Der Alltag in der mobilen Pflege
Die Pflege wird zum Wahlkampfthema. Die SN begleiteten eine diplomierte Krankenpflegerin bei Hausbesuchen.
HORN. Claudia Rauscher kann sich sicher sein: Wo immer sie vorfährt, wird sie schon sehnsüchtig erwartet. Seit 15 Jahren ist sie in der mobilen Pflege im Waldviertel im Einsatz. Eben ist die diplomierte Krankenpflegerin in Sachen Wundversorgung unterwegs. Ihr weißer Dienstwagen mit dem gelben Hilfswerk-Logo: ein fahrbarer Verbandskasten. Wundauflagen, Pflaster und Mullbinden aller Art, diverse Reinigungsflüssigkeiten und -tücher, Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Pinzetten, Scheren, Salben … Man kann ja nie wissen.
Mittagszeit in Etzelsreith. Mit einem lauten „Hallo, da bin ich wieder“betritt Rauscher die Stube. „Ah, die Claudia“, sagt Frau Judmann, während ihr Mann einen Seufzer nicht unterdrücken kann. Seit bald drei Jahren wird Friedrich Judmann von Rauscher und ihrem Team betreut. Chronische venöse Insuffizienz. Offene Stellen an beiden Füßen. Einmal mehr, einmal weniger. Montag, Mittwoch und Freitag werden die Wunden versorgt und die Verbände gewechselt.
„Schlechte Nacht gehabt“, sagt der 81-Jährige. Brennende Schmerzen am linken Fuß. Und jetzt die Claudia, die’s gar so genau nimmt mit der Wundreinigung. „Tu nicht lamentieren“, sagt seine Frau. „Hilft ja nichts.“– „Eh.“
Rauscher arbeitet still und konzentriert. Verbände aufschneiden und vorsichtig entfernen, Beläge abziehen, die Wunden betupfen, einwirken lassen. Jetzt ist ein bisschen Zeit zum Plaudern. Übers Urenkerl, übers Wetter, über die Sorgen, die sich Frau Judmann wegen der heute so besonders geschwollenen Beine ihres Mannes macht. Jeder Schritt eine Qual, aber immerhin: noch ein bisschen mobil. Frau Judmann, die selbst eine Krücke braucht, mag sich gar nicht vorstellen, was sein wird, wenn ihr Mann gar nicht mehr gehen kann. Von spröder Herzlichkeit ist der Umgangston, man versteht und vertraut sich ohne große Worte.
Friedrich Judmann hat einiges hinter sicher. Erst die Herzklappenoperation, dann der Blinddarmdurchbruch. 26 Tage im künstlichen Koma. „Furchtbar war das“, sagt seine Frau. „Ich hab’ schon ’glaubt, er wacht nimmer auf.“Und dann passierte auch noch der Unfall. „Untern Traktor is’ er kommen“, sagt sie. Seither hat er eine Metallplatte im linken Unterschenkel. „Schlecht für die Wundheilung“, sagt Claudia Rauscher. Schlecht für die Wundheilung sind auch die Medikamente, die Herr Judmann gegen das viele Wasser in den Beinen nehmen muss. „Schwierige Umstände“, sagt Rauscher und beginnt mit dem Verbinden.
