Ein Wasserwesen taucht auf
Das Taschenopernfestival umkreist vier Mal das Thema „Undine“.
Zum neunten Mal werden in der Szene Salzburg „Taschenopern“präsentiert. Im Zweijahresrhythmus bitten Regisseur Thierry Bruehl und Dramaturg Hans-Peter Jahn ausgewählte Komponistinnen und Komponisten zur Ausarbeitung kurzer Opern. Als deren Grundlage gilt jeweils ein (literarisches) Thema. Für die neueste Ausgabe, die am Dienstag Premiere hatte, war es die Figur des märchenhaften Wasserwesens Undine, das in Menschengestalt, als lebens- und liebesfähige Person, nicht überleben kann. So jedenfalls sieht es die romantische Vorstellung in Gestalt der Fabel von Friedrich de la Motte Fouqué von 1811. Als radikale Kontrastposition war Ingeborg Bachmanns berühmte „Wutrede“von 1961 „Undine geht“zur Bearbeitung vor- respektive freigegeben. Die Komponisten Wolfgang Mitterer und Fabio Nieder entschieden sich für das Märchen, die Komponistinnen Zeynep Gedizlioğlu und Iris ter Schiphorst für Bachmann.
Alle vier „Taschenopern“sind ausgewachsene, komplexe, elaborierte Kammerstücke zwischen einer Viertel- und einer halben Stunde Dauer, im Falle Fabio Nieders sogar mit einem kleinen Kinderchor. Nieder nimmt in seinem Einakter deutlich Bezug auf Folklore, lässt das Stück aus Dvořáks „Rusalka“und ihrem Schlager, dem berühmten Lied an den Mond, als „Ein slowakisches Undinen-Märchen der authentischen Paulina und das Dekordrama des Wassermanns auf dem Trockenen“(so der lange Titel) entstehen: als eine kunstvolle Liebesgeschichte. Volksliedhaftes wird angespielt, Paulina ist eine slowakische Folklore-Sängerin (Pauliná Solková), der Wassermann ein tanzender, wortloser Bassbariton (Tobias Schlierf), märchenhafte Kostüme betonen wie auch die Regie einen naiven Grundton, die Musik wirkt atmosphärisch, aber nie nur illustrativ oder gar zitathaft banal. Alles geschieht mit einem leicht ironisierenden Augenzwinkern.
Als clowneske melodramatische Szene hingegen baut Wolfgang Mitterer (unter anderem Komponist der aktuellen „Jedermann“-Musik) seine prägnante Szene „Der Kuss“auf. Er ist für die drei rhythmisch schwadronierenden Männer letztlich tödlich. Sprechen, Singen, Spielen: ein Mix expressiver Stile, kurzweilig zugespitzt wie der Speer, mit dem die Sopranistin die Männer zu Fall bringt. Kurz ist auch Zeynep Gedizlioğlus „Musiktheater für vier Stimmen und Ensemble“, aber welche Verdichtung die türkische Komponistin dabei erreicht, ist aufregend. Es sind knappe Textbausteine, die Gedizlioğlu aus dem wilden Wortbergwerk von Bachmanns Erzählung herausbricht, die markant gesprochen werden: Selbstvergewisserung einer „Abwesenden“, „immer wieder Atem holen zu können für neue Worte“, wie ein Fragment heißt, eingekleidet in eine diese Zustände des Atmens ausdrückende, von feinsten instrumentalen Spuren gestützte und durchzogene Tonsprache, die einen emotionalen Sog erzeugt. Der genau bemessenen Klangdramaturgie entspricht Bruehls Regie perfekt.
Hier ist auch das Ensemble NAMES zu loben, das durch Peter Rundel fabelhaft vorbereitet und von ihm und Teilnehmern einer Dirigierakademie sicher und souverän gelenkt wurde. Aus der punktgenau agierenden Sängerschar ist die mit extremen Höhenanforderungen konfrontierte Sopranistin Frauke Aulbert hervorzuheben, die in Iris ter Schiphorsts überreich aufgeladenem, mit allen Schikanen der Vokalartistik ausgestattetem Monodram „Undine geht!“Glanzpunkte setzte. Ansonsten wirkte der finale Halbstünder wie eine virtuos übersteigerte Überwältigungsattacke zur Bedeutung und Bedeutsamkeit von Kunst. Eine wilde Wutmusik für (oder gegen?) Bachmanns Wutrede? Man war nach mehr als zwei Stunden mit Pause durchaus erschlagen. Ein Besuch dieser „Taschenopern“(30. 9., 1. und 2. 10., je 19 Uhr) lohnt sich dennoch.