Wissenschaft
Ich hab dich lieb, Alter! Senioren und die junge Liebe
Eine sichere Bindung ist schon für den Säugling von größter Bedeutung – und das Thema zieht sich durch das ganze Leben bis ins hohe Alter.
In der Pension tauchen dann gänzlich neue Herausforderungen auf, wenn plötzlich beide Partner zu Hause sind oder man nach vielen Berufsjahren allein daheim ist – ohne Kontakt mit Arbeitskolleginnen und -kollegen. In Partnerschaften wiederum können lange schlummernde Konflikte aufbrechen, Krankheiten, Pflegebedürftigkeit und Ängste vor dem Altwerden die Beziehung belasten. Was bedeutet das für den Alltag und das Bindungsverhalten?
Pensionsschock
Von einem Tag auf den anderen fährt der Mann oder die Frau nicht mehr morgens zur Arbeit. Stattdessen sitzen beide zu Hause – eine gänzlich neue Erfahrung. Paare, die vorher wenig Zeit hatten, können nun womöglich Versäumtes nachholen. Doch in anderen Fällen kann die neue Nähe auch zu einer Belastungsprobe werden. „Partner, die eher bindungsvermeidend waren, sind da sehr gefordert“, sagt der Psychiater und Bindungsforscher Karl Heinz Brisch. „Da kann es dann sein, dass ein Partner im Keller verschwindet und werkelt und bastelt und die Partnerin dauernd mit Wandergruppen unterwegs ist.“
Die alte Liebe geht, die neue kommt
Die Zeit um den Pensionsantritt ist also für viele Beziehungen durchaus eine kritische – und das Thema Bindung erfordert neue Anpassungen. Wenn das gemeinsame Projekt Kindererziehung beendet ist und die seit Langem bestehenden Differenzen offen zutage treten, überleben das manche Partnerschaften nicht. Für denjenigen, der sich trennt und neu verliebt, könne das sehr stimulierend sein, sagt Bindungsexperte Brisch. „Das ist mit starken Gefühlen einer neuen Bindung verbunden und mit Erotik, mit dem Jungsein und Jungbleiben. Da erlebt man noch einmal emotional einen sehr späten Frühling, Verliebtheit, Begeisterung, neue Ideen und Aktivitäten.“Das sei vor allem dann der Fall, wenn der/die neue Partner/-in deutlich jünger sei. Wenn der 60-jährige Mann eine um 20 Jahre jüngere Frau wähle, könne das zwar auch ein „Weglaufen vor dem Alter“sein, sagt Brisch. „Es kann aber auch stimulierend sein und neue Kräfte und Ressourcen auf den Weg bringen.“
Ähnlich sieht es Gerty Mayerhofer, die eine exklusive Partnervermittlungsagentur mit Sitz in Salzburg betreibt. Frauen und Männer ab 60 zählten heute nicht mehr als alt, sagt Mayerhofer. „Meist sind sie sehr jugendlich, aktiv, sportlich und attraktiv.“Gerade diejenigen, die zuvor „aktiv und lustvoll“gelebt hätten, wünschten sich das auch noch in späteren Jahren. „Viele genießen gerade ab diesem Alter die Sexualität intensiver, sind freier und experimentierfreudiger.“Jedenfalls bestehe der Wunsche nach Liebe und Geborgenheit bis ins hohe Alter, sagt die Partnervermittlerin. „Ich habe schon Menschen erfolgreich vermittelt, die jenseits der 80 waren.“Der neuen Liebe geht jedoch meist ein schmerzvoller Trennungsprozess voraus. „Für denjenigen, der zurück bleibt, ist es ausgesprochen kränkend, zutiefst verletzend, wenn eine Beziehung nach vielen Jahren einer partnerschaftlichen Bindung zu Ende geht“, sagt Brisch.
