Der Mensch ist das Problem, nicht der Käfer
Über Gegensätze, die schon die großen Philosophen im alten Griechenland nicht auflösen konnten.
Jetzt krabbelt der Schwarze Grubenlaufkäfer ins Leben. Hat lang gedauert. Dabei war ich stets Käferfan, ja gar ein bisschen Insektenliebhaber. Libellen zum Beispiel konnte ich stundenlang zuschauen. Dieses Hubschraubern und Glänzen, grazile Bewegung und Schönheit. Da können Käfer schwer mithalten. So muss es niemanden verwundern, dass es so lange dauerte, bis mir der Grubenlaufkäfer unterkam. Er lebt nämlich in der Erd’, in der unübersichtlichen Pampa der Wiesen und Felder. Und just wurde er nun dort aufgestöbert, wo der Mensch eine flotte Eisenbahn durch eine Wiese des Flachgaus bauen will. Ein Sensationsfund, heißt es von denen, die keine Bahn haben wollen, sondern Natur. Früher wurden für neue Eisenbahntrassen ganz Büffelherden abgemurkst. Auf die Letzten ihrer Art wurde sogar aus fahrenden Zügen geballert. Das war der Fortschritt. Aber das war nicht im Flachgau, sondern im Wilden Westen, aus dem bekanntlich mit der Bibel unterm Arm – „Macht euch die Erde untertan“– und dem Gewehr in der Hand die USA wurden. Das war, bevor die Menschenrechte aufgeschrieben waren oder man gar in der UN-Dekade „Biologische Vielfalt“lebte. Das tun wir übrigens noch bis Ende dieses Jahres und ich habe ein schlechtes Gewissen. Früher haben wir manches Insekt zermantscht. Einfach so. Bei dieser Suche nach Antworten auf das Wesen der Existenz und ihrer Auslöschung ist der Tod eines Käfers immer noch besser, als sich an ein Motto aus einem Johnny-Cash-Song zu halten: „I shot a man in Reno, just to watch him die“. Wir zermantschten zwar archaisch, wir waren unserer Zeit kulinarisch aber voraus. Wir beobachteten Libellen, fischten schwarz und weil wir nichts erwischten, aßen wir Käfer. Auch Regenwürmer und Heuschrecken haben wir auf dünnen Holzstäbchen über einem Lagerfeuer gegrillt. Just to watch, wie’s schmeckt. Damals waren das Mutproben. Wie hätten wir als Buben ahnen können, dass die Entomophagie, also der Verzehr von Insekten, einmal neben Frutarismus und Veganertum als gesunde Ernährung, ja als Weltrettungsmaßnahme gelten könnte. Was im Lauf der Menschheit aus den Menschen wird, ist schrecklich unberechenbar. Aber es gilt, womit die Grundlehre des alten Heraklit zusammengefasst wird: Panta rhei – alles fließt. Heraklit, dessen Ernährungsgewohnheiten nicht bekannt sind – vielleicht Oliven und Schafkäse, weil Griechenland –, hat vor 2500 Jahren über den natürlichen Prozess eines beständigen Werdens und Wandels nachgedacht – und auch über Gegensätze wie Tag und Nacht, Eintracht und Zwietracht. Der Gegensatz Käfer–Eisenbahn kam naturgemäß nicht vor. Erwiesenermaßen ist die Eisenbahn im Gegensatz zum Auto besser für die Umwelt. Wie das mit der Natur des Käfers zusammengeht, ist eine andere Sache. Das Problem jedoch ist stets der Mensch, nicht der Käfer.