Nick allein im Palast
Nick Cave erweist sich allein am Klavier als idealer Mann für Lockdown und kurze Tage.
SALZBURG. Nick Cave beginnt mit der Rezitation des Textes „Spinning Song“, um dann in die sanfte Melodie von „Idiot Prayer“zu gleiten. Der Song ist vom Album „The Boatman’s Call“von 1997. Das Album war voller Songs am Klavier. So macht er es auch dieses Mal. Es sind aber keine klassischen Balladen. Dieses Mal übernehmen Bedrückung und Ohnmacht die Regie. Am Ende wird Nick Cave 22 Lieder gesungen haben, zerbrechlich und verletzlich. Bis dahin ist alles wie bei Konzerten, die man vor Corona gewöhnt war.
Da sitzt einer ganz allein. Er sitzt in der West Hall des Alexandra Palace, eine Art Vergnügungstempel im viktorianischen Baustil im Nordosten von London ist das. Die ersten Fernsehübertragungen der BBC entstanden hier in den 1930er-Jahren. Nun sendet Nick Cave von dort.
Es ist ein gediegener Raum mit bester Akustik und großer Geschichte.
Auch Wohnzimmerkonzerte haben Charme. Auch dass von Balkonen gesungen wurde, machte Freude, aber der Schmäh war schnell abgenutzt. Doch wie Cave im Lockdown der Geschichte des edlen Gebäudes ein weiteres Kapitel hinzufügt, ist etwas Besonderes.
Das liegt nicht nur am Raum, sondern es liegt daran, wie der gebürtige Australier die Leere des Raums – und also symbolisch auch die Leere aller Konzertsäle – füllt. Er hat den Saal gebucht. Für sich allein, denn Publikum darf keines kommen. Das Publikum konnte im Juli über Stream dabei sein. Mehr war nicht geplant. Gut, dass es nicht dabei geblieben ist.
Nun, da es von dem Konzert auch das Album „Idiot Prayer – Nick Cave Alone at Alexandra Palace“gibt (erscheint am Freitag, 20. 11.), erweist sich die Erinnerung an den Abend vor dem Laptop bloß als Auftakt zur wahren Inwendigkeit. Das bloße Hören dieser Songs, skelettiert bis aufs Bein, verstärkt ihre Wirkung.
Man hört Cave atmen. Man hört, wie die Finger die Tasten treffen. Man ist nahe. Unabgelenkt vom Hinschauen, vom Zuschauen, entfalten diese Songs eine immense Kraft, die ihre ursprüngliche Energie noch weit übertrifft.
Vielleicht liegt die stille Macht, mit der sich Caves Stimme festsetzt, auch am Lockdown, der ja nicht nur als äußeres Ereignis passiert, sondern sich auch in Seele und Herz frisst, vielleicht tragen die so kurzen Tage, das Grau des Novembers auch bei, dass das einsame Spiel sich wie Heilung anhört, wie eine Auslöschung allen Rundherums.
Der 63-jährige Cave hatte schon zuletzt auf dem Album „Ghosteen“zerbrechlicher, verletzlicher und so auch schöner denn je geklungen. Nun übertrifft er das. „Idiot Prayer“reduziert auf seine Essenz all das, was Nick Cave seit Jahrzehnten zu einem überragenden Musikpoeten macht. Auch wenn es um Rache und Vergebung, um schwere Liebe und harten Tod geht, bleibt in der Kunst Caves immer eine Art Erlösung als Auftrag. Er blickt ins Ewige, beeindruckt von den Untiefen, die das Leben bereithält.
Wenn dieser Blick verstellt ist von Ungewissheit und Düsternis, wenn scheinbar nichts mehr bleibt, dann bleiben immer noch die Lieder. Und so tauchen wieder die ersten Zeilen dieses Auftritts auf: „Once there was a song“sind die ersten Zeilen, die von Cave im Alexandra Palace zu hören sind.
Wer dazu Einblicke haben will in den Schaffensprozess des Künstlers, kann im neuen Buch „Stranger Than Kindness“Caves Inspirationsquellen auf die Spur gehen. Das Hören wird aber durch nichts ersetzt.