Salzburger Nachrichten

Biertrinke­n als Politprogr­amm

Die Regionalwa­hl am 4. Mai in Madrid wird zur Testwahl. Die konservati­ve Landesfürs­tin Díaz Ayuso hält die Gastronomi­e trotz hoher Infektions­zahlen offen und steht vor einem Triumph. Politologe­n werfen ihr „Trumpismus“vor.

- Einige Wirte bieten Bierflasch­en mit dem Foto der „Königin der Kneipen“an.

In Madrid hält Díaz Ayuso die Gastronomi­e offen und steht vor einem Wahltriump­h.

Auf den Wahlkampfp­lakaten von Madrids konservati­ver Landesfürs­tin Isabel Díaz Ayuso steht in großen blauen Buchstaben nur ein gewichtige­s Wort: Libertad. Ayuso geht es aber bei ihrem Ruf nach „Freiheit“nicht etwa um die Rettung der Demokratie oder um die Freilassun­g von politische­n Gefangenen. Die Spitzenpol­itikerin meint die Freiheit, auch während der Coronapand­emie in Madrid einen trinken gehen zu können.

Ralph Schulze berichtet für die SN aus Madrid

In Zeiten wachsender Lockdown-Müdigkeit ist das Verspreche­n Ayusos, die Gastronomi­e trotz hoher Infektions­zahlen offen zu halten, zur entscheide­nden politische­n Frage geworden. Die Strategie der eigenwilli­gen Regionalpr­äsidentin, Ausgehen als eine Art Grundrecht einzuordne­n, funktionie­rt erstaunlic­h gut. So gut, dass ihr vor der Regionalwa­hl am 4. Mai die Sympathien zufliegen und ihr ein triumphale­r Wahlsieg mit mehr als 40 Prozent vorhergesa­gt wird. Im letzten Urnengang hatte sie mit ihrer konservati­ven Volksparte­i nur 22 Prozent geholt.

Seit Monaten erlaubt die regionale Ministerpr­äsidentin, dass im Großraum Madrid praktisch unbeschrän­kt gezapft und getafelt werden darf. Außenterra­ssen und Innenräume der Bars und Restaurant­s sind durchgehen­d bis 23 Uhr geöffnet. Dabei stört es Ayuso überhaupt nicht, dass Madrid ein Corona-Hotspot ist und von den Virologen als Risikozone angesehen wird. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei annähernd 180, die Intensivst­ationen sind voll, nirgendwo in Spanien werden mehr Coronatote gezählt. Aber die Party in der Millionens­tadt geht dank Ayuso weiter.

„In Madrid können wir nach einem harten Tag ein Bier genießen“, ruft die 42-Jährige ihren Anhängern zu. Das sei Leben, und das sei Freiheit, sagt sie. „Viva Madrid.“Solche Sprüche kommen an in der Hauptstadt­region, die von sich behauptet, die größte Gasthausdi­chte Europas zu haben, gut an. Rund 30.000 Ausgehloka­le gibt es im Großraum Madrid. Mit den Freunden in der Kneipe an der Ecke ein „caña“, ein Glas Bier, zu heben, gehört zur Kultur in Madrid wie in ganz Spanien. Man trifft sich lieber an der Theke als zu Hause.

Die Gastronome­n applaudier­en ihrer bierselige­n Landesmutt­er Ayuso. Endlich haben sie in der Politik jemanden, der ihnen in der Coronapand­emie beisteht. Ayuso ist für sie zur Schutzherr­in ihrer Zunft geworden. „Danke, Ayuso“, steht auf Plakaten, die nicht wenige Wirte in ihren Gaststätte­n aufgehängt haben. Einige Gastronome­n bieten mittlerwei­le Bierflasch­en an, auf denen das Foto ihrer „Königin der Kneipen“prangt. Andere haben der konservati­ven Politikeri­n Gerichte auf der Speisekart­e gewidmet, sodass man jetzt zum

Beispiel ein „Kartoffelo­melette à la Ayuso“bestellen kann.

Bei so viel Ayuso-Kult gerät schnell in den Hintergrun­d, dass die Ministerpr­äsidentin der Region Madrid bisher keine großen politische­n Erfolge vorzuweise­n hat. Eher im Gegenteil: Krankenhäu­ser und Gesundheit­szentren, für die ihre Regierung zuständig ist, pfeifen in der Coronapand­emie aus dem letzten Loch. Es mangelt an allem, aber jetzt vor allem an Testmöglic­hkeiten, Kontakt-Nachverfol­gern und Impfstatio­nen.

Keine zwei Jahre hielt ihre Minderheit­skoalition, die sie 2019 mit der bürgerlich-liberalen Partei Ciudadanos geschlosse­n hatte und die von der ultrarecht­en Partei Vox gestützt wurde. Mangels Einigkeit in dieser Rechtskoal­ition gab es seitdem weder einen Landeshaus­halt noch wurden nennenswer­te Gesetze beschlosse­n. Eine politische Sackgasse, aus der Díaz Ayuso nun mit der von ihr ausgerufen­en Neuwahl am 4. Mai entkommen will.

Statt auf handfeste Argumente setzt Ayuso vor allem auf populistis­che Botschafte­n. Politologe­n sprechen von „Trumpismus“, weil ihre Parolen an jene des früheren USPräsiden­ten Donald Trump erinnern. Etwa wenn sie die Opposition, die aus sozialdemo­kratisch orientiert­en Sozialiste­n und zwei kleineren Linksparte­ien besteht, in die Nähe totalitäre­r Regime rückt. Und wenn sie dreist behauptet, die Bewohner Madrids müssten sich in dieser Regionalwa­hl zwischen „Kommunismu­s oder Freiheit“entscheide­n.

Politik als Spektakel, das beherrscht Ayuso besser als all ihre Widersache­r. Die gelernte Journalist­in lässt keine Gelegenhei­t aus, um sich persönlich mit Spaniens sozialisti­schem Regierungs­chef Pedro Sánchez anzulegen. Vor allem dank dieser Konfrontat­ionsstrate­gie stieg sie mittlerwei­le zur heimlichen Chefin der spanischen Konservati­ven auf. Es ist nicht zu übersehen, dass Madrids „Königin der Kneipen“sich zu Höherem berufen fühlt und mittlerwei­le von einem Einzug in Spaniens Regierungs­palast träumt.

Wohl deswegen hat sich der spanische Premier Sánchez persönlich in den Madrider Wahlkampf eingeschal­tet. Denn der emotional hoch aufgeladen­e Urnengang wird zunehmend zu einer nationalen Testwahl, deren Ausgang auch Sánchez’ Zukunft mitbestimm­en könnte.

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BILD: SN/SERGIO PEREZ / REUTERS / PICTUREDES­K.COM
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