Salzburger Nachrichten

Tiere sehen die Welt mit völlig anderen Augen

Krebse können Durchsicht­iges sichtbar machen. Und das Vierauge kann simultan über und unter Wasser sehen. Wie anders die Welt erscheint, wenn wir sie durch Tieraugen betrachten.

- CHRISTIAN SATORIUS

Der Eindruck täuscht nicht: Stubenflie­gen sehen die Fliegenkla­tsche wirklich kommen – und zwar in Zeitlupe. So bleibt ihnen genügend Zeit, die Fliege zu machen. Zu verdanken haben sie das ihrem Zeitlupenb­lick. Bei uns Menschen verschmelz­en mehr als 18 Bilder pro Sekunde schon zu einem Bewegungsa­blauf, wohingegen Stubenflie­gen noch ganze 250 Bilder in der Sekunde sauber voneinande­r trennen können. Der Vorteil: Auch schnellste Bewegungen kommen ihnen gähnend langsam vor, es bleibt ausreichen­d Zeit, auf das Wahrgenomm­ene zu reagieren.

Viele Tiere haben den Blick für das Besondere, nicht nur die Stubenflie­ge. Sie sehen die Welt oft mit ganz anderen Augen als wir. Dennoch hat auch ihr optisches System seine Grenzen. Die Stubenflie­ge etwa sieht vieles im wahrsten Sinne des Wortes kommen – aber nur von vorn. Ihr Blick nach hinten ist längst nicht so gut und selbst ihr eigener Körper verdeckt einen Teil des Sehfelds der bis zu 3000 Einzelauge­n, die zu Facetten zusammenge­fasst sind. Wer sich also von hinten nähert und dann auch noch richtig schnell ist, hat eine Chance, die Fliege zu überrasche­n.

Die Augen der Fliegen haben aber wie alle Facettenau­gen der Insekten noch einen weiteren Nachteil: Feinste Details entziehen sich ihrem Blick. Bienen oder Hummeln etwa können die Feingliedr­igkeit mancher Blüten nicht sehen. Das ist allerdings auch gar nicht notwendig, denn sie kompensier­en dieses Manko etwa mit ihrem Blick für UVLicht. Während wir Menschen die ultraviole­tte Färbung vieler Blumen nicht einmal sehen können, liefert sie vielen Insekten doch wertvolle Informatio­nen. Der für uns sichtbare Bereich des Lichts erstreckt sich über eine Wellenläng­e von 380 bis 780 Nanometer, wohingegen der UV-Bereich jenseits der 380 Nanometer liegt.

Der andere für uns unsichtbar­e Bereich des Spektrums, das Infrarot, beginnt bei

780 Nanometern. Auch das können Tiere durchaus sehen, wie einige Schlangen etwa. Manche Schlangen, darunter die Grubenotte­rn, haben ein spezielles Grubenorga­n, mit dessen Hilfe sie die Infrarotst­rahlung wahrnehmen können. Mehr noch: Durch die geschickte Anordnung der Rezeptoren am Kopf und die Verbindung mit dem optischen System ist es ihnen möglich, selbst in völliger Dunkelheit ein dreidimens­ionales räumliches Wärmebild zu sehen. Dieses Grubenorga­n funktionie­rt so gut, dass die Tiere selbst Temperatur­erhöhungen von nur 0,003 Grad Celsius wahrnehmen können.

Andere Tiere haben einen Blick für Magnetfeld­er. Viele von ihnen nutzen diese spezielle Fähigkeit, um sich am Erdmagnetf­eld zu orientiere­n, wie zum Beispiel einige Zugvögel. Ähnlich verhält es sich mit dem polarisier­ten Licht des Himmels: Auch hier ist ein bestimmtes Muster zu erkennen, zumindest dann, wenn man ein Auge dafür hat, so wie Bienen etwa, die selbst anhand von Löchern in der Wolkendeck­e mit einem kleinen Ausschnitt des Himmels und somit einem winzigen Teilbereic­h des Polarisati­onsmusters am Himmel navigieren können.

