Da flattert einem doch die Manchesterhose
Les nouveaux mots du dico : miroir de notre société.
Ne dit-on pas des mots qu’ils sont le miroir de notre époque ? La 26e édition du Duden de l’orthographe allemande comporte près de 5000 nouveaux mots qui reflètent les dernières évolutions de la langue de Goethe et viennent enrichir le déjà très imposant dictionnaire.
Fake News“gehört zu den 5000 neuen Wörtern, die in die gerade erschienene siebenundzwanzigste Auflage des Rechtschreib-Dudens aufgenommen wurden. Der Ausdruck, so erfährt man, bezeichnet „in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen“. Ein schönes Beispiel für Falschmeldungen – wenn auch nicht in manipulativer Absicht – lieferte der mediale Rummel, den das Erscheinen der Duden-Neuauflage entfachte. So las man, dass zu den „rechtspopulistischen Propagandabegriffen“, die Aufnahme in den neuen Duden gefunden hätten, neben „Lügenpresse“auch „Volksverräter“gehöre. Doch während
die „Lügenpresse“tatsächlich als Stichwort verzeichnet ist, findet man „Volksverräter“im neuen Duden nur auf der Innenseite des hinteren Buchdeckels in der Liste der „Unwörter“, in die der Ausdruck im vergangenen Jahr gelangte.
2. Über die Frage, warum der angekündigte „Volksverräter“es doch nicht in den Duden geschafft hat, gab es gleich Spekulation. Habe jemand in der Duden-Redaktion die Notbremse gezogen, weil es eindeutig um ein „Naziwort“handle? Doch wer über den Duden-Rand hin-
ausschaut, stellt schnell fest, dass die Begriffskarriere des „Volksverräters“bereits während der Französischen Revolution begann. „Die öffentliche Meinung verurteilt, noch schneller als das Revolutionstribunal, jeden Volksverräter“, schrieb der Jakobiner und Weltreisende Georg Forster. Auch Georg Büchner geißelte die Volksverräter und Gottfried Kellers republikanischer Schneidermeister Hediger macht Jagd „auf Aristokraten und Jesuiten, auf Verfassungsbrecher und Volksverräter“.
EIN VORNEHMLICH ORTHOGRAPHISCHES NACHSCHLAGEWERK
3. Vor diesem Hintergrund mag man es bedauern, dass das Wort nicht in den Duden gelangt ist, denn die Wortgeschichte wirft ein interessantes Licht auf die Quellen, aus denen sich der Populismus in seinen verschiedenen Spielarten speist. Eine so informierte Sprachkritik wäre gewiss erhellender als der Abwehrzauber durch den Bannstrahl der „Unwort“-Richter. Allerdings könnte der neue Rechtschreib-Duden eine solche Sprachaufklärung nicht wirklich leisten. Im Kern nämlich ist dieses Buch das geblieben, was es zu Konrad Dudens Zeiten war und was auch der Titel verheißt: ein vornehmlich orthographisches Nachschlagewerk.
4. Die knappen semantischen Angaben und die noch spärlicheren historischen Informationen machen ihn nicht zu einem Bedeutungswörterbuch. Wer zum Beispiel das neu aufgenommene Wort „Ick“/„Icke“nachschlägt, bekommt den Eindruck, dass es sich um einen Berliner Ausdruck handelt, der in die allgemeine Umgangs- sprache gelangt ist. Dass es in Wirklichkeit ein plattdeutsches Wort ist, das sich – zusammen mit „dit“und „kieken“– im Berliner Stadtdialekt gehalten hat, erfährt man nicht. Freilich erhebt der Verlag offiziell auch gar nicht den Anspruch, mit dem Rechtschreib-Duden ein umfassend informierendes Wörterbuch zu liefern. Aber er erweckt diesen Eindruck, indem er werbewirksam die sprachpolitische Bedeutung der alle paar Jahre erscheinenden Neuauflagen suggeriert. Ein großer Teil der neuen Wörter gelangt nur wegen ihrer öffentlichen Resonanz, nicht etwa aus orthographischen Gründen, in den Duden: Wie „Kopftuchstreit“, „Lügenpresse“oder „Schmähgedicht“geschrieben werden, weiß schließlich jeder, der die Bestandteile dieser Zusammensetzungen schreiben kann.