„Da braucht es Menschen rundherum, die verstehen und helfen – und die nicht nur sagen: ,Sei froh, dass du ihn oder sie los bist.‘“
Die Wünsche an den neuen Partner
Was aber wünschen sich Frauen und Männer, die sich im Alter erneut an jemanden anderen „binden“? „Es geht in erster Linie um Gemeinsamkeiten“, sagt Mayerhofer. „Die Partnerschaft sollte auf Augenhöhe sein. Jemand, der einen hohen Bildungsgrad hat, wünscht sich einen ebensolchen Partner. Jemand, der vermögend ist, möchte niemanden, der mittellos ist.“Gutes Benehmen sei eine Selbstverständlichkeit. Wichtig seien auch Treue, Vertrauen, gegenseitige Achtung, das Füreinander-Dasein, Empathie und Loyalität. Im Alter wünschten sich die Menschen meist eine „gewisse Zugehörigkeit zu einem geliebten Menschen“, sagt Mayerhofer. Eine enge Bindung oder Heirat stünden da nicht einmal so sehr im Vordergrund. „Viele möchten getrennte Wohnungen, aber die Freizeit und Familienfeste, traditionelle Feiern wie Weihnachten oder Ostern gemeinsam erleben.“Wichtig sei auch der gemeinsame Besuch von Opern oder Konzerten – gemeinsame Erlebnisse also.
Neue Bindungen zu den Enkeln
Stimulierend können auch die Enkel sein, die frischen Wind in das Leben von Opa und Oma bringen. Großeltern hätten in der Pension mehr Muße und Zeit, um zu beobachten, wie sich die Kleinen entwickelten, sagt Brisch. „Sie sind nicht mehr hin und her gerissen zwischen Alltagssorgen und Beruf und sie haben die Gewissheit, die Kinder wieder abgeben zu können.“Die Bindung zu den Enkeln kann freilich auch empfindlich gestört sein, wenn sich die Eltern der Enkel trennen. Brisch: „Dann leiden die Großeltern auch, vor allem, wenn sie vorher intensive Betreuungsaktivitäten mit den Enkeln hatten.“
Enge Bindung an die verstorbenen Eltern
Und wie steht es um das Bindungsverhalten von Senioren im hohen Alter? Da gebe es den großen Wunsch nach Vertrautem – vertrauten Menschen, Kindern, Enkelkindern, Partnern, auch Freunden, sagt Maria Liem, die im Seniorenheim Mattsee für Gedächtnistraining, Gymnastik und Animationsprogramme zuständig ist. „Da ist es den alten Menschen schon sehr wichtig, Kontakte zu halten.“Dabei umfasse die Sehnsucht nach dem Vertrauten mehr als die engsten Verwandten. „Es geht um das Verbundensein mit dem, was mich umgibt. Das können Situationen oder vertraute Lieder sein, Erinnerungen, Fotos und auch Gegenstände wie Möbel, Bilder, die Ohrringe von der Großmutter – was immer ihnen wertvoll und wichtig ist. Auch die Rückbindung an den Glauben ist für manche ein großer Trost“, sagt die Theologin Liem, die seit mehr als 20 Jahren in der Seniorenbetreuung tätig ist. Eine Besonderheit im hohen Alter sei die Bindung an die eigenen, längst verstorbenen Eltern, gerade bei an Demenz erkrankten Menschen, sagt Liem. „Sie erzählen sehr gerne von ihren Eltern und Großeltern. Das Vertraute aus der Kindheit, die Geborgenheit, die sie erlebt haben – das ist sehr präsent und sehr wichtig.“Dass den Menschen im hohen Alter auch schon viel Abschiednehmen und Loslassen abverlangt worden sei, sei Teil ihrer reichen Lebenserfahrung.
Was eine dauerhafte Bindung an einen Partner bedeutet, weiß die 63-jährige Seniorenbetreuerin auch aus eigener Erfahrung, ist sie doch seit fast 40 Jahren verheiratet. Wie geht es, dass eine Bindung so lange hält? „Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, dass wir uns gegenseitig die Freiheit lassen, so zu sein, wie wir sind.“
Zur „Bindung im Alter“referiert Karl Heinz Brisch am Mittwoch, 7. Oktober, 19.30 Uhr, im SN-Saal, Karolingerstraße 40, 5020 Salzburg. Eintritt: 10 Euro. Coronabedingt nur mit Reservierung: www.sn.at/reservierung oder 0662-8373-222 (SNKundenservice). Der Vortrag wird aufgezeichnet und kann ab Freitag auf sn.at/video abgerufen werden. Es handelt sich um eine gemeinsame Veranstaltung von SN und Bildungszentrum St. Virgil Salzburg.