Das Ende der Illusionen
Die Weltgeschichte wiederholt sich in einer blutigen Dauerschleife. Aus dieser deprimierenden Erkenntnis müssen wir Konsequenzen ziehen.
Wieder einmal stellt man ernüchtert fest, dass das einst vom Politikwissenschafter Francis Fukuyama proklamierte Ende der Geschichte keineswegs erreicht ist. Im Gegenteil, die Geschichte wiederholt sich deprimierenderweise in einer blutigen Dauerschleife, und wer gedacht hat, dass ein Krieg inklusive Artillerieangriffen, Panzerkolonnen, zerschossener Städte und millionenfach vertriebener Zivilisten auf europäischem Boden nicht mehr stattfinden könne, sieht sich bitter getäuscht. Russland überzieht die Ukraine mit einem Angriffskrieg – einer Form der Aggression also, die völkerrechtlich unmissverständlich geächtet ist (und daher in Russland nicht Krieg genannt werden darf).
Man mag einwenden, dass sich die grausamen Ereignisse außerhalb unseres geschützten EU-Raumes ereignen und uns daher nur indirekt betreffen. Dieses Argument beruht freilich hauptsächlich auf dem wackeligen Prinzip Hoffnung. Denn die nach 1945 gelungene Umwandlung unserer näheren Umgebung in eine Zone des Friedens ist, so bitter das klingt, kein unumkehrbarer Prozess.
Weshalb sich auch Österreich von mancher lieb gewonnenen Illusion, um nicht zu sagen:
Peinliche Unterwürfigkeit vor Despotenthronen
Lebenslüge, verabschieden muss. Etwa rund um die Neutralität: Gewiss, wir schätzen diese Form der Nichteinmischung über die Maßen. Und wir geben uns gerne dem schönen Gedanken hin, dass einzig und allein die Neutralität unsere Sicherheit gewährleistet, weshalb wir die Landesverteidigung bis zur Unkenntlichkeit heruntergefahren und das bewährte Milizsystem faktisch abgeschafft haben. Weil wir als friedliebendes Volk uns nicht mit Waffen schützen, sondern mit unserer Neutralität.
Dieses hehre Prinzip hat freilich nur Bestand, solange die restliche Welt das ebenso sieht. Und eben das ist keineswegs gesichert. Die Ukraine ist bündnisfrei und wurde dennoch überfallen. Finnland und Schweden sind neutral und beginnen angesichts des Aggressors in ihrem Osten ihre Position zu überdenken. Da Österreich, wie der Bundeskanzler zuletzt unmissverständlich deutlich machte, über seine Neutralität nicht einmal zu diskutieren und sich keinem Verteidigungsbündnis anzuschließen gedenkt, bleibt als Ausweg nur, die Ausgaben für die Landesverteidigung deutlich zu erhöhen. Und sich einzugestehen, dass das Bundesheer nicht die vorrangige Aufgabe hat, Test- und Impfstraßen zu betreuen, Hochwasserfolgen zu beseitigen und an den Staatsgrenzen Asylbewerber in Empfang zu nehmen.
Sondern notfalls mit der Waffe in der Hand das Land zu verteidigen. Man wird über eine bessere und teurere Ausrüstung und Bewaffnung der Soldaten ebenso reden müssen wie über die Ausstattung der Kasernen. Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Das wird ein ziemliches Umdenken erfordern in unserem Land, in dem bereits ein von Boulevardmedien befeuerter Entrüstungssturm losbricht, wenn die Regierung – was selbstverständlich sein sollte – das Regierungsviertel mit Pollern gegen Terrorund sonstige Attacken schützt.
Will Österreich die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger besser schützen, muss es bereits ansetzen, lang bevor ein Soldat die Waffe zur Hand nimmt. Es geht darum, die Infrastruktur gegen Hackerangriffe zu immunisieren, die zur modernen Kriegsführung zählen. Es geht darum, die Energieversorgung so zu gestalten, dass der Ausfall eines Lieferanten nicht zum wirtschaftlichen Totalkollaps führt. Es geht darum, Lieferketten so weit zu diversifizieren, dass unser Land nicht in die Abhängigkeit von Despoten gerät, mögen die in Moskau sitzen, in Peking oder sonst wo.
Und schließlich würde es sich anbieten, in Zukunft mehr charakterliche Haltung bei der Pflege politischer und diplomatischer Beziehungen an den Tag zu legen. Die Unterwürfigkeit, mit der der russische Kriegstreiber hierzulande noch bis vor Kurzem umschmeichelt wurde, war an Peinlichkeit und Kurzsichtigkeit nur schwer zu überbieten. Und der Umstand, dass sich eine hochrangige österreichische Regierungsdelegation zur Sicherung unserer Energieversorgung bereits auf die Arabische Halbinsel begab, um sich den dortigen kriegsführenden Despoten an den Hals zu werfen, lässt Übles befürchten.
Nein, wir erleben nicht das Ende der Geschichte. Aber möglicherweise das Ende der Illusionen.