Neue Kommission braucht neue Ansätze
Präsidentin von der Leyen sollte neben den großen Herausforderungen auch die Alltagssorgen der Bürger im Blick haben.
Ursula von der Leyen hat ihr Ziel erreicht: Das EU-Parlament in Straßburg hat mehrheitlich für eine zweite Amtszeit der Deutschen an der Spitze der Europäischen Kommission gestimmt.
Das sichert der Union erst einmal die Handlungsfähigkeit, die sie braucht, um die dringenden Aufgaben abzuarbeiten.
Die Schwerpunkte der kommenden fünf Jahre liegen auf der Hand. Europa muss für seine Sicherheit und Verteidigung künftig selbst geradestehen. Dafür werden Milliardeninvestitionen in die Aufrüstung fließen. Unternehmen und Landwirtschaft sind, wie schon lang versprochen, von unnötiger Bürokratie zu entlasten. Zugleich muss die Kommission den grünen Wandel vorantreiben, ohne dabei die europäische Industrie im Wettbewerb gegen die USA und China gegen die Wand zu fahren.
Vieles kann nur „gemeinsam“gelingen. Nicht umsonst kam das Wort 22 Mal in von der Leyens Rede an die Abgeordneten vor. Zum Beispiel bei der Bewältigung der Klimakrise, wo die EU-27 zusammen mehr erreichen als in nationalen Alleingängen. Das galt auch in der Coronapandemie. Die Kommission organisierte für alle die Beschaffung von Impfstoffen gegen das Virus. Allerdings hat das anfangs gefeierte Vorgehen erhebliche Kratzer abbekommen, spätestens seit der Europäische Gerichtshof die Intransparenz bei den Geschäften mit den Pharmakonzernen verurteilt hat. Der Entscheid ist Wasser auf die Mühlen der Populisten, die gegen die „Brüsseler Eliten“wettern. Die neue Kommission täte gut daran, die nötigen Schlüsse aus dem Urteil zu ziehen: Wenn Milliarden an Steuergeldern im Eilverfahren ausgegeben werden, haben sich die Bürgerinnen und Bürger im Gegenzug ein Maximum an Offenheit darüber verdient, wie es dazu kam.
Die Kommission von der Leyen II sollte auch vor den Alltagssorgen der Menschen nicht die Augen verschließen. Milliardeninvestitionen ins Militär sind angesichts der russischen Aggression zwar wichtiger denn je. Sie lindern aber die Probleme nicht, die sich für zig Millionen Europäerinnen und Europäer durch die Inflation der vergangenen beiden Jahre verschärft haben. Die Sozialdemokraten haben etwa gefordert, dem mit einem Kommissar für leistbares Wohnen Rechnung zu tragen. Das ist zwar populistisch, da die Kommission für den Wohnbau in den Mitgliedsstaaten nicht zuständig ist. Dass die Präsidentin die Forderung dennoch aufgreifen will, ist aber ein Signal dafür, dass auf EU-Ebene neben Wirtschafts- auch Sozialpolitik einen Stellenwert hat.