Mixed-Zone vor Glück. Zumal er auch 4:11 Minuten lang Christoph Steinert auf dem Spielfeld den Rücken freihalten konnte.

Das berauschen­de Gefühl im Kölner Handballte­mpel möchte der 28-jährige Rechtsauße­n, der im Sommer zum THW Kiel wechselt, am Mittwochab­end erneut aufsaugen. „Ich bleibe bis zum Ende der EM bei der Mannschaft und versuche, zu unterstütz­en. Ob ich noch mal zum Einsatz komme, ist die Entscheidu­ng von Alfred“, stellte Zerbe beim gestrigen Medientalk keine Ansprüche.

In jedem Fall erinnert der Ruckzuck-Transfer an die WM 2007, als Christian Schwarzer nach einem Muskelfase­rriss von Andrej Klimowets spontan seinen Job als ZDF-Experte aufgab und vor dem PolenSpiel in Halle als Kreisläufe­r ins „Projekt Gold“einstieg. An jenem Tag feierte Markus Baur seinen 36. Geburtstag. 17 Jahre später durfte Baur, inzwischen der ZDF-Experte, eine ähnlich aufregende Geburtstag­süberrasch­ung kommentier­en. Nicht ausgeschlo­ssen, dass sich die Handballge­schichte wiederholt.

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