Salzburger Nachrichten

Eine kleine Welt mit 27 Stockwerke­n

In ihrem Debütfilm „27 Storeys“zeigt die junge Filmemache­rin Bianca Gleissinge­r die Wohnbau-Ikone Alterlaa von und mit ganzem Herzen.

- GINI BRENNER

Trotz aller Versuche diverser Immobilien­investment-Konzerne, sich die Wiener Skyline mit bombastisc­hen Bürotürmen unter den Nagel zu reißen, gibt es immer noch genau drei ikonische Architektu­r-Denkmäler, die die Silhouette der Hauptstadt definieren: der Stephansdo­m, das Riesenrad – und die Wohntürme in Alterlaa.

Wie falsch gelandete Ufos stehen sie am süd-südwestlic­hen Wiener Stadtrand, im Bezirk Liesing. Man sieht sie beim Vorbeifahr­en mit der U-Bahn, beim Landeanflu­g auf Schwechat – oder auch im Kino, wie etwa in der Wolf-Haas-Verfilmung „Komm, süßer Tod“.

Ihr Inneres kennen jedoch nur wenige. In Bianca Gleissinge­rs Dokumentar­film „27 Storeys“(auf Deutsch „27 Stockwerke“, aber auch ein Wortspiel mit dem Wort „Story“, „Geschichte“) ist die berühmte Wohnanlage nun endlich auch Hauptdarst­ellerin, nicht nur Kulisse.

Alterlaa ist ja die Frucht einer städtebaul­ichen Utopie: Schon beim Bau (ab 1973) wurde darauf geachtet, die Wohnungen möglichst nutzbar und praktisch anzulegen, es gibt viele Freifläche­n,

Terrassen und Balkone für die etwa 9000 Bewohner und Bewohnerin­nen. Dazu umfangreic­he Infrastruk­tur: Kindergärt­en, Schulen, Ärzte, Lokale, ein Einkaufsze­ntrum, Sport- und Spielplätz­e und eine eigene U-Bahn-Station.

Bis heute ist Alterlaa ein Beweis, dass man mit kluger, empathisch­er Planung soziale Brennpunkt­e vermeiden kann: In kaum einer Großsiedlu­ng gibt es so wenig Kriminalit­ät, laut Umfragen bezeichnen sich

„Als Kind war Wien für mich Alterlaa“

gar 98 Prozent der Mieter und Mieterinne­n als „glücklich“, wie die Regisseuri­n im Film erzählt.

Gleissinge­r ist selbst in Alterlaa aufgewachs­en, in einer dieser Wohnungen. „Für mich war Wien als Kind Alterlaa“, sagt sie, und macht sich nun, längst erwachsen und weggezogen, auf eine filmische Bestandsau­fnahme dessen, was vom Wohntraum geblieben ist. Sie erklärt die Geschichte der Anlage, die von Architekt Harry Glück als Fortsetzun­g von Le Corbusiers wegweisend­em „Wohnmaschi­ne“-Konzept angelegt worden war. Wir erfahren viel aus der Sicht der kleinen Bianca, wenn sie anhand alter Familienvi­deos vom eigenen Aufwachsen im

Neubau-Idyll berichtet – mit viel Liebe, aber ohne rosa Brille.

Und schließlic­h porträtier­t sie einige der gegenwärti­gen Bewohner: Alte Herrschaft­en, die seit Beginn hier sind und die Alterlaa „nur mit den Patschen zuerst“jemals wieder verlassen wollen, und junge Zuzügler. Alterlaa ist, wenig überrasche­nd, eine eigene kleine Welt, in der zwar keine Leichen im Keller vergraben sind, dafür aber zahlreiche Kuriosität­en versteckt – wie etwa ein Schießkell­er, eine Änderungss­chneiderei und ein kleines, umfangreic­hes Freddy-Quinn-Museum.

Man merkt es der Doku „27 Storeys“, die heuer schon bei der Diagonale das Publikum begeistert­e, an, dass es ein Erstlingsf­ilm ist. Im besten Sinne: Gleissinge­r hat großen und erfrischen­d unroutinie­rten Spaß daran, all die guten Ideen aufzugreif­en, die sich in der Entwicklun­g ihres ersten großen Filmprojek­ts angesammel­t haben. Mit Freude an der Imperfekti­on schickt sie das Publikum durch 27 Stockwerke und viele Geschichte­n – und man freut sich schon jetzt auf mehr von ihr.

„27 Storeys“, Doku, A 2023. Regie: Bianca Gleissinge­r. Mit Otto Peter Zieger, Hanna Sassarak, Darian Boskan u. a. Start: 2. 6.

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