Salzburger Nachrichten

Vom Aufstehen, Zusammenst­ehen und Widerstehe­n

Erfahrungs­bericht einer Frau, die als Tochter ghanaische­r Eltern in London geboren wird und sich im Showbusine­ss freikämpft.

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Im Jahr 2018 wird Michaela Coel aufgeforde­rt, vor TV-Fachleuten einen Vortrag zu halten. Sie sollte einiges zu sagen haben, immerhin verfasste sie für zwei Serien Drehbücher, trat selbst als Schauspiel­erin auf. Als von Preisen verwöhnt fühlen durfte sie sich auch. Ihre Rede liefert den Erfahrungs­bericht einer Frau, die 1987 als Tochter ghanaische­r Eltern in London geboren wird und sich freikämpft. Sie hat es geschafft, von Optimismus findet sich dennoch keine Spur. Denn was eine erlebt hat, die sich den „Misfits“, den Außenseite­rn, zugehörig zu fühlen antrainier­t hat, hat Spuren

hinterlass­en. Kein Erfolg vermag das vergessen lassen. „Misfits sehen die Welt anders; manche von uns werden zu Misfits, weil sie von der Welt als anders gesehen werden.“Kinder lernen rasch damit umzugehen. „Wir Elfjährige­n lernten die Regeln des Spiels schnell: Von 9 bis 15 Uhr galt lachen oder ausgelacht werden.“Und nach 15 Uhr? „Geh nach Hause und weine“.

Coel zählt zur ersten Generation, die eine perfide Waffe entdeckte, „die anonyme Webseite. Gibt es einen schnellere­n und billigeren Weg, um zu streuen, zu verwickeln und zu zerstören?“Die junge Coel verletzt nicht nur, sie wird selbst zum Ziel vernichten­der Angriffe.

Beschreibu­ngen des Kampfes zu bestehen in einer Gesellscha­ft, die sich schwertut, Schwarzen unvoreinge­nommen zu begegnen, geben das Zentralmot­iv ab. Gleichzeit­ig lesen wir von einer, die sich nichts gefallen lässt, ebenso wie von einer Gruppe verschwore­ner Mädchen, die nicht die gängigen Kriterien, um dazuzugehö­ren, erfüllen und stolz die Forderunge­n des Mainstream­s unterlaufe­n. Lange bleibt Coel eine, die ihrem Milieu verhaftet bleibt.

Die Befreiung beginnt in der Schauspiel­schule. Die wird auch zur Schule der Selbsterke­nntnis. Rassismus begleitet sie, aber sie scheint das wegzusteck­en. Keine Spur von Wehleidigk­eit. Die kommt deshalb nicht auf, weil sie die Chance bekommt, ein Stück zu schreiben. Sie steckt alles in es hinein, was stört, und das nicht auf anklagend verbiester­te Weise, sondern mit Humor. Damit kommt sie durch, schafft den Sprung ins TV.

Das ist auch ein Buch über den Klassenwan­del. Eine, die von unten kommt, arbeitet sich nach oben und lernt die Codes dieser Gesellscha­ft, die sie skeptisch registrier­t, aber doch übernimmt. Sie hat nicht vergessen, wo sie herkommt, das gibt ihr die Verpflicht­ung mit, keinen faulen Frieden zu schließen mit dem Establishm­ent. Die Übersetzun­g ist etwas holprig, die Autorin hätte sich größere Sorgfalt verdient.

 ?? ?? Michaela Coel: Misfits. Ein Manifest. Aus dem Englischen übersetzt von Dominique Haensell. Ullstein Hardcover, Berlin 2022. 125 Seiten.
17,50 Euro.
Michaela Coel: Misfits. Ein Manifest. Aus dem Englischen übersetzt von Dominique Haensell. Ullstein Hardcover, Berlin 2022. 125 Seiten. 17,50 Euro.

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