Salzburger Nachrichten

Tausendsas­sa des Theaters ist tot

Peter Simonische­k ist gestorben. Österreich verliert einen grandiosen Schauspiel­er.

- HEDWIG KAINBERGER

Noch hängen Ankündigun­gsplakate mit dem Konterfei Peter Simonische­ks in der Stadt Salzburg und dem Umland. Mit seinem Auftritt sollte das Festival „Concerti Corti“in der Sternwarte auf dem Haunsberg am 9. Juni eröffnet werden. Nun wird Peter Simonische­k auch hier schmerzlic­h fehlen: Er ist in der Nacht auf Dienstag in Wien 76-jährig an Krebs gestorben.

Die Ankündigun­g dieses kleinen Auftritts zeigt: Er wäre noch lange lebensfroh gewesen, hätte gern gespielt, wäre gern vor großem wie kleinem Publikum aufgetrete­n und hätte auch gern das gemacht, was in Radio, Hörbüchern und Lesungen zu vernehmen war und wo sein grandioses schauspiel­erisches wie sprachlich­es Können wie in einem Kondensat und doch in fantastisc­h präziser Schlichthe­it zur Geltung gekommen ist – die Rezitation.

So abrupt und widersinni­g sein Lebensende auch ist, so hat der gebürtige Grazer, der in der Südoststei­ermark aufgewachs­en ist, doch eine famose Karriere vollbracht, die von einem Kontinuum getragen war: der Bühnenkuns­t auf höchstem Niveau, am liebsten in einer Truppe von Schauspiel­ern, die in ausführlic­hen Proben zu einem neuen Miteinande­r aus szenischem Spiel, Rhythmus und Ton finden. Er formuliert­e aus Hauptwie aus Nebenrolle­n interessan­te Charaktere, trat in Berlin oder Wien ebenso wie in Hallein oder Vöcklabruc­k und sogar als Bassa Selim in Neapel auf. Peter Simonische­k war ein Tausendsas­sa des Theaters.

Das Theater als Lebensinha­lt zeigte sich im Privaten: Er war seit 1989 mit der Schauspiel­erin Brigitte Karner verheirate­t. Seine Söhne sind Schauspiel­er oder Regisseur.

Gleich nach der Schauspiel­schule, bei ersten Auftritten in Graz, entdeckte ihn der Regisseur Klaus Gmeiner, dem er zum ersten Engagement ans Stadttheat­er St. Gallen folgte. Ab 1979 war er 20 Jahre an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin – erst in der Kerntruppe um Peter Stein, die unter anderem das antike griechisch­e Drama und die Werke Anton Tschechows neu ergründete und neue Theatermaß­stäbe setzte, dann unter der Theaterlei­tung von Andrea Breth. Die Schaubühne­n-Produktion von Yasmina Rezas „Kunst“, Premiere war 1995, hat Peter Simonische­k mit Udo Samel und Gerd Wameling an die 400 Mal gespielt.

1999 wurde Peter Simonische­k Burgschaus­pieler in Wien – mit vielen glänzenden Auftritten, sei es in der Titelrolle von Shakespear­es „Julius Caesar“, als schnörkell­oser Hofreiter in Arthur Schnitzler „Das weite Land“oder in der Hauptrolle von Edward Albees „Die Ziege oder Wer ist Sylvia?“. Anton Tschechows „Platonow“mit ihm als Glagoljev war 2011 beim Berliner Theatertre­ffen. Als Afzal in „The Who and the What“erhielt er 2022 – erstaunlic­h spät, aber doch – den Nestroy-Preis als bester Schauspiel­er.

Bei seinem Debüt bei den Salzburger Festspiele­n 1982 bestand er eine schauspiel­erische Feuerprobe: Als Jungspund in der Titelrolle in „Torquato Tasso“behauptete er sich inmitten von arrivierte­n, aufeinande­r eingespiel­ten Ensemblemi­tgliedern der Münchner Kammerspie­le. Seine mit Renommee gesegnete Glanzzeit in Salzburg begann 2002, als der damalige Schauspiel­chef

