Salzburger Nachrichten

Überrasche­nder Freispruch im Mordfall Ján Kuciak

Der slowakisch­e Journalist wurde 2018 in seinem Haus erschossen. Nun wurde der vermutete Drahtziehe­r freigespro­chen.

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Es war ein Beben mit Ankündigun­g. Als Richterin Ružena Sabová am Donnerstag einen doppelten Freispruch für die mutmaßlich­en Drahtziehe­r im Mordfall Ján Kuciak verkündete, da ging eine Schockwell­e durch die Slowakei. Sie war aber gedämpft. Zu viel hatten die Menschen in dem kleinen EULand bereits erlebt seit den Todesschüs­sen auf den Enthüllung­sjournalis­ten Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová im Februar 2018. Sie waren deshalb auf alles vorbereite­t. Und doch: Dass die „offensicht­lichen Ingenieure des Doppelmord­s vorerst straflos bleiben, löst Wut und Trauer aus“, erklärte Premiermin­ister Igor Matovič.

Wichtig ist das unscheinba­re Wort „vorerst“. Denn die Staatsanwa­ltschaft hatte bereits angekündig­t, bei einem Freispruch in Berufung zu gehen. So wird es nun wohl kommen. Das änderte am Donnerstag allerdings nichts daran, dass die entsetzten Angehörige­n der ermordeten Kuciak und Kušnírová teils unter Tränen den Saal verließen, kaum dass Richterin Sabová einen „Mangel an Beweisen“festgestel­lt hatte. Dem millionens­chweren Geschäftsm­ann Marián Kočner sei nicht zweifelsfr­ei nachzuweis­en, dass er die Tat in Auftrag gegeben habe. Das Gleiche gelte für seine mitangekla­gte Komplizin Alena Zsuzsová, die laut Ermittlern den Kontakt zu den Auftragski­llern hergestell­t und alles organisier­t hatte. Die Staatsanwa­ltschaft hatte für beide je 25 Jahre Haft gefordert.

„Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Angeklagte­n“, betonte hingegen Richterin Sabová. An der Schuld der Männer, die den Mord ausführten, gab es allerdings keine Zweifel. Der Todesschüt­ze, der ExSoldat Miroslav M., hatte bereits im

Jänner ein Geständnis abgelegt und war zu 23 Jahren Haft verurteilt worden. Der Fahrer des Fluchtfahr­zeugs wurde am Donnerstag schuldig gesprochen und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Ein weiterer geständige­r Mittelsman­n sitzt eine 15-jährige Gefängniss­trafe ab. Er und der Mörder hatten Zsuzsová und Kočner schwer belastet. Dem Gericht fehlte aber das, was Ermittler eine „smoking gun“nennen, eine rauchende Waffe: „Es wurde kein einziges direktes Beweisstüc­k für den Mordauftra­g vorgelegt.“

„Wir müssen weiterlebe­n, bis wir Gerechtigk­eit bekommen“, sagte die Mutter der ermordeten Kušnírová, nachdem sie den Gerichtssa­al fluchtarti­g verlassen hatte, dann aber noch einmal zu den wartenden

Journalist­en zurückgeke­hrt war. „Das haben wir unseren Kindern am Grab versproche­n.“

Der Mörder Miroslav M. hatte im Februar 2018 an Kuciaks Haustür in dem Städtchen Veľká Mača geklingelt und den Reporter, der nach der späteren Aussage des Täters „einfach die falschen Sachen geschriebe­n hat“, auf der Schwelle erschossen. Als Kuciaks Verlobte auftauchte, erschoss er sie ebenfalls. Kuciak wurde nur 27, Kušnírová 28 Jahre alt.

In der Slowakei löste der Doppelmord nicht nur Trauer und Entsetzen aus, sondern auch Massenprot­este gegen die Regierung des linkspopul­istischen Premiers Robert Fico, der schließlic­h zurücktrat. Nach dem Urteil halten Beobachter eine neue Protestwel­le für möglich.

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BILD: SN/AFP Trauer und Wut herrschten nach der Ermordung von Ján Kuciak.

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