Fünf Tage für den Trickfilm
Das Festival „Tricky Women/Tricky Realities“ist eine Feier von Auf- und Ausbrüchen.
Da gibt es eine Füchsin, die in dem Kurzfilm „Tasks of the Day“den Dreck und Organisationsaufwand ihres Alltags mit Kind allein schultern muss. Ein gehäkeltes Rotkäppchen schließt in „Woolly Wolf“mit dem einsamen Wolf Freundschaft. In einem anderen Film, „Wochenbett“, reagiert ein Neugeborenes auf die Anstrengungen der Mutter liebevoll mit „Scheiß auf Mom Shaming! Lass sie reden, lass sie posten!“, und in dem schaurigen „Chad“verwandelt sich ein Kind, das auf die neue Freundin der Mutter
eifersüchtig ist, nachts zur krabbelnden Zecke.
Ob niedlich, furchteinflößend, erschütternd oder witzig – oder alles zusammen: Die Trickfilme, die im Programm des Festivals „Tricky Women/Tricky Realities“zu sehen sind, bebildern Dinge, für die sonst keine Bilder existieren, von Fantastischem, von Ängsten, Unaussprechlichem. Sie hinterfragen Rollenbilder und erzählen von der Möglichkeit anderer Lebensrealitäten – und ermutigen so ein gesellschaftspolitisches und philosophisches Nachdenken über die Wirklichkeit. Am Mittwoch startet die 20. Ausgabe des Festivals, das 2001 von der hochverdienten Festivalleiterin Waltraud Grausgruber gemeinsam mit Antonia Cicero und Birgitt Wagner gegründet wurde. Seither hat es sich um das Trickfilmschaffen und die Kulturarbeit vor allem von Frauen verdient gemacht, durch das Sichtbarmachen der Filme, durch „Artist in Residence“-Programme und – keine Selbstverständlichkeit in der Kulturlandschaft – durch die lobenswert korrekte Abgeltung kreativer Arbeit, bis hin zu Jurytätigkeiten.
Manche Dinge sind im Jahr zwei der Pandemie schon normal, nämlich dass Filmfestivals vorwiegend online stattfinden. „Tricky Women“hat aus dem Online-Auftritt heuer eine Tugend gemacht: Bis auf zwei Ausnahmen ist das gesamte Programm weltweit ohne Länderbeschränkungen abrufbar. Damit erreicht das Festival potenziell eine Vielzahl von Zuschauerinnen und Zuschauern, mit einem dichten, vielfältigen Programm aus Wettbewerben, Masterclasses, Vorträgen und Geburtstagsprogrammen. Ein
Festivalpass ist um 30 Euro zu erwerben, auch für einzelne Programmpunkte gibt es Tickets. Ein Höhepunkt etwa ist der vielfach ausgezeichnete Film „My Favorite War“: Ilze Burkovska Jacobsen rekapituliert darin ihr Aufwachsen in der sowjetischen Teilrepublik Lettland während des Kalten Krieges. Sie kombiniert Realfilmaufnahmen mit Zeichentrick und montiert sowjetische Propagandamaterialien gegen die verlogene Erzählung einer glücklichen Gesellschaft ohne Notwendigkeit zur Entscheidung, in der Schlangestehen für Butter und Brot ebenso zum Alltag gehört wie das Verschweigen, wenn ein Mädchen Skelettreste eines Nazisoldaten in der Sandkiste findet.