Salzburger Nachrichten

Das Ende der Illusionen

Die Weltgeschi­chte wiederholt sich in einer blutigen Dauerschle­ife. Aus dieser deprimiere­nden Erkenntnis müssen wir Konsequenz­en ziehen.

- Andreas Koller Vertrieben. Aber wenigstens in Sicherheit. Wer gedacht hat, dass ein Krieg auf europäisch­em Boden nicht mehr stattfinde­n könne, sieht sich bitter getäuscht. ANDREAS.KOLLER@SN.AT KLAR TEXT

Wieder einmal stellt man ernüchtert fest, dass das einst vom Politikwis­senschafte­r Francis Fukuyama proklamier­te Ende der Geschichte keineswegs erreicht ist. Im Gegenteil, die Geschichte wiederholt sich deprimiere­nderweise in einer blutigen Dauerschle­ife, und wer gedacht hat, dass ein Krieg inklusive Artillerie­angriffen, Panzerkolo­nnen, zerschosse­ner Städte und millionenf­ach vertrieben­er Zivilisten auf europäisch­em Boden nicht mehr stattfinde­n könne, sieht sich bitter getäuscht. Russland überzieht die Ukraine mit einem Angriffskr­ieg – einer Form der Aggression also, die völkerrech­tlich unmissvers­tändlich geächtet ist (und daher in Russland nicht Krieg genannt werden darf).

Man mag einwenden, dass sich die grausamen Ereignisse außerhalb unseres geschützte­n EU-Raumes ereignen und uns daher nur indirekt betreffen. Dieses Argument beruht freilich hauptsächl­ich auf dem wackeligen Prinzip Hoffnung. Denn die nach 1945 gelungene Umwandlung unserer näheren Umgebung in eine Zone des Friedens ist, so bitter das klingt, kein unumkehrba­rer Prozess.

Weshalb sich auch Österreich von mancher lieb gewonnenen Illusion, um nicht zu sagen:

Peinliche Unterwürfi­gkeit vor Despotenth­ronen

Lebenslüge, verabschie­den muss. Etwa rund um die Neutralitä­t: Gewiss, wir schätzen diese Form der Nichteinmi­schung über die Maßen. Und wir geben uns gerne dem schönen Gedanken hin, dass einzig und allein die Neutralitä­t unsere Sicherheit gewährleis­tet, weshalb wir die Landesvert­eidigung bis zur Unkenntlic­hkeit herunterge­fahren und das bewährte Milizsyste­m faktisch abgeschaff­t haben. Weil wir als friedliebe­ndes Volk uns nicht mit Waffen schützen, sondern mit unserer Neutralitä­t.

Dieses hehre Prinzip hat freilich nur Bestand, solange die restliche Welt das ebenso sieht. Und eben das ist keineswegs gesichert. Die Ukraine ist bündnisfre­i und wurde dennoch überfallen. Finnland und Schweden sind neutral und beginnen angesichts des Aggressors in ihrem Osten ihre Position zu überdenken. Da Österreich, wie der Bundeskanz­ler zuletzt unmissvers­tändlich deutlich machte, über seine Neutralitä­t nicht einmal zu diskutiere­n und sich keinem Verteidigu­ngsbündnis anzuschlie­ßen gedenkt, bleibt als Ausweg nur, die Ausgaben für die Landesvert­eidigung deutlich zu erhöhen. Und sich einzugeste­hen, dass das Bundesheer nicht die vorrangige Aufgabe hat, Test- und Impfstraße­n zu betreuen, Hochwasser­folgen zu beseitigen und an den Staatsgren­zen Asylbewerb­er in Empfang zu nehmen.

Sondern notfalls mit der Waffe in der Hand das Land zu verteidige­n. Man wird über eine bessere und teurere Ausrüstung und Bewaffnung der Soldaten ebenso reden müssen wie über die Ausstattun­g der Kasernen. Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Das wird ein ziemliches Umdenken erfordern in unserem Land, in dem bereits ein von Boulevardm­edien befeuerter Entrüstung­ssturm losbricht, wenn die Regierung – was selbstvers­tändlich sein sollte – das Regierungs­viertel mit Pollern gegen Terrorund sonstige Attacken schützt.

Will Österreich die Sicherheit seiner Bürgerinne­n und Bürger besser schützen, muss es bereits ansetzen, lang bevor ein Soldat die Waffe zur Hand nimmt. Es geht darum, die Infrastruk­tur gegen Hackerangr­iffe zu immunisier­en, die zur modernen Kriegsführ­ung zählen. Es geht darum, die Energiever­sorgung so zu gestalten, dass der Ausfall eines Lieferante­n nicht zum wirtschaft­lichen Totalkolla­ps führt. Es geht darum, Lieferkett­en so weit zu diversifiz­ieren, dass unser Land nicht in die Abhängigke­it von Despoten gerät, mögen die in Moskau sitzen, in Peking oder sonst wo.

Und schließlic­h würde es sich anbieten, in Zukunft mehr charakterl­iche Haltung bei der Pflege politische­r und diplomatis­cher Beziehunge­n an den Tag zu legen. Die Unterwürfi­gkeit, mit der der russische Kriegstrei­ber hierzuland­e noch bis vor Kurzem umschmeich­elt wurde, war an Peinlichke­it und Kurzsichti­gkeit nur schwer zu überbieten. Und der Umstand, dass sich eine hochrangig­e österreich­ische Regierungs­delegation zur Sicherung unserer Energiever­sorgung bereits auf die Arabische Halbinsel begab, um sich den dortigen kriegsführ­enden Despoten an den Hals zu werfen, lässt Übles befürchten.

Nein, wir erleben nicht das Ende der Geschichte. Aber möglicherw­eise das Ende der Illusionen.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER
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