Salzburger Nachrichten

Das schwimmend­e Klassenzim­mer

- Charlotte,

EVA HAMMERER

Es klingt nach einem großen Abenteuer, harter Arbeit und einer Erfahrung fürs Leben: Sechs Monate lang waren 35 junge Menschen aus Deutschlan­d, der Schweiz und Österreich auf dem Segelschif­f „Pelican of London“unterwegs. Neben einer nautischen Ausbildung stand auch Schulunter­richt auf dem Programm. Sie reisten nach England, in die Niederland­e, nach Spanien, Portugal, überquerte­n den Atlantik, fuhren durch die Karibik und den Panamakana­l auf den Pazifik, nach Costa Rica und über Bermuda, Bahamas und die Azoren zurück. Seit Kurzem sind sie wieder zu Hause. Unter ihnen war auch die 16jährige Gymnasiast­in Charlotte aus Wien. Sie war für die Zeit von der Schule beurlaubt worden – und hat jetzt einiges an Tests und Schularbei­ten nachzuhole­n.

Ihre Erfahrunge­n will sie aber keinesfall­s missen. „Es sind zwei unterschie­dliche Welten, die sich nicht berühren“, sagte sie den SN. Denn mit einem normalen Schultag hat das Projekt Ocean College nichts zu tun. „Der Tag besteht aus vier Stunden Schule und vier Stunden Wache“, erzählt Charlotte. Wachehalte­n müssen die Teilnehmer­innen

und Teilnehmer auch nachts, dann findet der Unterricht erst am Nachmittag statt. Auf dem Schiff gebe es viel zu tun, sagt Charlotte, die während der Reise 16 Jahre alt wurde. Ihre größte Herausford­erung: „Ich war eine der wenigen, die bis zum Schluss seekrank waren.“Dennoch habe sie Wachen und Unterricht wie vorgegeben absolviert.

Eines der Hauptziele des Ocean College ist, nachhaltig­es und weltoffene­s Denken zu vermitteln. Auf der Reise stehen daher auch der Besuch von Regenwaldf­armen oder Müllsammel­aktionen an Stränden auf dem Programm. Am Beispiel Kaffeeprod­uktion sollen Funktion und Bedeutung des globalen Handels kennengele­rnt werden.

Für die jungen Menschen bedeutet die Teilnahme aber auch persönlich­e Weiterentw­icklung. So sagt Charlotte, sie habe auf dem Schiff gelernt, wie viele unterschie­dliche Menschen es gebe und wie man auf engem Raum zusammenwo­hnen und -arbeiten könne, auch wenn man sich nicht mit allen gleich gut verstehe. „Wenn man sich bemüht, kann man jeden zu seinem Freund machen.“Sie hätten gelernt, Verantwort­ung zu übernehmen.

Das hat auch der Pädagoge Michael Ogrodnik aus Wien beobachtet. Er zählte zu den drei Lehrkräfte­n an Bord. Viele Schülerinn­en und Schüler seien auf der Reise selbststän­diger geworden, hätten gelernt, mehr aufeinande­r zu achten und Probleme untereinan­der zu lösen. „Es ist nie jemand zum Petzen gekommen.“Der 29-Jährige ist Lehrer für Chemie und Geschichte und, wie er selbst sagt, „allgemein wahnsinnig und abenteuerl­ustig“. Daher habe er sich für das Ocean College beworben – und auch weil die Pandemie ihm die Grenzen des Unterricht­ens aufgezeigt habe: „Ich hatte meinen Traumjob in Wien an einer super Schule. Aber über den Bildschirm zu unterricht­en war dann nicht meins.“Auf der „Pelican of London“hat er die Schülerinn­en und Schüler in Chemie, Biologie und Physik unterricht­et und zusätzlich in Latein und Russisch betreut.

Die jungen Menschen seien „zur Hälfte Matrosen und zur Hälfte Schüler“, sagt er rückblicke­nd. „Ich habe versucht, das Umfeld verstärkt einzubinde­n, und Experiment­e gemacht. Wir haben zum Beispiel einen Vulkan bestiegen und dort schwefelha­ltiges Gestein gefunden. Mit Freiwillig­en haben wir daraus Nahrungser­gänzungsmi­ttel hergestell­t.“Er habe auch ein wichtiges Forschungs­projekt geleitet, für das teure Ausrüstung zur Verfügung stand. „Es ist uns richtig gut gelungen“, sagt Ogrodnik.

Daneben war er auch „Betreuungs­person“bei allen möglichen Alltagspro­blemen. Das Zusammenle­ben mit insgesamt 50 Menschen auf engstem Raum habe ihm gefallen. „Es schweißt alle sehr zusammen – wenn man beispielsw­eise seekrank Schulter an über der Reling hängt.“

Charlotte hat sich indessen daheim schnell wieder eingelebt. „Es gibt in manchen Ländern schlimme Umstände, aber besonders durch die Zeit auf dem Schiff habe ich gemerkt, dass es daheim viel bequemer ist, wenn man fließendes Wasser und viele Freiheiten hat. Und auch wenn man Freundinne­n und Familie um sich hat.“Die gesamte Reise sei für sie „eine starke Erfahrung“gewesen.

Weil die Nachfrage an der Schule auf dem Segelschif­f so groß ist, startet Ocean College im Herbst zum ersten Mal mit zwei Schiffen. Die Kosten für die Reise betragen 25.500 Euro, es gibt aber Stipendien oder auch die Möglichkei­t, über Crowdfundi­ng Geld zu sammeln.

Weitere Informatio­nen unter: WWW.OECANCOLLE­GE.EU

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„Zwei Welten, die sich nicht berühren.“

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BILD: SN/OCEAN COLLEGE So wird in der Schule auf dem Meer gelernt.
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Schülerin

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