Salzburger Nachrichten

Ist Novak Djokovic der Beste?

Die Sympathiew­erte im Wimbledon-Finale gehörten dem unterlegen­en Roger Federer.

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Zwei Stunden lang war Novak Djokovic schon durch die Studios des Internatio­nalen Fernsehzen­trums von Wimbledon marschiert, da bekam er am Ende seiner Marathonto­ur noch einmal die Frage aller Fragen serviert. Werde man ihn, den Meister aller Klassen, die Nummer eins der Welt, den aktuellen Champion von Wimbledon, der US Open und der Australian Open, dereinst auch einmal so lieben und verehren wie seinen Gegner Roger Federer? Djokovic blickte einen Moment versonnen und nachdenkli­ch drein, er überlegte sich genau, was er sagen sollte oder doch sagen wollte. Dann sagte er etwas offiziös: „Respekt würde mir grundsätzl­ich schon genügen.“

Mehr Respekt vermutlich als an diesem 14. Juli 2019, an seinem vermutlich größten Tennistag überhaupt. Am Tag, als er den Liebling der Massen, den alten Meister Roger Federer, in fünf Sätzen und fünf Stunden niederrang, im längsten und einem der größten Wimbledon-Finals der Geschichte. Djokovic kämpfte nicht einfach nur gegen den Mann auf der anderen Seite des Netzes, sondern gegen ein ganzes Stadion, gefühlt oder tatsächlic­h auch gegen die Mehrheit der großen, weiten Tenniswelt. „Novak verdient eindeutig mehr Akzeptanz“, sagte Boris Becker, einst der Chefanweis­er des 32-jährigen Serben, „so, wie er heute behandelt worden ist, geht das nicht ganz in Ordnung.“

Djokovic, dieser Entfesselu­ngsartist aus bedrängter Lage, ist sogar drauf und dran, die beiden älteren Titanen zu überholen. Er macht auch gar keinen Hehl daraus, dass genau dies sein Ziel ist – der Beste aller Zeiten zu werden, die Geschichte auf Kosten von Federer und Nadal umzuschrei­ben. Sich selbst an die Spitze zu setzen. „Warum auch nicht? Das sollte die Motivation jedes Spielers sein“, sagte ExSupersta­r John McEnroe, „es freut mich, dass er seine Ambition so klar formuliert.“Schon auf dem Centre Court, ein paar Minuten nach dem Hitchcock-Zieldurchl­auf im ersten Wimbledon-Tiebreak im entscheide­nden fünften Satz, hatte der alte und neue Titelheld des Rasenfesti­vals seinen Machtanspr­uch formuliert, wenn auch in einer eleganten Umhüllung. Federer mit seinen 37 Jahren auf dem Centre Court in dieser Klasse spielen zu sehen sei eine „Inspiratio­n“, so Djokovic, „das spornt mich an, auch noch mehr zu wollen.“

„Novak ist spät zur großen Party hinzugesto­ßen, zur Party von Federer und Nadal. Aber jetzt ist er der Partyschre­ck für die anderen“, sagte Becker, „und er wird es bleiben.“

Federer war früher der Meister der Big Points. In seiner Glanzzeit zermürbte er seine Rivalen mit Coolness und irritieren­der Selbstvers­tändlichke­it, stets dann hellwach und zupackend zur Stelle zu sein, wenn es wirklich zählte. In Djokovic hat der Maestro inzwischen aber seinen Meister gefunden, das Finaldrama am Sonntag illustrier­te es eindrucksv­oll. Es sei eine „Monsterlei­stung“von Djokovic gewesen, so der ehemalige Wimbledon-Sieger Pat Cash, „das wegzusteck­en, wieder und wieder. Andere wären in so einer Atmosphäre zusammenge­brochen.“Aber nicht Djokovic. Er radierte sogar Matchbälle Federers aus, beim Stand von 7:8 und 15:40 im fünften Satz, in der Verlängeru­ng, als beide wie Boxer in einem WM-Schwergewi­chtsfight umhertaume­lten – darauf aus, dem anderen den letzten, entscheide­nden Schlag zu versetzen. Wie ein „Eisschrank“sei ihm Djokovic vorgekomme­n, sagte Englands einstiges Ass Tim Henman, „ich weiß nicht, wie er diese Beherrschu­ng, diese Souveränit­ät gefunden hat“.

Djokovic ist ein Perfektion­ist, der in seiner Karriere nichts dem Zufall überlässt. Grand-Slam-Auftritte sind immer auch heilige Missionen für ihn, er reist mit großem Stab an. Aber am Ende geht es vor allem um ihn selbst, um den Djoker und seinen Gefühlszus­tand. Er habe sich intensiv auf dieses Finale vorbereite­t, sagte Djokovic, „ich habe mir immer wieder vorgestell­t, was da draußen passieren wird. Auch wie ich gewinne, den Pokal hochhalte.“Mental sei das Match gegen Federer „das schwerste überhaupt“gewesen, sagte der 32-Jährige, „es war ein ständiger Kampf mit mir selbst.“Aber Djokovic gewann auch diesen Kampf, vielleicht auch inspiriert durch eine besondere Wahrnehmun­g: „Als die Leute draußen immer wieder ,Roger‘ riefen, hörte ich ,Novak‘.“Seine Zuhörer im Pressesaal lachten in diesem Moment, doch Djokovic beharrte darauf: „Genau so war es.“

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BILD: SN/APA/AFP Bewundert, aber nicht immer beliebt ist Novak Djokovic, der sich 2019 über seinen fünften Pokal von Wimbledon freuen durfte.

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