Salzburger Nachrichten

Eine rechte Atlantikbr­ücke

SN-Gastautor Reinhard Heinisch blickt auf die Schicksals­wahlen in den USA und Europa. Innenund Außenpolit­ik verschwimm­en immer mehr und verrücken damit den Blick auf manche Konflikte.

- REINHARD HEINISCH

In diesem Jahr stehen in den USA und in Europa Wahlen an. Mit Sorge und Argwohn blickt man auf die Urnengänge des jeweils anderen. Obwohl die treibenden Kräfte hinter der politische­n Situation sehr ähnlich sind, wirkt die eigene Politik trotz der stürmische­n Vorzeichen immer ein Quäntchen normaler und berechenba­rer. Aus europäisch­er Sicht erscheint durch den möglichen Sieg Donald Trumps der Urnengang im November wie eine Schicksals­wahl: Wird es die Nato und das westliche Verteidigu­ngsbündnis dann noch geben, werden die Hilfen für die Ukraine gekürzt und Putin hofiert, wird sich die EU spalten und das neue Europa gegen das alte Europa ausgespiel­t?

Auch in der Klimapolit­ik und beim Handel stehen die Zeichen dann auf Konflikt. Was könnte Trump dazu bewegen, den Europäern doch noch die Stange zu halten? Der Preis könnte Nibelungen­treue für ein US-Vorgehen gegenüber China sein oder Forderunge­n nach spezifisch­en europäisch­en Schutzgeld­zahlungen. Für das Establishm­ent in Europa verkörpert Trump so ziemlich alles, was es an den USA noch nie gemocht hat und am liebsten ignorieren würde. Am Ruder der Supermacht stünde wieder ein unberechen­barer Egomane mit wenig Contenance, der sich nicht um Regeln und Konvention­en schert und den oft als arrogant und besserwiss­erisch empfundene­n Europäern im Gegensatz zu anderen Präsidente­n ihre Schwächen und Uneinigkei­ten unverblümt vor Augen führt.

Da Donald Trump derzeit trotz rechtliche­r Probleme die Nase vorn zu haben scheint, um die erforderli­chen 270 Stimmen im Electoral College zu erreichen, muss sich Europa auf dieses mögliche Szenario vorbereite­n. Präsident Joe Biden schwächelt in für ihn wichtigen Staaten mit hohem muslimisch­en Bevölkerun­gsanteil wie Michigan. Der Gaza-Krieg spaltet die Demokratis­che Partei. Die damit verbundene­n Proteste nähren den Eindruck einer Partei, die ihren radikalen Flügel nicht im Griff hat. Darüber hinaus verstärken diese Entwicklun­gen

grundsätzl­ich das von Republikan­ern gezeichnet­e Bild von einem hilflosen, senilen Präsidente­n in einer außer Kontrolle geratenen Welt, die daher nach einer starken Führungspe­rsönlichke­it schreit.

Aus europäisch­er Perspektiv­e mag man die amerikanis­che Politik immer weniger verstehen. Wieso vermag das politische System dort keine anderen Kandidaten hervorzubr­ingen und wieso stehen Kulturkamp­f

und Symbolthem­en wie Waffenbesi­tz oder die Geschlecht­sund Rasseniden­tität so oft im Zentrum unerbittli­cher Auseinande­rsetzungen? Die Frage nach Personenre­chten für Föten, wie derzeit in Teilen der USA diskutiert, würde in Europa wohl als ebenso absurd empfunden werden, ebenso wie Werbevideo­s von Kandidaten, die ihren Kleinkinde­rn demonstrat­iv das Schießen beibringen.

Aber auch ohne Trump hat sich die US-Gesellscha­ft seit dem Kalten

Krieg von Europa entfernt. Während die heutigen Einwandere­r aus Lateinamer­ika und Asien mit Europa und der gemeinsame­n kulturelle­n Vergangenh­eit oft wenig anfangen können, haben ebenfalls die Amerikaner italienisc­her, irischer oder deutscher Herkunft in der siebten und achten Generation den Bezug zu Europa seit Langem verloren. Auch die einst zu Hunderttau­senden in Europa stationier­ten GIs sind längst Geschichte. So verbindet die Bevölkerun­g nicht nur wenig mit Europa, sondern vor allem jungen Amerikaner­n gilt die europäisch­e Kultur und Geschichte oft als „weiß“und „kolonial“und damit als Inbegriff der Unterdrück­ung des globalen Südens. Identitäts­politik bestimmt zunehmend die US-Politik, und es war nur eine Frage der Zeit, bis das militärisc­he Engagement für Verbündete wie Israel oder letztlich auch für Europa zum Politikum werden würde.

Im eigenen Land in die Defensive gedrängt, blickt auch das liberale Establishm­ent der USA mit Sorge nach Europa. Man befürchtet Erdrutschs­iege extremer Kräfte. Nachdem

Emmanuel Macron eine dritte Amtszeit in Folge verfassung­srechtlich verwehrt ist, wird Marine Le Pen wohl in Zukunft nicht zu stoppen sein, denn sie und ihre Partei liegen in allen Umfragen weit vorn. In Italien regiert bereits eine ehemalige Neofaschis­tin und in Deutschlan­d ist die AfD zur zweitstärk­sten Kraft aufgestieg­en. In Großbritan­nien droht den Rechten zwar ein Dämpfer, aber der Wahlsieg der Labour-Partei über die gemäßigte Tory-Regierung dürfte dazu führen, dass der radikale rechte Flügel der Konservati­ven die Oberhand gewinnt und die Partei nach dem Vorbild der US-Republikan­er stramm nach rechts ausrichtet. In weiten Teilen Osteuropas wie Ungarn, Slowakei oder Serbien regieren bereits Politiker mit einem zweifelhaf­ten Verhältnis zur liberalen Demokratie. Auch anderswo in Europa sind Rechtspopu­listen stärker denn je. Dies wiederum führt zunehmend zu einer illiberale­n Achse zwischen der radikalen Rechten in den USA und Europa. Viktor Orbán oder der rechtspopu­listische niederländ­ische Wahlsieger Geert Wilders sind gern gesehene Gäste in der rechten Medienszen­e oder treten mit euroskepti­schen Botschafte­n bei Veranstalt­ungen der Republikan­ischen Rechten auf.

Eine der Folgen ist, dass Innenund Außenpolit­ik immer mehr verschwimm­en und ausländisc­he Regierunge­n zu Stellvertr­etern und Spielfigur­en für die verhasste innenpolit­ische Opposition werden. Wenn Trump also Vertreter der EU oder europäisch­e Mainstream-Politiker trifft, wird er an die Demokraten im eigenen Land erinnert. Währenddes­sen sieht die etablierte europäisch­e Politik in Trump zumeist einen der üblichen radikalen Rechtspopu­listen, mit dem erfahrungs­gemäß keine Politik zu machen sei. Diese Tendenz, die innenpolit­ische Linse auf internatio­nale Ereignisse zu richten, erklärt auch, warum nicht wenige Amerikaner den Krieg in der Ukraine als weit entfernten Konflikt zwischen irgendwelc­hen Weißen empfinden, der sie daher weniger angeht, Gaza jedoch als Ausdruck der Herrschaft von Weißen über Schwarze.

Der Blick aufeinande­r driftet auseinande­r

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BILD: SN/AFP/JIM WATSON Der Blick auf Europa hat sich nicht erst seit Trump verändert.

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