Wie einer zu sich selbst kommt
Ein Mann, ein Kontinent: Nach Australien schickt Lorenz Langenegger den Protagonisten seines Romans „Jahr ohne Winter“.
Die eine sucht den Sinn des Lebens, der andere sucht eine Frau. Es wird viel gesucht im neuen Roman „Jahr ohne Winter“des Schweizers Lorenz Langenegger, was darauf hindeutet, dass es mit dem Leben der Menschen in unserer Zeit nicht weit her sein kann. Wer in Einklang mit sich und der Welt steht, braucht nicht erst anzufangen, nach etwas zu suchen. Im Lot befinden sich die Romanfiguren selten, deshalb diese Gier nach etwas dringend Notwendigem.
Das überträgt sich auf den Bauplan des Romans, der der Suchbewegung nachgeht. Eins ergibt sich aus dem anderen, und am Ende ist der Auftrag, der die Initialzündung für eine Geschichte abgibt, erledigt.
Einen solchen bekommt Jakob Walter, der es nicht zu viel gebracht hat in seinem Leben und dem auch nichts Besonderes zuzutrauen ist, als er von der Mutter seiner geschiedenen Frau dazu verdonnert wird, deren Tochter zu finden. Sie wird dringend als Spenderin von Stammzellen benötigt, anders lässt sich der Tod der resoluten Dame nicht aufhalten. Telefonisch ist die Gesuchte unerreichbar, also wird Walter ein Ticket nach Australien ausgehändigt, damit er sie heimbringt.
Ein Mann und ein Kontinent. Wie soll ein Einzelner eine Frau finden, zu der er seit fünf Jahren keinen Kontakt hatte? Offenbar unternimmt sie in einer Gruppe eine ausgedehnte Schweigemeditation. Aus solch spärlichen Informationen lassen sich keine handfesten Aufenthaltsbeweise ziehen.
Langenegger hat sich aber eingebildet, dem Mann eine Mission zu übertragen, also braucht dieser Spürsinn, Beharrlichkeit und Glück. In diesem Roman kommt dem Zufall eine besondere Rolle zu, denn analytisches Vorgehen allein bringt
Walter nicht weiter. Ist auch besser so, durch schneidende Intelligenz fällt er sowieso nicht auf.
Unerwartete Begegnungen bringen Walter weiter, bis er das Häuflein Sinnsuchender tatsächlich ausfindig gemacht hat. Reibungslos verläuft die Suche nicht, so findet Langenegger reichlich Gelegenheit, die Reise durch das unbekannte Land mit abenteuerlich anmutenden Szenen auszuschmücken.
Die Linearität der Handlung ist der Story geschuldet, die ja auf ein kalkulierbares Ende hinauslaufen muss: Entweder findet Walter die Frau oder nicht; hat er sie tatsächlich aufgetrieben, stellt sich die Frage, ob sie überhaupt als Lebensretterin einspringen will. Das Ende rundet die Geschichte, damit ist der Fall für den Erzähler gelöst.
Zugegeben, etwas dünn wäre der reine Und-dann-und-dann-Realismus schon. Langenegger geht in die Tiefe, indem er den Figuren eine
Identität und also eine eigene Geschichte verleiht.
Herausforderungen heben den Einzelnen aus dem Zwang zu funktionieren heraus. Walter bliebe der Durchschnittstyp, unauffällig und uninspiriert, wenn er sich nicht auf die Reise eingelassen hätte. Nicht nur der Kontinent bedeutet Neuland für ihn, auch die Aufgabe fordert ihn heraus, brachliegende Fähigkeiten zu reanimieren. Am Ende ist er ein anderer, ein Begabter. So etwas wie Glück beginnt in ihm zu wirken. Langenegger hat ein optimistisches Buch geschrieben, ohne Probleme wegzumogeln. Es bedeutet einen Angriff auf eine moderne und bequeme fatalistische Haltung, dass eh alles seinen Gang nimmt. Buch: Lorenz Langenegger: „Jahr ohne Winter“, Roman, 158 Seiten, Jung und Jung, 2019. Lesung: Mittwoch, 22. Jänner, Literaturhaus Salzburg, 19.30 Uhr.