Salzburger Nachrichten

Wer das Recht beugt, verliert EU-Geld

Erstmals scheint ein Mittel gegen Verstöße von Viktor Orbán und Co. gefunden: Die Verhandler von Parlament und Rat feiern in Brüssel einen „historisch­en“Kompromiss.

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Von Europas Werten und dem Fundament des Rechtsstaa­ts ist viel die Rede in der EU. In der Praxis aber musste Brüssel bisher weitgehend machtlos zusehen, wenn Regierunge­n rechtsstaa­tliche Standards und Grundrecht­e aushöhlten. In der Kritik stehen vor allem Ungarn und Polen.

Gegen beide Staaten laufen seit Jahren entspreche­nde Verfahren nach dem EU-Vertrag. Sie kommen – auch wegen des Einstimmig­keitsprinz­ips im Rat – nicht vom Fleck. Weshalb Regierungs­chef Viktor Orbán in Budapest und sein Kollege Mateusz Morawiecki in Warschau kaum zu bremsen waren, wenn sie gegen kritische Medien (Ungarn) oder die unabhängig­e Justiz (Polen) vorgingen.

Nun aber sollen Rechtsstaa­tssünder – und das sind nicht nur die beiden genannten Länder allein – dort getroffen werden, wo es wehtut: beim Geld. Verstöße gegen den Rechtsstaa­t sollen künftig durch das Streichen von EU-Mitteln geahndet werden. Darauf haben sich am Donnerstag die Unterhändl­er von Rat und EU-Parlament geeinigt.

„Heute ist ein historisch­er Tag“, meinte die spanische Sozialdemo­kratin Eider Gardiazába­l Rubial. Sie hatte gemeinsam mit dem Finnen Petri Sarvamaa von der Europäisch­en Volksparte­i für das Parlament verhandelt. Dieser sprach von einem „Meilenstei­n für den Schutz der EU-Werte“. Der deutsche EUBotschaf­ter

Michael Clauß hatte für die Mehrheit der Mitgliedss­taaten die Verhandlun­gen geführt.

Dass der Mechanismu­s, über den seit 2018 geredet wird, Zähne bekommen hat, ist vor allem der harten Haltung des Parlaments zu verdanken.

Der Mechanismu­s greift nicht nur bei direktem Missbrauch von EU-Geld durch Korruption oder Betrug, sondern auch bei „systematis­chen Verstößen gegen Grundrecht­e“.

Sanktionen kann es nicht erst nach vollbracht­er Schädigung des EU-Budgets geben. Es reicht, wenn durch die Verletzung von Grundrecht­en die Gefahr droht, dass ein finanziell­er Schaden eintritt.

Das Verfahren auslösen soll die EU-Kommission. Ortet sie Rechtsstaa­tsverstöße durch ein Mitgliedsl­and, schlägt sie Sanktionen vor. Sie treten in Kraft, wenn die Staats- und Regierungs­chefs sie mit qualifizie­rter Mehrheit billigen. Dazu haben sie nur einen Monat Zeit, in Ausnahmefä­llen ein Vierteljah­r.

Wobei Ungarn oder Polen selbst mit Hilfe der beiden anderen Visegrád-Staaten Tschechien und Slowakei Sanktionen nicht mehr verhindern können. Denn die nötige Mehrheit ist erreicht, wenn 15 der 27 Staaten zustimmen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerun­g vertreten.

Der Rechtsstaa­tsmechanis­mus ist gekoppelt an das 1,8 Billionen starke Finanzpake­t aus EU-Budget (2021–2027) und dem Corona-Wiederaufb­aufonds.

Dieser nun gefundene Kompromiss muss erst von der Runde der Staats- und Regierungs­chefs durchgewin­kt werden. Ungarn und Polen drohen mit einem Veto. Damit würden sie das 1,8-Billiarden-Paket blockieren. Es ist fraglich, ob sie das riskieren. Anders als im Frühjahr sind nun auch sie stark von der Coronakris­e betroffen und brauchen EU-Geld aus dem Wiederaufb­aufonds. Die ungarische Justizmini­sterin Judit Varga sprach von einer „inakzeptab­len Erpressung“.

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BILD: SN/AP Viktor Orbán gerät in die Defensive.

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