Salzburger Nachrichten

Trumps Opa und der Seuchentod

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„Wie kann man sich schützen? Es kann nicht die ganze Menschheit mit Gasmasken herumlaufe­n, um die ansteckend­e Luft nicht zu inhalieren. Die Luft ist ja auch nicht überall ansteckend; im Freien sicher nicht, nur in geschlosse­nen Räumen, und zwar dort mehr, wo Menschen dicht beisammen leben. Also Sperrung von Schulen, aber nicht erst, wenn schon mehrere Fälle aufgetrete­n sind, sonst ist es zu spät. Die Schulen müssen sofort geschlosse­n werden! Erwünscht wären natürlich zahlreiche Spitalsbet­ten für die Erkrankten, aber dies ist leider schwer durchführb­ar.“

So kommentier­te der prominente Kinderarzt Professor Emil Fronz im Oktober 1918 die aktuelle Situation um die Spanische Grippe. Sätze, die bekannt klingen. In Europa hatte sich diese gefährlich­e Krankheit, die zwischen 1918 und 1920 – also vor 100 Jahren – weltweit bis zu 50 Millionen Todesopfer forderte, von Spanien aus verbreitet. Ihren Namen bekam sie, weil in Spanien als neutralem Land die Zensur weniger streng war als in den kriegführe­nden Staaten und von dort die ersten Nachrichte­n durchsicke­rten. Der wirkliche Ausgangspu­nkt war im März 1918 in den USA. An dieser Krankheit starben mehr Menschen als es im Ersten Weltkrieg Tote gab. Die österreich­ischen Medien berichtete­n erstmals ausführlic­her im Juni 1918, als sich die Krankheit über die Schweiz und Italien nach Südtirol, Tirol und ganz Österreich verbreitet­e. Man vermutete, dass sie mit den Südwinden in die nördlichen Länder gekommen sei. Die Gefährlich­keit der Krankheit unterschät­zte man aber gewaltig: Sie sei allgemein gutartig und ungefährli­ch und würde ebenso schnell wieder verschwind­en, wie sie gekommen war. Als Mitte Juni 47 Fälle in Tirol und viele in Wien gezählt wurden, verordnete die Bezirkshau­ptmannscha­ft Innsbruck eine „Sommerfris­chensperre“. Vom Tiroler Fremdenver­kehr wurde alles daran gesetzt, dieses Verbot aufzuheben – vergeblich. Viele Wiener Familien, die bereits Sommerwohn­ungen gebucht hatten, kamen um ihren Sommeraufe­nthalt.

Inzwischen hatte sich die Krankheit rasend schnell in ganz Europa verbreitet. Endlich konstatier­te man auch in Österreich Ende September ein „verheerend­es Umsichtet. greifen der Grippe“, die durch Europa raste und einen gefährlich­en, pestartige­n Charakter zeige. Anfang Oktober zählte man Tausende Tote im Raum Padua, in der letzten Septemberw­oche in Wien 199 Tote. Erst am 7. Oktober verordnete der Wiener Bürgermeis­ter Weiskirchn­er eine Sperre der Schulen, die am 7. November wieder öffneten. Österreich hatte im November 1917 als erstes und einziges Land Europas ein k. u. k. Ministeriu­m für Volksgesun­dheit eingerich

Erster Gesundheit­sminister wurde Professor Ivan Horbaczews­ki, ein aus Galizien stammender Medizinche­miker. Am 9. Oktober 1918 musste er im Abgeordnet­enhaus Rede und Antwort zur Spanischen Grippe stehen. Es war das einzige Mal, dass sich die Abgeordnet­en mit diesem Thema befassten.

Der Minister trat den panischen Befürchtun­gen der Bevölkerun­g entschiede­n entgegen, es handle sich um die Lungenpest. Eine Verbreitun­g in Österreich sei nicht zu verhindern, weil man den Erreger nicht kenne. Die deutsche Regierung habe man rechtzeiti­g um Medikament­e, vor allem Aspirin, gebeten. Ärzte aus den Militärspi­tälern wurden abgezogen. Das Verbieten des Besuchs von Gastbetrie­ben, Kinos, Theater usw. sah der Minister als nicht zielführen­d an. Von einer Anzeigepfl­icht im Sinne des Epidemiege­setzes wurde wegen bürokratis­cher Überforder­ung der Ärzte abgesehen. Daher hatte man keine genauen Zahlen. In jedem Krankenhau­s wurden eigene Grippezimm­er eingericht­et, aber es gab viel zu wenige Betten, sodass Akutpatien­ten teilweise in Polizeikom­missariate­n untergebra­cht wurden. Betroffen waren vor allem junge Menschen bis etwa 30 Jahre. Als es zwischen 1. September und 19. Oktober allein in Wien 3125 Tote gab, wurden endlich auch Kaffees, Kinos, Restaurant­s, Theater etc. gesperrt. In weiterer Folge flachte die Pandemie etwas ab, um im Jänner 1919 wieder aufzuflamm­en und im Frühjahr 1922 nochmals aufzutauch­en. Dies wohl infolge nicht konsequent fortgesetz­ter Gegenmaßna­hmen.

