Der Innenminister soll nicht zurücktreten, sondern handeln
Das Behördenversagen vor dem Terroranschlag von Wien darf nicht der Anlass für eine Beschränkung der bürgerlichen Freiheiten sein.
Bundeskanzler Sebastian Kurz rief in der Nationalratssitzung nach mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden und nach mehr rechtlichen Mitteln zwecks Terrorbekämpfung. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer erhob in Linz die Forderung nach einer Sicherungshaft – also einer Haft für potenzielle Verbrecher, noch ehe sie etwas angestellt haben. Genau das war zu befürchten: Dass die ÖVP nach dem Terroranschlag nach einem noch strengeren Staat, nach noch mehr behördlichen Kompetenzen, nach einer noch deutlicheren Beschneidung der bürgerlichen Freiheiten ruft, die dank Coronarestriktionen ohnehin in einem schlechten Zustand sind.
Gegenvorschlag: Wie wäre es damit, die bereits vorhandenen staatlichen Kompetenzen so einzusetzen, dass die Sicherheit der Bürger gewährleistet werden kann? Wie sich herausstellte, hätte der Terrorist von Wien locker aus dem Verkehr gezogen werden können, hätten die heimischen Verfassungsschützer nicht einen klaren Hinweis ihrer slowakischen Kollegen ignoriert beziehungsweise vertuscht. Hier handelt es sich um ein eklatantes Behördenversagen und es ist absurd, wenn nun der türkise Teil der Bundesregierung versucht, dieses Behördenversagen zum Anlass für eine weitere Einschränkung der Grundrechte zu nutzen.
Noch ganz andere Vorwürfe stehen im
Raum. Etwa der Vorwurf, dass der spätere Attentäter durch eine undichte Stelle bei den Verfassungsschützern von Razzien in der Islamistenszene informiert wurde. Die Sicherheitsbehörden und deren vorgesetzter Innenminister müssen uns erklären, warum sie schon Stunden nach dem Anschlag so genau über das Umfeld des Attentäters informiert waren, dass sie in Windeseile Hausdurchsuchungen durchführen konnten. Sie müssen erklären, warum sie so viel gewusst und so wenig getan haben, um den Terror zu verhindern. Karl Nehammer ist nicht rücktrittsreif. Aber er muss in seinem Haus für Ordnung sorgen. Er muss das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung völlig neu aufstellen. Eine Diskussion über neue Kompetenzen für die Sicherheitsbehörden kann, wenn überhaupt, ganz am Schluss dieses Prozesses stehen.