Gadafis Weihnachten und die Vampire
Fieber, Verdauungsprobleme, Blässe, Übelkeit. – Was man heutzutage ohne Weiteres als Symptome von Corona ansehen würde, galt unseren Altvorderen als untrügliches Zeichen für etwas noch viel Schrecklicheres: Vampire!
Im 18. Jahrhundert war der Glaube an die langzähnigen Blutsauger vor allem in den östlichen Teilen der Habsburgermonarchie (zumal in Transsylvanien!) derart weit verbreitet, dass Maria Theresia 1755 ein Verbot „dieses Aberglaubens an Gespenster und Hexerei“erließ. Ihre allerhöchste Anordnung zeitigte freilich exakt die gleiche Wirkung wie die aktuellen Corona-Ausgangsbeschränkungen, nämlich gar keine.
Maria Theresia sah sich daher gezwungen, um dem Aberglauben mit wissenschaftlichen Methoden zu Leibe zu rücken, eine amtliche Untersuchung der angeblichen Vampir-Vorfälle anzuordnen. Der Militärchirurg Georg Tallar wurde in die äußere Walachei entsandt, schaute sich die Sache an und schickte dann einen Bericht nach Wien, der an saftigen Details nichts zu wünschen übrig ließ. So schrieb er etwa vom Glauben an „die unzeitige Auferstehung toter walachischer Körper“und von Dörfern, in denen die Behandlung der Kranken „durch Einschmieren mit dem Blut ausgegrabener Kadaver von Verstorbenen, die für Vampire gehalten wurden“, vonstattenging. Na bumsti.
Warum dieses blutrünstige Thema hier ausgebreitet wird, liegt nicht etwa an schnöder Sensationslust, sondern daran, dass der Staat ja derzeit seine Schließmuskeln derart ausgiebig spielen lässt, dass alle Museen geschlossen sind und man seine Schaulust daher virtuell befriedigen muss. Eine empfehlenswerte Adresse dafür ist die Internetseite des Österreichischen Staatsarchivs, wo besagter Bericht des Militärchirurgen Tallar
kürzlich als „Archivalie des Monats“zu bestaunen war.
Das ist überhaupt eine sehr unterhaltsame Einrichtung: Monat für Monat stellt das Staatsarchiv einen seiner unglaublichen papierenen Schätze vor. Der Allzeit-Höhepunkt war bisher die Weihnachtsbotschaft, die Muammar al-Gadafi im Jahre 1978 an den völlig wehrlosen österreichischen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger schickte. Auf lindgrünem Papier schrieb der libysche Revolutionsführer damals, im Dezember 1978, an Kirchschläger wörtlich und ziemlich unlind:
„Wenn wir dabei sind, 1978 Jahre nach der Geburt Jesus Christi des Sohnes Mariens zu gedenken, und gleichzeitig den Beginn des neuen Jahres 1979 zu feiern, haben wir uns nicht zu betrinken, sondern sollten diesen Anlaß nützen, in der Heiligen Schrift zu lesen. Gezeichnet Colonel Muammar al-Gadafi“.
In der Präsidentschaftskanzlei scheint diese einigermaßen ungewöhnliche Weihnachtspost auf erhebliches Befremden gestoßen zu sein. Denn Kirchschläger
reagierte mit einem Schreiben nach Tripolis, das sich allerdings nicht an den Revolutionsführer, sondern an den dortigen österreichischen Botschafter richtete. Diesem teilte der Bundespräsident mit, dass er davon Abstand nehme, die Weihnachtswünsche Gadafis zu erwidern. Eine Entscheidung, die irgendwie verständlich erscheint. Weil: Was soll man auf so etwas auch antworten?
Wenig später traf das Retourschreiben des Botschafters ein, das in Wien doch irgendwie beruhigend wirkte. Denn Gadafi hatte nicht nur unseren Herrn Bundespräsidenten als Saufkopf hingestellt. Vielmehr war, wie der Botschafter in Erfahrung gebracht hatte, „besagte Passage an alle westeuropäischen Staatsoberhäupter ergangen“.
Wie der Text zustande kam, weiß man bis heute nicht. Bescheidene Vermutung hierorts: Sollte Gadafi vor dem Erledigen der Weihnachtspost nicht in der Heiligen Schrift gelesen, sondern das andere gemacht haben?