Mitunter machen auch Kassenentscheidungen die Umstände schwieriger. Rauscher nennt auf der Fahrt zur nächsten Klientin ein Beispiel: Bis vor Kurzem sei es möglich gewesen, sich Geräte für die Unterdrucktherapie auszuleihen. Diese spezielle Methode der Wundversorgung sei in schwierigen Fällen sehr hilfreich, zum Einsatz komme sie insbesondere bei wund gelegenen Patienten. Dank Verleihung der Geräte sei die Behandlung zu den Patienten nach Hause gekommen und dort von den Diplomierten in der mobilen Pflege durchgeführt worden. Dann habe die Gebietskrankenkasse verfügt, dass die Unterdrucktherapie nur noch in Ambulanzen möglich sei. Auch dort werde sie von Diplomierten durchgeführt. „So. Was passiert also?“, sagt Rauscher ärgerlich: Die Leute müssten mit der Rettung ins Spital gebracht werden. Eine Strapaze für die Betroffenen. Dort müssten sie oft lang warten – und das womöglich in einem viel zu harten Bett. Folge: „Schlimmstenfalls hat sich der Patient in der Wartezeit an einer anderen Stelle wund gelegen. Und vielleicht ist er auch noch angehustet worden und wird krank. Damit wird es in der häuslichen Pflege noch schwieriger.“Dreifach schlecht sei diese Kassenentscheidung gewesen: Schlecht für die Patienten und ihre Angehörigen, alles andere als eine Hilfe für die mobile Pflege und nicht zuletzt teuer für die Allgemeinheit.
Die paar Kilometer nach Pernegg sind zurückgelegt. Dort wartet Anna Poss. Dass die Venen ihr Problem sind, weiß die 80-Jährige seit Langem. Sie haben ihr schon die Taufe ihrer Drillingsenkerl vermasselt. Das ist zwar zwei Jahrzehnte her. Aber Frau Poss hat bis heute nicht ganz verwunden, dass sie damals ins Spital musste und nicht an dem Fest teilnehmen konnte. „So etwas erlebt man ja nie wieder.“
Seit fast sechs Jahren betreut Claudia Rauscher die Wunden an Frau Poss’ Füßen. Viele sind in dieser Zeit entstanden und dank akkurater Versorgung auch wieder verschwunden. Zurück blieb immer mehr Narbengewebe. Nicht gut. Je mehr von diesem schlecht durchbluteten Gewebe, umso langwieriger die Heilung, wenn neue Wunden entstehen. Derzeit sind es zwei. Seit der letzten Operation im Jänner bemüht sich Rauscher, die offenen Stellen zu schließen. Und sie wirkt ganz zufrieden. Kein Nässen, kein Geruch, keine Schmerzen.
Schmerzen hat die 80-Jährige woanders: im rechten Knie. „Das kann aber erst operiert werden, wenn der Fuß zu ist“, sagt sie. Das quälende Knie hält sie allerdings nicht davon ab, pausenlos in Bewegung zu sein. „Herumsitzen kann ich nicht.“Frau Poss freut sich immer, wenn Rauscher kommt. Irgendwie gehört sie bei aller professionellen Distanz zur Familie. Deshalb fallen ihr Veränderungen auch gleich auf. Zum Beispiel, dass Frau Poss im Frühjahr so blass war. Also hat sie veranlasst, dass ein Blutbild gemacht wird. Diagnose: Eisenmangel. Seit der behandelt wird, geht es der 80-Jährigen besser. „Ich bin nimmer so müde und mir ist auch seltener schwindlig.“
Schwindlig könnte auch Rauscher manchmal werden. Im Trubel des Alltags stellt sie sich häufig insbesondere zwei Fragen. Erstens: „Es wird viel ausgebildet. Aber wo sind die dann alle? Bei uns gibt’s relativ wenig Bewerbungen, dabei sind die Heime voll und die Alterung schreitet voran.“Zweitens: „Warum werden im Pflegesystem unsere Kompetenzen nicht genutzt? Siehe Unterdrucktherapie?“
Zu tun hat Rauscher jedenfalls genug – von der Wundversorgung über die klassische Pflege bis hin zu Pflegevisiten, schließlich leitet sie zwei mobile Teams und ist Wundbeauftragte im Raum Horn/Eggenburg. Dann sind da noch die Neuaufnahmen nach Spitalsaufenthalten, bei denen es schnell gehen muss. Außerdem studierte Rauscher berufsbegleitend an der Donau-Uni Krems (Wundmanagement Certified). Und dennoch: „Nach zwei Wochen Urlaub freu ich mich schon wieder auf die Arbeit.“
„Warum werden unsere Kompetenzen nicht genutzt?“Claudia Rauscher, diplomierte Krankenpflegerin