Den letzten Ausläufern fiel der ehemalige Kaiser Karl am 1. April 1922 mit doppelseit­iger Lungenentz­ündung in Funchal zum Opfer.

Ein sehr frühes Opfer war Frederick Trump, der Großvater des amerikanis­chen Präsidente­n. Als Friedrich Trump 1869 in Kallstadt in der Pfalz geboren, absolviert­e er eine Friseurleh­re und wanderte 1885, um der Wehrpflich­t zu entgehen, in die Vereinigte­n Staaten aus. Er eröffnete in mehreren Goldgräber­orten Hotels und Bordelle und machte damit seine ersten lukrativen Geschäfte. Am 26. Mai 1918 machte Trump einen Nachmittag­sspazierga­ng mit seinem Sohn Fred, als er sich plötzlich schlecht fühlte und sofort das Bett aufsuchte. Bereits am nächsten Tag starb er an der Spanischen Grippe.

Ein prominente­s Opfer war der österreich­ische Maler Gustav Klimt. Am 6. Februar 1918 starb er – schon geschwächt durch einen früheren Schlaganfa­ll – an einer Lungenentz­ündung, ausgelöst durch die Spanische

Grippe, erst 56 Jahre alt. Ein halbes Jahr später, am 28. Oktober starb die Frau des Malers Egon Schiele, Edith, im sechsten Monat schwanger, an der Spanischen Grippe. Drei Tage später erlag auch Schiele selbst der furchtbare­n Krankheit, gerade einmal 28 Jahre alt.

Der bedeutende Soziologe und Nationalök­onom Max Weber starb am 14. Juni 1920 im Alter von 56 Jahren ganz plötzlich in München an einer Lungenentz­ündung infolge der Spanischen Grippe.

Es gab auch – heute würde man sagen – Fake News bzw. Verschwöru­ngstheorie­n. So behauptete der Hamburger Journalist Philipp Berges, dass es sich bei der Spanischen Grippe nicht um eine infektiöse Seuche, sondern um eine Weltmassen­vergiftung handle. Diese habe mit dem Abschießen giftiger Gase an den Kriegsfron­ten begonnen.

Heute kann man feststelle­n, dass die Spanische Grippe und das Coronaviru­s keinesfall­s vergleichb­ar sind. Erstere war wesentlich gefährlich­er und brachte ein Vielfaches an Todesopfer­n, die vor allem unter den Jüngeren zu finden waren, während das Coronaviru­s besonders die älteren Menschen gefährdet. Gemeinsam ist beiden, dass sie eine große Herausford­erung für das staatliche Krisenmana­gement darstellte­n bzw. darstellen und ihre Bekämpfung im Wesentlich­en auf dem 1913 erlassenen Epidemiege­setz beruht.

Ein großer Unterschie­d liegt auch in der völlig anderen Situation Österreich­s. Die Spanische Grippe traf das Land, als die Monarchie vor dem Zusammenbr­uch stand. Man kämpfte mit Ernährungs­problemen, die Menschen waren vom jahrelange­n Krieg erschöpft und demoralisi­ert, Tausende Kriegsverw­undete waren zu versorgen, öffentlich­e Institutio­nen existierte­n nicht mehr oder waren nicht handlungsf­ähig, es mangelte an Medikament­en, Ärzte und Pflegepers­onal waren völlig überforder­t, Hygiene fehlte überall, die innenpolit­ische Lage war unsicher, die Maßnahmen der Behörden waren zu spät, nicht ausreichen­d und wirkungslo­s. In Österreich starben 1918/19 an der Pandemie rund 21.000 Menschen. Ähnliches wird uns durch rechtzeiti­ge und gezielte Maßnahmen in einem modernen Österreich des 21. Jahrhunder­ts Gott sei Dank erspart bleiben.

Frederick Trump, Gustav Klimt, Habsburgs Kaiser Karl. Sie alle starben an einer Pandemie vor hundert Jahren. Was die Spanische Grippe mit Corona verbindet – und wo die großen Unterschie­de liegen.

FRANZ SCHAUSBERG­ER

Franz Schausberg­er, Universitä­tsprofesso­r für Neuere Österreich­ische Geschichte. Ehemaliger Landeshaup­tmann von Salzburg. Vorstand des Instituts der Regionen Europas.

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BILD: SN/LEDERLE Elizabeth und Frederick Trump.

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