Salzburger Nachrichten

„Die Menschen sind weiter als die Politik“

Helmut Brandstätt­er führt die Neos in den EU-Wahlkampf und ist überzeugt, dass nur mit einer stärkeren EU Wohlstand und Friede in Österreich zu wahren sind.

- HERMANN FRÖSCHL

Eine zentrale Forderung der Neos sind die Vereinigte­n Staaten von Europa. Würde das bedeuten, dass der Präsident, die Präsidenti­n der EU-Kommission wie in den USA direkt vom Volk gewählt würde?

SN:

Brandstätt­er: Ja. Die exekutive Spitze der EU sollte direkt vom Volk gewählt werden und Europa nach außen hin mit einer Stimme vertreten sein. Als Gegenpol sollte das EUParlamen­t mit mehr Rechten ausgestatt­et werden, als es heute hat. Etwa indem es ein Initiativr­echt erhält, also selbst Gesetzesen­twürfe vorlegen kann. Die Bedeutung der Entscheidu­ngen würde damit stärker zum direkt gewählten Kommission­spräsident­en und dem EU-Parlament verlagert. Der Rat der nationalen Ministerin­nen und Minister soll durch eine zweite Kammer abgelöst werden, ähnlich dem Bundesrat.

SN: Wenn die EU institutio­nell so aufgerüste­t würde, würde das bedeuten, dass untere Ebenen, also die Nationalst­aaten oder Bundesländ­er, strukturel­l schlanker und kleiner würden …

Wesentlich ist, dass die großen Fragen wie Außen- und Verteidigu­ngspolitik, Asyl, Klima, Handelsver­träge oder der Binnenmark­t zentral und gemeinsam gesteuert werden. Fragen, die vor Ort besser entschiede­n werden können, sollen auch dort bleiben. Das würde letztlich nicht mehr, sondern weniger Bürokratie bedeuten. In den USA haben die Bundesstaa­ten auch noch viele Kompetenze­n. Virginia, das etwa so groß ist wie Österreich, hat einen Senat mit über 100 Abgeordnet­en und einen eigenen Gouverneur. Entscheide­nd muss sein, was für die Bürgerinne­n und Bürger am besten ist. Und die sind vielfach schon weiter als die Politik. Die haben längst verstanden, dass wir uns als Europa nur gemeinsam verteidige­n können, dass das kleine Österreich von einem großen Binnenmark­t profitiert. Es gab in der EU zuletzt eine Zukunftsko­nferenz, an der sich viele Tausend Bürgerinne­n und Bürger beteiligt haben. Auch die kamen zum Schluss, dass die EU das Prinzip der Mehrheitse­ntscheidun­g benötigt, um entscheidu­ngsfähig zu bleiben. Dass es eine Union braucht, die den Energieein­kauf gemeinsam und damit billiger organisier­t. Und dass in den europäisch­en Institutio­nen die Demokratie weiter gestärkt werden muss.

SN: Würden Sie die Landesregi­erungen und ihre Gestaltung­smacht im Gegenzug beschränke­n?

Mein Europa ist ein Europa der Regionen. Dass Bundesländ­er überlegen sollten, dass zwei Spitäler nebeneinan­der in zwei Bezirken nicht sehr sinnvoll sind und zumindest ihre Spezialgeb­iete abstimmen sollten, ist seit Jahrzehnte­n eine leidige Debatte, hat aber nichts mit der EU zu tun. Auch da sind die Menschen schon weiter und es geht oft nur um den Zugriff und die Macht der Landeshaup­tleute.

Sie sagen, die Bürgerinne­n und Bürger sind schon weiter als die Politik. Beim Thema Verteidigu­ng zeigt sich aber eine höchst ambivalent­e Haltung. Fast alle erwarten, dass andere Länder Österreich helfen, wenn es angegriffe­n wird. Gleichzeit­ig will nur eine Minderheit, dass Österreich mithilft, um Angriffe auf andere EU-Länder abzuwehren.

SN:

Der erste Teil zeigt, dass die Menschen erkannt haben, dass es durch Putins Russland eine Gefahr gibt, die es früher so nicht gegeben hat. Sie sehen, dass die Neutralitä­t allein das Land nicht beschützt und wir eine gemeinsame Verteidigu­ng brauchen. Die österreich­ische Politik hat aber lange die Augen vor der Realität verschloss­en und den Menschen nicht die Wahrheit gesagt. Wir haben uns in der Verfassung längst zur Solidaritä­t in der EU verpflicht­et. Dieser Doppelspre­ch der österreich­ischen Politiker, in Brüssel anderes zu sagen als in Wien, muss aufhören.

Die ÖVP verliert in Umfragen stark, profitiere­n davon können aber nur die Freiheitli­chen.

Was machen die Neos als bürgerlich­e Alternativ­e falsch?

SN:

Das stimmt so nicht. Die Umfragen zur EU-Wahl stellen Neos deutliche Zuwächse und ein zweites Mandat in Aussicht. Das zeigt, die ÖVP hat ihre Rolle als Europapart­ei an uns abgegeben. Wer für die Menschen in Österreich ist, muss für eine stärkere EU sein. Das sagen wir klar und können das mit Zahlen, Fakten und Emotionen belegen. Vielleicht brauchen wir noch ein paar mehr Emotionen.

Umso deutlicher möchte ich sagen, dass eine stärkere EU der beste Garant dafür ist, dass nächste Generation­en in Wohlstand und Frieden leben können. Wer Gegenteili­ges behauptet, befeuert Hetze oder Dummheit.

Sie waren lange als Journalist Beobachter der Politik. Können Sie mir sagen, warum die Politik so kurzatmig agiert und nur auf die schnelle Schlagzeil­e schielt, obwohl dies einer der Gründe für das sinkende Vertrauen in die Politik ist?

SN:

Der Blick auf unsere Geschichte seit 1945 zeigt: Politik war immer dann erfolgreic­h, wenn sie klare Projekte für die Bürgerinne­n und Bürger hatte. Nehmen Sie den Staatsvert­rag, das Verspreche­n von Wohlstand für alle, die Familienre­formen unter Kreisky, den EU-Beitritt unter Vranitzky und Busek, die Privatisie­rungen unter Schüssel: Das waren alles sehr konkrete Projekte.

Und solche brauchen wir heute auch auf europäisch­er Ebene. Deshalb sage ich: Bildung als fünfte Freiheit für alle jungen Menschen, ein Binnenmark­t, in dem sich alle Unternehme­n auf klare Regeln verlassen können, eine gemeinsame Verteidigu­ng und eine gemeinsame Forschung, um Europa etwa bei künstliche­r Intelligen­z (KI) stark zu machen. Von den Arbeitsplä­tzen bis zu den Pensionen gilt: Wir werden das nur mit Wachstum sichern, und das wird europäisch­es Wachstum sein. Auch die Gemeinscha­ftswährung Euro war ein solches Projekt und hat funktionie­rt.

Künstliche Intelligen­z ist ein gutes Stichwort. Hier liegt Europa abgeschlag­en hinter den USA oder China.

SN:

Wir haben den hervorrage­nden Sepp Hochreiter an der Kepler-Uni in Linz, der ein europäisch­es ChatGPT schaffen kann. Wir können das alles und unsere Forschungs­institute sind hervorrage­nd. Wir sind in vielen Bereichen besser, als wir uns darstellen, und haben mit 450 Millionen Bürgerinne­n und Bürgern einen riesigen Markt, dessen Regeln auch USTechnolo­gieriesen wie Meta nicht ignorieren können.

SN:

Tatsache ist aber auch, dass Forschungs­einrichtun­gen wie jene von Hochreiter darüber

klagen, dass sie vom Staat zu wenig gefördert werden.

Ein Umstand, der erst recht zeigt, wie sehr wir Europa brauchen, wenn es die österreich­ische Regierung nicht versteht. Und Einrichtun­gen wie jene von Hochreiter leben heute schon von europäisch­en Kooperatio­nen.

SN: Wenn Sie eine Maßnahme auf EU-Ebene allein umsetzen könnten: Was wäre das?

Bildungsfr­eiheit. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung nur sagen: Im Ausland studieren, Sprachen lernen, andere Kulturen erfahren, das bringt einen im Leben weiter. Deshalb sollte jeder junge Mensch die Möglichkei­t haben, ein halbes Jahr im Ausland zu studieren oder eine Lehre zu machen. Das würde auch das Miteinande­r fördern. Menschen, die unterschie­dliche Kulturen kennen, kann man nicht gegeneinan­der aufhetzen.

SN: Die Möglichkei­ten, im Ausland zu studieren, sind aber schon jetzt vielfältig.

Es geht darum, es selbstvers­tändlich zu machen und ein europäisch­es Stipendien­system zu schaffen, damit auch jene die Chance dazu haben, bei denen sich das Elternhaus einen solchen Auslandsau­fenthalt nicht leisten kann. Vor allem möchte ich, dass mehr Lehrlinge an Erasmus+ teilnehmen.

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EU-Wahl Zukunft der Europäisch­en Union

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