Noch ist die Insolvenzwelle unsichtbar
Aber in den nächsten ein, zwei Jahren wird die Zahl der Firmenpleiten deutlich steigen, meint KSV-Insolvenzexperte Kantner. Die Krise bringe Dynamik und Bewegung in einen Bereich, wo es schon zu lang Stillstand gegeben habe.
WIEN. Hans-Georg Kantner, der langjährige Leiter der Insolvenzabteilung im Kreditschutzverband von 1870 (KSV), ist ein besonnener Mann, der seine Worte mit Bedacht wählt. So will er nicht gleich die Apokalypse an die Wand zeichnen, wenn er über die Auswirkungen der Coronakrise auf die österreichische Volkswirtschaft befragt wird.
Ja, es werde wohl eine Insolvenzwelle in den nächsten ein bis zwei Jahren geben, sagt er. Aber weder Zeitpunkt noch Ausmaß seien derzeit seriös abschätzbar. Und statistisch ablesbar ist das noch gar nicht. Bisher ist die Zahl der Insolvenzen heuer sogar rückläufig. Auch weil Handelsgerichte coronabedingt wochenlang nur sehr eingeschränkt arbeiten konnten, werde es zu einem Nachholeffekt kommen. Dazu komme das Phänomen, dass Insolvenzwellen oft mit einem Aufschwung zusammenfallen. „Im Abschwung werden Unternehmen getroffen, haben aber meist noch Reserven“, weiß Kantner. Die Probleme begännen in der Talphase.
Zum Vergleich: Nach Ausbruch der Finanzkrise 2008/09 nahm die Zahl der Insolvenzen in Österreich um neun Prozent zu. Ein einstelliges Plus hielte Kantner auch diesmal für zu bewältigen. Obwohl er vor einem Vergleich mit der Finanzkrise warnt. Sei es damals darum gegangen, „ein plötzlich ins Zwielicht geratenes Bankenwesen zu stabilisieren“, habe man es jetzt mit etwas Biologischem zu tun, einem Virus, über das man immer noch relativ wenig wisse und das möglicherweise sein Gefährdungspotenzial noch nicht vollständig gezeigt habe.
Mit der Pandemie konnte niemand rechnen. Aber unerwartete Veränderungen seien immer möglich, „gute Unternehmen sind auf Unerwartetes vorbereitet und haben Eigenkapital als Krisenpuffer“, meint Kantner. Das heißt, „alle insolventen Unternehmen, die wir jetzt sehen, hätten auch ohne Corona Probleme bekommen“.
Deshalb hält Kantner auch nicht viel davon, jedes Unternehmen um jeden Preis zu retten. In Österreich gebe es in der Hinsicht ohnehin wenig Dynamik. Nur rund 1,2 bis 1,3 Prozent der Unternehmen melden jährlich Insolvenz an. „Bei einem Wert von unter einem Prozent muss man sich ja fragen, ob es da überhaupt Wettbewerb gibt“, sagt Kantner. Eine Insolvenzwelle bringe „jetzt notgedrungen die Dynamik in die Wirtschaft, die wir in den letzten Jahren vermisst haben“– wenn auch ungewollt schmerzhaft.
Aus abstrakter Sicht sei ein gewisser Austausch notwendig und gut. Das sei natürlicher Teil des Wettbewerbs und die Belohnung für die Erfolgreichen, die dann weniger Erfolgreiche ganz oder in Teilen übernehmen könnten. „Auch Menschen müssen manchmal sterben, sonst wird’s à la longue ein bisschen eng“, sagt Kantner. Der freilich Insolvenzen nicht mit dem Tod vergleichen will. Rund ein Drittel der insolventen Unternehmen nutze die Phase wie einen Boxenstopp, um dann mit einem Sanierungsplan neu durchzustarten.
Neu durchstarten dürfte auch Kantner selbst. Ende September werde sich beruflich „eine Änderung ergeben“. Er verlässt den KSV, eineinhalb Jahre vor Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters. Weil er sich aber „noch nicht in der Phase fühle, ein Pensionist zu sein“, sei er offen für neue Herausforderungen.