STATISTISCHE ERGEBNISSE ALS GRUNDLAGE
5. Beim medialen Auftrieb, den jede Neuauflage zuverlässig hervorruft, geht es vor allem darum, welche Wörter neu aufgenommen wurden – als würden sie erst durch dieses Gütesiegel öffentliche Bedeutung, ja ihren Existenznachweis erhalten. Mittlerweile sieht sich die Redaktion schon genötigt, darauf hinzuweisen, dass auch Wörter, die nicht im Duden stehen, durchaus gebräuchlich und sogar korrekt sein können.
6. Dieser übersteigerten Autorität, die er in der Öffentlichkeit genießt, verdankt der gedruckte Duden die trotz des großen Nachschlagewerkesterbens (ein Wortkandidat für die nächste Auflage?) immer noch hervorragenden
„Emoji“, „Facebook“und das Verb „tindern“gehören auch zum neuen Duden.
Verkaufszahlen. Dabei betont die Duden-Redaktion zu Recht, dass sie den Wortschatz nicht prägt, sondern lediglich seine Entwicklungen spiegelt: Novitäten gelangen erst dann zwischen die gelben Buchdeckel, wenn die Auswertung umfangreicher Textdatenbanken ihren häufigen Gebrauch nachweist.
7. Lesenswert ist der Abschnitt „Sprache in Zahlen“, der auf die computerlinguistischen Forschungen eingeht, deren statistische Ergebnisse die Grundlage für die Wortauswahl der Duden-Redaktion bieten. Dass jede neue Auflage ihre Vorgängerin in der Zahl der Stichwörter übertrifft, liegt allerdings nicht nur am stetig anschwellenden Vokabular des Internets und anderer Modernitätstreiber, sondern auch daran, dass die Redaktion die Modewörter von gestern nicht mit derselben Konsequenz tilgt, mit der sie die von heute aufnimmt.
8. So finden sich taufrische Neuzugänge wie „postfaktisch“, „Selfie“, „Livestream“, „entfreunden“oder „Veggie“Seit an Seit neben den Retrocharme versprühenden Trendwörtern von einst wie „paletti“, „Fete“oder „Hotpants“. Und dass die „Disco“als „Tanzlokal mit CD- oder Schallplattenmusik“definiert wird, passt aufs Schönste zum Gilb, der auch dieses Wort bereits überzieht. Ja, selbst die „Windjacke“, die „Nieten-“und die „Manchesterhose“haben ihr Heimatrecht noch nicht verloren. Einen Knick in der Wortwachstumskurve gab es in der Geschichte des Dudens nur in den sechziger Jahren. Damals wurden in seiner DDR-Ausgabe mehr Wörter gestrichen als neu hinzukamen. Das hatte keine politischen Gründe. Vielmehr strebte die Redaktion das Ideal des schlanken Rechtschreibwörterbuchs an, das die rein orthographischen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Eine Rückkehr zu diesem Kurs wird es auf absehbare Zeit nicht geben, denn die Rhetorik der quantitativen Superlative ist seit Jahrzehnten zentraler Bestandteil der Duden-Verkaufsstrategie.
WENIGE ÄNDERUNGEN IN DER ORTHOGRAPHIE
9. Sollte man sich den neuen Duden anschaffen? Wer ein Wörterbuch besitzt, das in den vergangenen zwölf Jahren erschienen ist und die Revisionen der Orthographiereform durch den „Rat für deutsche Rechtschreibung“berücksichtigt, kann darauf verzichten. Die wenigen aktuellen Änderungen in der Orthographie – wer „Majonäse“statt „Mayonnaise“oder „Anschovis“statt „Anchovis“schreibt, verletzt ab sofort die amtlichen Regeln – sind marginal und kaum relevant. Und Neologismen wie „Emoji“, „Kopfkino“oder „Drohnenangriff“bekommt man auch ohne lexikographische Unterstützung in den Griff – sprachlich jedenfalls.
10. Wer hingegen nur ein älteres oder gar kein Wörterbuch hat, der kann mit dem neuen Duden ein solides Nachschlagewerk erwerben, das ihn orthographisch auf den aktuellen Stand bringt und neben dem Wörterverzeichnis auch einen umfangreichen Regelteil enthält. In Kauf nehmen muss er, dass dieser Duden, wie seine Vorgänger auch, ein Kompromiss ist – ein Werk, das den Anspruch des Volkswörterbuchs, mit dem es daherkommt, nur zum Teil erfüllt, weil es mehr Wert auf die bloße Präsenz der Wörter als auf ihre Erläuterung legt.