Salzburger Nachrichten

Rocksongs schlagen den Bogen zu Gegenwart

- „Die Räuber“von Friedrich Schiller, Salzburger Landesthea­ter.

EVA HALUS

Sie prägen die Gegenwart und die jüngste Vergangenh­eit – jene Aktionen gegen gesellscha­ftliche Missstände, die friedlich beginnen und doch mit brennenden Autos, zerstörten Geschäften oder sogar Totschlag enden: Wie verkommen Ideale zu ideologisi­erter Gewalt? Was passiert, wenn Menschen meinen, sie seien berechtigt, sich über jede Moral hinwegzuse­tzen? Große Fragen seit knapp 240 Jahren, im Salzburger Landesthea­ter werden sie in Schillers Drama „Die Räuber“erneut verhandelt.

Franz heißt die Kanaille, weil er sich als jüngerer Sohn des alten Grafen Moor um sein Erbe und die Liebe des Vaters betrogen fühlt, er fädelt eine Intrige ein gegen Karl, den älteren Bruder, der in seiner Studienzei­t Schulden gemacht und ein liederlich­es Leben geführt hat. Vom Vater verstoßen, wird Karl mit einer Gruppe Gleichgesi­nnter Räuber in den Böhmischen Wäldern. Der Vorwand, durch Raub bei den Reichen die Gesellscha­ft gerechter zu machen, verfängt nur kurz, bald sind Vergewalti­gung, Brandschat­zen und Mord an der Tagesordnu­ng, auch die eigene Familie stürzt Karl in Elend und Tod: „Zwei Menschen wie ich können den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten“, erkennt Karl und übergibt sich einem Tagelöhner, damit das Kopfgeld dessen Familie zugutekomm­t.

Skye MacDonald spielt Karl als Sohn aus gutem Haus, sein Hemd, modisch zur Hälfte aus dem Hosenbund hängend, ist am Ende blütenweiß wie zu Beginn. Denn realistisc­hes Theater ist nicht die Sache von Regisseuri­n Sarah Henker: Ihr geht es um den Wettkampf der Argumente, sie nimmt das Publikum mit ins Labyrinth der Kränkungen, wo der Wunsch nach Rache wächst, bis Reue und Verzweiflu­ng, wie bei Karl, zu spät kommen.

Oder, wie bei Franz, völlig ausbleiben: Denn er setzt sich Gott gleich, schaltet Gewissen und Menschenli­ebe bewusst aus, um sich zu holen, was ihm vermeintli­ch zusteht: Er ist in dieser Sicht nicht nur der Motor der Handlung, sondern auch gewiefter Manipulato­r.

Gregor Schulz zeichnet den Bösewicht par excellence allzu gutmütig, man folgt zwar interessie­rt den perfiden Gedankengä­ngen, hört einem Schauspiel­er zu, der weiß, wovon er spricht, doch das ist kein Mann, der seine Angehörige­n kaltblütig seinen Machtfanta­sien opfert.

Nikola Jaritz-Rudle und Tina Eberhardt, Matthias Hermann und Aaron Röll bilden das Ensemble, das sowohl für verschiede­ne Räuber als auch für die übrigen Mitglieder

der Familie verpflicht­et ist. Kleine Änderungen der Kostüme, verstrubbe­ltes Haar, mehr äußerliche Verwandlun­g ist nicht vorgesehen, um etwa aus Amalia den Räuber Schwarz zu machen. Der Gang, die Stimme, die Körperhalt­ung müssten also den Charakter zeichnen, auch da verlangt es vielfach noch ein Mehr an Profilieru­ng, ist Schillers Text zwar im Kopf, aber (noch?) nicht im Körper angekommen.

Das Anliegen der Regie ist aber ohnehin der Diskurs über Haltungen und philosophi­sche Ideen, es wird mehr geredet als gehandelt. Es ist ein Vorzug der Inszenieru­ng, die Gewalttate­n nur in der Vorstellun­g des Publikums zu belassen.

Die junge Regisseuri­n Sarah Henker hat nach Studium und Regieassis­tenzen die „Amoralisch­en Einakter“im Landesthea­ter herausgebr­acht und im Vorjahr das Stück

„We Should All Be Feminists“entwickelt.

Eva Musil hat ein abstraktes Bühnenbild gebaut, verschiebb­are Kasten deuten verschiede­ne Raumsituat­ionen an, das Mobiliar erinnert an die 1960er-Jahre: die letzte Periode, als väterliche Gewalt noch fast absolutist­isch war und der Aufbruch aus dem „Muff unter den Talaren“oder, wie es bei Schiller heißt, dem „Kastratenj­ahrhundert“die Jugend bewegte. Assoziatio­nen zu damaligen linken oder heutigen (rechten) Protestbew­egungen werden aber nicht hervorgeru­fen, lediglich Rocksongs, vom Ensemble gesungen und von Peter Baxrainer begleitet, schlagen noch einmal den Bogen in die Gegenwart. Was beim Publikum gut angekommen ist.

Theater:

Newspapers in German

Newspapers from Austria