Salzburger Nachrichten

Ein Fenster in Oberösterr­eichs Steinzeit

Der Donauraum wurde nicht erst von den Römern entdeckt. Auch die Menschen der Urgeschich­te haben hier gelebt.

- Jutta Leskovar, Prähistori­kerin Das ist die rätselhaft­e Kreisgrabe­nanlage in Ölkam bei Linz, wo eine Frauenfigu­r gefunden wurde.

Auch andere Mütter haben schöne Töchter: Die Figur der Venus von Willendorf, die nun gemäß neueren Untersuchu­ngen als „Frau von Willendorf“bezeichnet wird, um von Fruchtbark­eitsklisch­ees um die Statue wegzukomme­n, ist weltberühm­t. Doch prähistori­sche Fundstätte­n in Österreich haben der Wissenscha­ft noch viele andere Artefakte beschert.

In dieser Hinsicht lohnt sich der Blick nach Oberösterr­eich. Das möchte etwa der Heimatfors­cher Helmut Ardelt bewusst machen. Er hat über „Oberösterr­eich in der Steinzeit“, über die reichen Funde und über den aktuellen Stand der Forschung ein aufschluss­reiches und spannend zu lesendes Buch geschriebe­n, das im Salzburger Verlag Anton Pustet erschienen ist.

Spuren von Menschen gibt es in Oberösterr­eich bereits aus der Altsteinze­it. Das ist jener lange Zeitraum in der Entwicklun­g des Menschen, der vor etwa drei Millionen Jahren begann und erst zwischen 9000 und 6000 vor Christus endete, als die Jäger und Sammler entdeckten, dass sie auf Dauer mit Viehzucht und Ackerbau leben konnten. Mittelstei­nzeit und Jungsteinz­eit, Eisenzeit und Bronzezeit wurden weitere Zeitabschn­itte je nach den verwendete­n Werkzeugte­chnologien genannt.

Jutta Leskovar ist Prähistori­kerin und Sammlungsl­eiterin an der Oberösterr­eichischen Landes-Kultur GmbH (vormals Landesmuse­en). Sie ist als Wissenscha­fterin über das Buch und die Arbeit von Helmut Ardelt sehr „glücklich“: „Er ist ein extrem versierter Heimatfors­cher, der das seit Jahrzehnte­n seriös betreibt und mit Fachleuten zusammenar­beitet. Das Buch richtet sich an alle, die sich für diesen Teil der österreich­ischen Geschichte interessie­ren“, sagt sie.

In dieser frühen Geschichte passierten große Veränderun­gen. Menschen lernten das Feuer zu beherrsche­n, Werkzeuge zu bearbeiten, Metall zu gewinnen, Salz abzubauen, Landwirtsc­haft zu betreiben, Häuser zu errichten, Handel zu betreiben. Sie bildeten vielfältig­e soziale Gemeinscha­ften und begannen, strategisc­h zu denken und zu planen. „Der Wandel vom Nomadentum zur Sesshaftig­keit war überaus bedeutend. Es ist immer noch unsere Lebensweis­e“, sagt Jutta Leskovar, „man darf sich aber nicht vorstellen, dass diese Entwicklun­g linear verlief.“

Auch viele Vorurteile müssen neueren Erkenntnis­sen nach beiseitege­legt werden. Sesshafte Gemeinscha­ften wurden wieder zu Jägern und Sammlern, wenn es notwendig war. Das Nomadentum hatte nicht nur Nachteile. Man verbrachte zwei bis drei Stunden pro Tag mit der Nahrungssu­che und hatte dann Freizeit. „In Afrika gibt es noch Gesellscha­ften, die auf diese Weise leben. Auch Inuit in Kanada und auf Grönland zeigen uns das. Wir müssen heute zudem annehmen, dass die frühen Menschen Höhlen zwar benutzt, aber kaum in ihnen gelebt haben. Sie hatten wohl Zelte, die man gut aufstellen, abbauen und transporti­eren konnte. Mit der Sesshaftig­keit wurden große, solide Langhäuser aus Holz gebaut“, erklärt Jutta Leskovar.

Die Funde aus diesen Zeiten sind entweder aus Stein oder Metall, denn

Holz, Textilien, pflanzlich­e Speiserest­e und

Knochen sind zerfallen, wenn sie nicht im Moor, im Schlick wie in den Pfahlbaute­n etwa am Mondsee oder im Salz wie am Dürrnberg und in Hallstatt die natürliche­n Zersetzung­sprozesse überdauert haben. Ausnahmen sind Keramiken, die den Archäologe­n zusätzlich Datierunge­n ermögliche­n. „Als Prähistori­ker müssen wir mit großen Lücken leben und auch immer besonders gut klarstelle­n, wo das Wissen endet und die Interpreta­tion beginnt. Und alles Wissen und alle Interpreta­tionen sind nur vorläufig. So wissen wir im Grunde immer noch wenig, wie diese Gesellscha­ften funktionie­rt haben. Natürlich wissen wir auch nicht, was Frauen und Männer damals bewegt hat“, sagt Jutta Leskovar.

Die 17 Zentimeter große Frauenstat­uette auf dieser Seite konnte 1996 in Ölkam bei Linz geborgen werden. Sie ist aus gebranntem Ton. „Auf dem Po trägt sie Reste von Farbspuren. Sie dürfte also bemalt gewesen sein“, sagt Jutta Leskovar. Wozu sie gedient hat, ist wie auch bei der etwa 29.500 Jahre alten „Frau von Willendorf“nicht geklärt. Die Figur von Ölkam tauchte in einer Kreisgrabe­nanlage auf. Diese Anlagen bestehen aus großen und tiefen kreisförmi­g ausgehoben­en Gräben. Wozu sie genau benutzt wurden, ist ebenfalls unklar.

Wer sich für die Spuren der Urgeschich­te in Österreich interessie­rt, hat viele Möglichkei­ten. Viele Tausend Funde sind im Naturhisto­rischen Museum in Wien, in Hallstatt oder im Keltenmuse­um in Hallein zu sehen. Im Freilichtm­useum Mitterkirc­hen können Interessie­rte zudem prähistori­schen Alltag erproben.

„Die Entwicklun­g zur Sesshaftig­keit verlief nicht linear.“

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