Einsam im vernetzten Leben
Erotikchats, Angst, Techno: Für sein Filmdebüt „Nevrland“hat Gregor Schmidinger bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. Für eine Rolle im Film gewann er Josef Hader.
WIEN. Tagsüber jobbt der 17-jährige Jakob (ausgezeichnet: Simon Frühwirth) im Schlachthaus beim Papa (Josef Hader), abends loggt er sich in einen Erotikchat ein und lernt einen schönen Unbekannten kennen, den er im Technoclub trifft. Doch zunehmend plagen ihn Panikattacken, die Realität verwischt, und ein Psychiater (Markus Schleinzer) ist eher bedrohlich als hilfreich: „Nevrland“ist das mehrfach ausgezeichnete Langfilmdebüt von Gregor Schmidinger. SN: Dem Film vorangestellt ist eine Warnung vor körperlichen Beeinträchtigungen durch Licht und Lärm. Man könnte den Eindruck gewinnen: Da will sich einer interessant machen, wie mit der Warnung „Nichts für Kinder und Herzkranke“bei der Geisterbahn. Gregor Schmidinger: Ja, aber wenn das jemand glaubt, muss ich das aushalten, am Schluss lacht eh niemand mehr. Die Warnung wegen photosensitiver Epilepsie ist eine Frage der Verantwortung, damit jeder selbst die Entscheidung treffen kann, ob er oder sie sich dem aussetzen möchte. Das mit der Panikstörung ist erst relativ spät dazugekommen. Ich hatte in meinen Zwanzigern selbst damit zu kämpfen, und als wir dieses Sounddesign gemacht haben, habe ich gemerkt, mich triggert das. Inzwischen ist der Warnung leider schon recht gegeben worden, weil es bei der Premiere auf der Diagonale einer Zuschauerin zu viel wurde, sie hatte draußen einen Weinkrampf. SN: Auch Ihr Protagonist Jakob leidet unter einer Angststörung. Hat die Figur noch mehr autobiografische Züge? Ja, man lernt sehr schnell – das ist ja mein erster Langfilm –, dass es einem leichter fällt, Dinge authentisch zu beschreiben, die man selbst kennt. Gleichzeitig war es auch eine Gelegenheit, mich auf eine künstlerische und vielleicht distanziertere Art mit manchem zu beschäftigen. Manches ist vielleicht überspitzt, aber doch charakteristisch für einen großen Teil dieser Generation, die Sexualität sehr entkörpert erlebt, in Form von Pornografie oder Online-Dating. Gerade durch das Internet, diese hyperverbundene Welt, fühlen sich viele einsamer und einsamer. Das sind Themen, die nicht nur für mich persönlich stehen, sondern mit denen sich viele identifizieren können. SN: Wie Ihr Film von diesem Sexchat erzählt, wirkt aber weder bedrohlich noch seltsam, auch für Menschen, die so etwas nie ausprobiert haben. Trotzdem nennen Sie es ein Symptom einer Vereinsamung. Eigentlich ist dieses Chat-Roulette (bei dem mehrere potenzielle Chatpartner per Livescreen vorgeschlagen werden, und wenn sich zwei füreinander entscheiden, kommt der Chat zustande, Anm.) schon etwas veraltet. Aber hier bot es sich an, weil es sehr filmisch ist: Diese Webcambilder lassen sich besser transportieren als irgendwelche Chatfenster wie bei Tinder oder Grindr. Klar, das ist einerseits eine Weise, mit Leuten in Kontakt zu treten, die man sonst vielleicht nicht treffen würde. Gerade für die LGBTCommunity war das Internet immer ein wichtiges Werkzeug, sich zu vernetzen. Zugleich ist der Bildschirm aber eine sichere Barriere, durch die einem auch nichts Positives passieren kann, weil man sich nicht darauf einlässt. Man kriegt ja immer nur einen kleinen Informationsanteil über die andere Person, und füllt die blinden Flecken mit eigenen Fantasien aus. Das verschiebt alles in einen Wunschbereich, der eine Erfüllung bei einem Treffen dann schwierig macht. SN: Das Drehbuch hat mehrere Phasen durchlaufen. Was hat sich verändert? Der erste Entwurf ist als Abschlussarbeit an der University of California entstanden, wo ich Drehbuch studiert habe. Die Idee war, einen „post-gay“Film zu machen, also über eine Beziehung von zwei Jungs oder Männern, ohne die sexuelle Identität zu problematisieren. Das Angstthema war anfangs noch nicht drin, und erst hat Jakob in einer Buchhandlung gearbeitet, weil er sich in Vorstellungswelten flüchtet. Dann hab ich mich doch für den Schlachthof entschieden, weil mein Vater Fleischhauer war, aber auch, weil ich das Thema Entkörperung und Körperlichkeit durch den Gegensatz visualisieren kann. Angst und Sexualität sind in der Psychologie Gegensatzpole, Wilhelm Reich hat sie als die Triebfedern des Lebens beschrieben. SN: Sie haben Josef Hader an Bord, als Vater von Jakob. Wie ging das vor sich? Wir sprachen zu Beginn des Castingprozesses darüber, wen wir uns als Vater vorstellen könnten, und ich hab gesagt: „Und was ist mit dem Hader?“Die Casterin meinte: „Mach dir keine großen Hoffnungen, den wollen viele Erstlingsregisseure.“Wir haben ihm aber das Drehbuch geschickt und nach zwei Monaten hat sie mich angerufen und gesagt: „Der Hader hat zugesagt“, einfach so. Ich weiß noch genau, wo ich war, als der Anruf kam.
Film: „Nevrland“. Psychodrama. Österreich 2019. Regie: Gregor Schmidinger. Mit Simon Frühwirth, Paul Forman, Josef Hader. Start: 13. 9.