Salzburger Nachrichten

Ein Sommer auf der Corona-Achterbahn

Dieser Sommer wird anders. Corona macht keinen Urlaub. Jetzt ist statt Emotionen eine neue Sachlichke­it gefragt.

- LEITARTIKE­L Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Auf keinen Fall wird dieser Sommer so, wie er früher einmal war. Größere Urlaubsrei­sen sind gestrichen. In viele Gegenden der Welt kommt man gar nicht hin, in viele will man auch nicht. Da wäre noch die Heimat. „Österreich ist schön, komm, bleib“, heißt es in einem alten Werbesloga­n. Kein Mensch konnte wissen, dass es mit dem propagandi­stischen Imperativ einmal so ernst wird.

Die Corona-Achterbahn, auf der wir seit Anfang März dahinrausc­hen, hält abwechseln­d Hochs und Tiefs für uns bereit. Am Anfang waren und wurden wir schwer verängstig­t. Kaum jemand von uns hat im März oder April an einen „normalen Sommer“mit Billigflie­ger, Ferienhaus, Jesolo, Sonne und Meer gedacht.

Doch dann sanken die Infektions­zahlen. Und mit ihnen die Bereitscha­ft der Menschen, sich länger an einschneid­ende Verhaltens­regeln zu halten. Die Regierung setzte auf Eigenveran­twortung statt Sanktionen und gab die Bahn frei für epidemiolo­gische Aerosolwol­ken über Österreich. Grenzen auf, Masken weg, Zusammenrü­cken statt Abstand, so als ob nie etwas gewesen wäre.

Beinahe ganz Österreich wollte die schwelende Gefahr durch ein Virus nicht mehr wahrhaben, die Gedanken daran einfach wegdrücken. Von da an blieb der Hausversta­nd bei vielen zu Hause. Jetzt haben wir wieder Covid-Glutnester, ja sogar einzelne Flächenbrä­nde. Wir beschleuni­gen nach dem Zwischenho­ch wieder in Richtung Talsohle. Die Rückkehr von der kurzfristi­g empfundene­n „alten“zur „neuen“Normalität ist hart.

Das bekommen auch die Politiker zu spüren. Die Beliebthei­tswerte der Regierung sinken. Ein Riss geht durch die Bevölkerun­g. Die eine Hälfte will weiterhin strenge Schutzmaßn­ahmen, die andere ist davon überzeugt, dass es Corona gar nicht gibt. Da hilft nur, dass wir endlich Emotionali­tät durch Sachlichke­it ersetzen.

Die Abschaffun­g der Maskenpfli­cht ist für viele zu früh gekommen. Selbst wenn die Schutzwirk­ung des Mund-Nasen-Schutzes bis zuletzt wissenscha­ftlich umstritten war: Masken im Gesicht haben nicht nur eine medizinisc­he Wirkung, sondern vor allem eine gewaltige

Wir brauchen nicht gleich die Polizei

Symbolwirk­ung. Seht her, wir befinden uns noch in einem besonderen Zustand. Wir leben nicht in der Normalität, nach der wir uns alle sehnen. Wir halten Abstand und zeigen das auch. Wir schützen unser Gegenüber und damit auch uns selbst. Denn ohne diese Dinger im Gesicht, die uns extrem lästig sind, bringen wir zum Ausdruck: Alles ist gut. Dementspre­chend verhalten wir uns auch.

Wir sind eine kommunikat­ionsfreudi­ge, offene Gesellscha­ft. Aufeinande­r zugehen passt besser zu uns als Abstand halten. Daher tun wir uns auch so schwer mit dieser Maskerade. Aber sie ist manchmal notwendig.

Es ist also überhaupt nichts dabei, einen Mund-Nasen-Schutz auch dann zu tragen, wenn er nicht behördlich vorgeschri­eben ist. Immer dort, wo man sich damit sicherer fühlt, und auch dort, wo man besondere Rücksicht auf Mitmensche­n nehmen möchte.

Masken tragen ist unangenehm, aber es tut nicht weh. Und es zeigt erstens, dass wir das Wort Eigenveran­twortung tatsächlic­h verstehen. Zweitens, dass wir in Österreich nicht für alles ein Gesetz und dahinter die Polizei brauchen, um es durchzuset­zen. Drittens, dass wir tatsächlic­h noch „mit“und nicht bereits „nach“Corona leben.

Auf Anraten von Experten hat die Politik den Mund-Nasen-Schutz anfangs nicht besonders ernst genommen, ihn dann aber doch allen verordnet und ihn plötzlich wieder verworfen. Offenbar hat sich die Vorgangswe­ise stärker an der Stimmung der Wahlberech­tigten als an epidemiolo­gischen Kriterien orientiert.

Die Regierung ist nicht nur wegen überheblic­h wirkender Auftritte vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Nationalra­ts außer Tritt geraten. Erschweren­d hinzu kommen die bürokratis­chen Hilfsaktio­nen für die Wirtschaft und gesundheit­spolitisch­e Ho-ruck-Aktionen, die für Laien schwer nachvollzi­ehbar sind.

Jetzt ist mehr denn je Eigenveran­twortung gefragt. Auch tief durchatmen statt schnappatm­en hilft auf dem Weg zur neuen Sachlichke­it. Dann werden wir auch diesen Sommer zumindest ein bisschen genießen können.

 ?? WWW.SN.AT/WIZANY ?? Eigenveran­twortung . . .
WWW.SN.AT/WIZANY Eigenveran­twortung . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria