EU will Nordirland-Streit entschärfen
Großbritannien habe nie vorgehabt, sich an das Nordirland-Protokoll zu halten, sagt Dominic Cummings, ehemaliger Berater von Boris Johnson. Können die jüngsten Vorschläge aus Brüssel daran etwas ändern?
Das Misstrauen ist groß zwischen London und Brüssel. Als eine der Hauptursachen dafür identifizierte der britische Brexit-Minister David Frost zuletzt in seiner Rede in Lissabon das Nordirland-Protokoll. Dieses Beiwerk zum britischen EU-Austrittsvertrag sollte verhindern, dass es nach dem Brexit zu Grenzkontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und der britischen Provinz Nordirland kommt. Diese würden nämlich eine Verletzung des Karfreitagsabkommens darstellen, mit dem die Region vor Jahrzehnten befriedet wurde.
Grenzkontrollen gibt es laut dem Protokoll nun vielmehr zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens.
Die Folge: Das Karfreitagsabkommen bleibt intakt, Nordirland gehört de facto zum EU-Binnenmarkt – und der britische Binnenmarkt ist geteilt.
Die Briten wollen das bekanntlich nicht hinnehmen. Und zwar nicht erst, seit die damit verbundenen praktischen Probleme für den innerbritischen Handel sichtbar sind, wenn man Dominic Cummings Glauben schenkt. Der ehemalige Berater des britischen Premierministers Boris Johnson schrieb Dienstagabend auf Twitter, Großbritannien habe nie die Absicht gehabt, sich an das Protokoll zu halten. Der Plan sei gewesen, eine Einigung bei den Austrittsgesprächen mit Brüssel zu erzielen, um die Parlamentswahl 2019 zu gewinnen, und dann „die Teile, die uns nicht gefallen“, loszuwerden, schrieb Cummings.
Diese Nachricht schlug nur Stunden vor dem Auftritt von EU-Kommissar Maroš Šefčovič auf. Er stellte am Mittwochabend ein Paket von Maßnahmen zur Überarbeitung des Nordirland-Protokolls vor, mit denen die Schwierigkeiten im innerbritischen Handel minimiert würden. Demnach sollen bei einzelnen Produktgruppen, die für Endkunden in Nordirland bestimmt sind, 80 Prozent der Zollkontrollen wegfallen. Auch für den Handel mit Medikamenten werde es Erleichtungen geben, sagte Šefčovic.
Das Paket solle in den kommenden Wochen mit der britischen Seite diskutiert werden. Er hoffe, dass man „das neue Jahr mit einem neuen Abkommen beginnen“könne, meinte der EU-Kommissar. Mit der Lockerung von Kontrollen allein dürfte es für die britische Regierung aber nicht getan sein. Minister Frost hatte am Dienstag erneut verlangt, dass die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit Blick auf das Protokoll stark beschränkt werden. Derzeit gilt: Nordirland folgt auch nach dem Brexit den Regeln der EU-Zollunion und des Binnenmarkts, wodurch es bestimmten EU-Vorschriften unterliegt – und damit dem EuGH. Dessen Rolle zu streichen würde daher aus Sicht der Kommission bedeuten, Nordirland vom EU-Binnenmarkt abzuschneiden, was eine Grenze zwischen Irland und Nordirland zur Folge hätte.