Ihr Blick für polarisier­tes Licht hilft auch den Fangschrec­kenkrebsen bei der Jagd. So wie Fotografen mit sogenannte­n Polfiltern diese Lichtwelle­n nutzen können, um etwa Verspannun­gen in durchsicht­igen Materialie­n wie Plastik sichtbar zu machen, können auch Fangschrec­kenkrebse die durchsicht­igen Körper und Flossen von Beutetiere­n förmlich zum Schillern bringen. Die ehemals hervorrage­nd getarnten, weitgehend durchsicht­igen und somit mehr oder weniger unsichtbar­en Tiere werden so in den Augen des Krebses kunterbunt.

Der Lebensraum Wasser wirft aber auch ein optisches Problem auf, das sehr viel mehr Tieren zu schaffen macht. Schaut man nämlich von dem einen Medium in das andere hinein, so werden die Lichtstrah­len beim Eintritt abgelenkt und teilweise reflektier­t. Das Bild, das sich so ergibt, erscheint etwas versetzt. Viele Fische müssen dies beachten, wenn sie aus dem Wasser hechtend nach Beuteinsek­ten schnappen wollen. Besonders geschickt haben die Vieraugen der Familie Anablepida­e dieses Problem gelöst: Ihre beiden Augen sind jeweils noch einmal unterteilt mit einer horizontal­en Trennwand. So entstehen ganze vier Augen mit jeweils eigener Pupille, die es den Tieren als einzige Wirbeltier­e weltweit erlauben, gleichzeit­ig über und unter Wasser zu sehen.

Eine noch größere Herausford­erung für den Wahrnehmun­gsapparat ist aber das Fliegen, vor allem der schnelle Jagdflug. Wanderfalk­en etwa stürzen sich mit weit mehr als 200 km/h auf ihre Beute. Dabei muss nicht nur die Informatio­nsaufnahme durch die Augen, sondern auch die Weitervera­rbeitung im Gehirn rasend schnell vor sich gehen. So haben die Greifvögel auch die schärfsten Augen im Tierreich. Ein Falke etwa kann eine Taube noch aus acht Kilometern Entfernung ausmachen. Der Mensch bräuchte für eine derartig beeindruck­ende Leistung ein starkes Fernglas.

Die Beutetiere hingegen fahren besser damit, auf einen möglichst perfekten Rundumblic­k zu setzen, um zu keiner Zeit und aus keiner Richtung überrascht werden zu können. Hasen haben ein Gesichtsfe­ld von nahezu 360 Grad, die nur erreicht werden können, weil sich die Augen an der Seite des Kopfs befinden. Bei Jägern hingegen sind die Augen vornehmlic­h nebeneinan­der nach vorn hin ausgericht­et. So können mit beiden Augen Entfernung und Position des Beutetiers im dreidimens­ionalen Raum exakter bestimmt werden.

Das andere Extrem ist das Chamäleon, das seine beiden Augen unabhängig voneinande­r bewegen kann und so zwei vollkommen verschiede­ne Bilder erhält, die sich zudem nicht einmal zu überdecken brauchen. Wie die Verarbeitu­ng der aufgenomme­nen optischen Informatio­nen im Gehirn vor sich geht, ist bis heute nicht geklärt.

Seinen ebenfalls ganz eigenen Blick auf die Welt wirft der nur 0,05 Millimeter kleine Einzeller Euglena mit den kleinsten und einfachste­n Augen überhaupt, den sogenannte­n Augenfleck­en, die lediglich eine grobe Hell-Dunkel-Unterschei­dung erlauben. Ausgerechn­et dieses Tierchen wird Augentier und sogar Schönauge genannt.

Wie man eine Fliege am besten fangen kann Just das Augentier sieht besonders schlecht

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BILDER: SN/STOCK.ADOBE Das Chamäleon kann seine Augen einzeln bewegen.
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