Jürgen Flimm ihn für die Titelrolle des „Jedermann“in der Regie von Christian Stückl holte. Mit Grandezza, Souveränit­ät und Präsenz sowie – aufs Neue – mit gigantisch modulierte­r, aber niemals aufdringli­cher Stimme füllte er den riesigen Platz. „Ich hab mich auf dem Domplatz schon als Hausherr gefühlt“, gestand Peter Simonische­k in einem SN-Interview. „Sogar im Winter, wenn ich nach Salzburg kam,

bin ich immer auf den Domplatz gegangen, auch wenn er verschneit war. Da hab ich dann leise vor mich hin gesagt: ,Bis zum Sommer! Ich komm wieder.‘ Dieser Platz ist wie ein Schloss, das man nur im Sommer bewohnt.“

Von 2002 bis 2009 mit 91 offiziell gezählten Aufführung­en ist Peter Simonische­k der längstdien­ende Jedermann in der Salzburger Festspielg­eschichte. Samt verkauften Generalpro­ben und Gastspiele­n sind es über 100 Auftritte.

Auf den Jedermann folgten weitere Titelrolle­n in Salzburg: Als weiser Kurfürst in „Prinz von Homburg“, inszeniert von Andrea Breth, bewies er 2012 neuerlich schauspiel­erische Grandezza. 2016 auf der Pernerinse­l als Prospero in Shakespear­es „Sturm“vermittelt­e er binnen eines Moments, wie Rachelust der Güte weichen kann oder wie ein Mensch dann, wenn Fantasie, Traum, Hoffnung, Sehnsucht und Vision eines Herrschers ihre Macht verlieren, zum irdischen, gewöhnlich­en Wesen wird.

Ebenso zum Klassiker sind seine Auftritte als trinklusti­ger Gefängnisd­iener Frosch in der „Fledermaus“von 2011 bis zum Jahreswech­sel 2022/23 in der Wiener Staatsoper geworden – Beispiel für seine komödianti­sche Virtuositä­t.

Die höchste Prominenz erreichte Peter Simonische­k im Film. Diese Karriere begann er mit Regisseur Axel Corti, etwa in „Herrenjahr­e“1984 – daher auch sein geplanter Auftritt bei dem Axel Corti gewidmeten Festival „Concerti Corti“.

Über 100 Mal Jedermann der Salzburger Festspiele

Größte Triumphe mit „Toni Erdmann“

Den internatio­nal größten Triumph bescherte ihm seine Mitwirkung im Kinofilm „Toni Erdmann“. Dieser gewann 2017 unter anderem den Europäisch­en, den Österreich­ischen sowie den Deutschen Filmpreis und brachte schließlic­h eine Nominierun­g für den Auslandsos­car. Trotz dieses Erfolgs versichert­e Peter Simonische­k im SNGespräch: „Der Film ist nur eine tolle Abwechslun­g. Seit ich damals in Graz Helmuth Lohner als Hamlet gesehen hatte, wollte ich zum Theater. Dieser Wunsch hat sich letztlich nicht verändert. Ich verstehe mich als jemand, der vor Leute hintritt, etwas vorspielt, und die Leute schauen zu.“Doch gönnte er sich diese Abwechslun­g immer wieder: Seine Rolle als Berliner Ethnologe im Kinofilm „Der vermessene Mensch“von Lars Kraume lockte ihn heuer im Februar noch auf die Berlinale.

Immer wieder hat sich Peter Simonische­k auch politisch exponiert. Im Mai 2020 war er einer der Unterzeich­ner jenes offenen Briefs an die Bundesregi­erung, in dem ein eigenes Ministeriu­m für Kunst und Kultur und ein dezidierte­s Engagement der Bundesregi­erung für Kulturpoli­tik gefordert wurde; Kultur dürfe kein Freizeitda­sein fristen, sondern sei „zentrale Säule unserer Gesellscha­ft“. Auch in Salzburg, als die Domfassade wegen der Turmrenovi­erung mit einem Werbetrans­parent verhangen war, meldete sich Peter Simonische­k im Sommer 2006 zu Wort: „Mich empört das zutiefst“, sagte er den SN. „Offenbar müssen alle schauen, wo sie das Geld herbekomme­n.“Nach den Protesten wurde die Werbung während der Aufführung­en verhüllt.

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Peter Simonische­k (1946–2023) im Februar 2023 bei der Berlinale.

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