Rocksongs schlagen den Bogen zu Gegenwart
EVA HALUS
Sie prägen die Gegenwart und die jüngste Vergangenheit – jene Aktionen gegen gesellschaftliche Missstände, die friedlich beginnen und doch mit brennenden Autos, zerstörten Geschäften oder sogar Totschlag enden: Wie verkommen Ideale zu ideologisierter Gewalt? Was passiert, wenn Menschen meinen, sie seien berechtigt, sich über jede Moral hinwegzusetzen? Große Fragen seit knapp 240 Jahren, im Salzburger Landestheater werden sie in Schillers Drama „Die Räuber“erneut verhandelt.
Franz heißt die Kanaille, weil er sich als jüngerer Sohn des alten Grafen Moor um sein Erbe und die Liebe des Vaters betrogen fühlt, er fädelt eine Intrige ein gegen Karl, den älteren Bruder, der in seiner Studienzeit Schulden gemacht und ein liederliches Leben geführt hat. Vom Vater verstoßen, wird Karl mit einer Gruppe Gleichgesinnter Räuber in den Böhmischen Wäldern. Der Vorwand, durch Raub bei den Reichen die Gesellschaft gerechter zu machen, verfängt nur kurz, bald sind Vergewaltigung, Brandschatzen und Mord an der Tagesordnung, auch die eigene Familie stürzt Karl in Elend und Tod: „Zwei Menschen wie ich können den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten“, erkennt Karl und übergibt sich einem Tagelöhner, damit das Kopfgeld dessen Familie zugutekommt.
Skye MacDonald spielt Karl als Sohn aus gutem Haus, sein Hemd, modisch zur Hälfte aus dem Hosenbund hängend, ist am Ende blütenweiß wie zu Beginn. Denn realistisches Theater ist nicht die Sache von Regisseurin Sarah Henker: Ihr geht es um den Wettkampf der Argumente, sie nimmt das Publikum mit ins Labyrinth der Kränkungen, wo der Wunsch nach Rache wächst, bis Reue und Verzweiflung, wie bei Karl, zu spät kommen.
Oder, wie bei Franz, völlig ausbleiben: Denn er setzt sich Gott gleich, schaltet Gewissen und Menschenliebe bewusst aus, um sich zu holen, was ihm vermeintlich zusteht: Er ist in dieser Sicht nicht nur der Motor der Handlung, sondern auch gewiefter Manipulator.
Gregor Schulz zeichnet den Bösewicht par excellence allzu gutmütig, man folgt zwar interessiert den perfiden Gedankengängen, hört einem Schauspieler zu, der weiß, wovon er spricht, doch das ist kein Mann, der seine Angehörigen kaltblütig seinen Machtfantasien opfert.
Nikola Jaritz-Rudle und Tina Eberhardt, Matthias Hermann und Aaron Röll bilden das Ensemble, das sowohl für verschiedene Räuber als auch für die übrigen Mitglieder
der Familie verpflichtet ist. Kleine Änderungen der Kostüme, verstrubbeltes Haar, mehr äußerliche Verwandlung ist nicht vorgesehen, um etwa aus Amalia den Räuber Schwarz zu machen. Der Gang, die Stimme, die Körperhaltung müssten also den Charakter zeichnen, auch da verlangt es vielfach noch ein Mehr an Profilierung, ist Schillers Text zwar im Kopf, aber (noch?) nicht im Körper angekommen.
Das Anliegen der Regie ist aber ohnehin der Diskurs über Haltungen und philosophische Ideen, es wird mehr geredet als gehandelt. Es ist ein Vorzug der Inszenierung, die Gewalttaten nur in der Vorstellung des Publikums zu belassen.
Die junge Regisseurin Sarah Henker hat nach Studium und Regieassistenzen die „Amoralischen Einakter“im Landestheater herausgebracht und im Vorjahr das Stück
„We Should All Be Feminists“entwickelt.
Eva Musil hat ein abstraktes Bühnenbild gebaut, verschiebbare Kasten deuten verschiedene Raumsituationen an, das Mobiliar erinnert an die 1960er-Jahre: die letzte Periode, als väterliche Gewalt noch fast absolutistisch war und der Aufbruch aus dem „Muff unter den Talaren“oder, wie es bei Schiller heißt, dem „Kastratenjahrhundert“die Jugend bewegte. Assoziationen zu damaligen linken oder heutigen (rechten) Protestbewegungen werden aber nicht hervorgerufen, lediglich Rocksongs, vom Ensemble gesungen und von Peter Baxrainer begleitet, schlagen noch einmal den Bogen in die Gegenwart. Was beim Publikum gut angekommen ist.
Theater: