Bei Finanzen sind wir Analphabeten
Österreicher sind gut ausgebildet, aber vom Geld haben sie wenig Ahnung. Die Zahl der Privatinsolvenzen steigt sprunghaft, die Schuldnerberatungen sind überfüllt. Warum schaffen wir es einfach nicht, in Finanzdingen sattelfest zu sein?
Hand aufs Herz: Wie steht es um Ihr Finanzwissen? Wissen Sie, was eine Aktie ist? Worin der Unterschied zu einem Aktienfonds besteht und was beide von einer Anleihe unterscheidet? Und wofür steht eigentlich ATX? Wenn Sie die Antworten darauf nicht wissen, brauchen Sie nicht an sich zu zweifeln, Sie befinden sich in bester Gesellschaft. Denn mit dem Wissen über wirtschaftliche und finanzielle Zusammenhänge ist es in Österreich nicht zum Besten bestellt. Das ist in Deutschland nicht anders. Kürzlich bescheinigte eine Umfrage den Deutschen in Sachen Finanzbildung nur die Note „mangelhaft“. Drei Viertel der Befragten stellten sich selbst in Finanzdingen ein vernichtendes Zeugnis aus. Lediglich 13 Prozent fühlen sich zu diesem Thema gut informiert. Sie wissen also, dass Aktien Beteiligungsscheine an Unternehmen sind, ein Aktienfonds in mehrere unterschiedliche Aktien veranlagt und dass Anleihen (Schuldscheine) im Unterschied zu Aktien eine fixe Verzinsung aufweisen. Österreicher würden ihr Finanzwissen immerhin mehrheitlich als „durchschnittlich“einschätzen. Bettina Fuhrmann gibt nicht allzu viel auf solche Selbsteinschätzungen. Die Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien weiß, dass die „Financial Literacy“auch hier noch stark zu wünschen übrig lässt. Alarmierend sei die Tatsache, „dass ausgerechnet diejenigen, die in den Tests am schlechtesten abschneiden, ihr Wissen selbst als ,gut‘ einschätzen“, sagt sie. Das ist eine gefährliche Mischung – die nur allzu oft den Weg in die Schuldenfalle bedeuten kann. Dann nämlich, wenn Kunden allzu bereitwillig Versprechen und der
Werbung unseriöser Anbieter Glauben schenken. Dass das oft der Fall ist, zeigt die steigende Zahl der Ratsuchenden in den Schuldnerberatungen (+4,4 Prozent 2018). In vielen Fällen war es auch zu spät: Die Zahl der Privatkonkurse stieg 2018 zum Vorjahr von 6790 auf 10.024.
„Finanzkompetenz“oder „Finanzbildung“, auf Englisch „Financial Literacy“, ist wesentlich öfter gefragt, als uns bewusst ist. Da geht es nicht nur um das Verstehen finanztechnischer Begriffe, sondern auch darum, wie man täglich seine materiellen Bedürfnisse mit den finanziellen Möglichkeiten unter einen Hut bringen kann. Eine allgemein gültige Definition dafür gibt es nicht. Fuhrmann favorisiert den breiten Zugang der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), die Finanzbildung beschreibt als „jene Kombination aus Wissen, Bewusstsein, Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die für sinnvolle finanzielle Entscheidungen notwendig ist“.
Im OECD-Europa-Vergleich schneidet Österreich überdurchschnittlich ab. Aber auch hier relativiert Fuhrmann. Es seien nur simple Basisfragen gestellt worden. „Wenn es darum geht, Zusammenhänge zu erkennen, etwa wie sich die Inflationsrate auf die Kaufkraft auswirkt, dann sinkt die Zahl der richtigen Antworten merklich.“
Woran liegt das? Die ersten Ansprechpersonen und Vorbilder für finanzielles Verhalten und für Fragen dazu wären die Eltern. Doch oft werde in Haushalten nur wenig über Geld gesprochen, es fehle auch an praktischen Vorbildern. Kein Wunder: Eine Umfrage des Bankenverbands besagt, dass sich 83 Prozent der jüngeren Erwachsenen (18 bis 29 Jahre) in Finanzdingen selbst nicht sattelfest fühlen.
Expertin Fuhrmann ortet deutliches Interesse bei Jugendlichen zu dem Thema. Oft würden sie aber mit ihrem Wissensbedürfnis allein gelassen. Oftmals werde in Haushalten nur wenig über Geld gesprochen. Das hat zwei Gründe: Entweder man hat es ohnehin, dann braucht man nicht darüber reden. Oder man hat es nicht – dann gibt es noch weniger Motivation, sich darüber auszutauschen.
Auch die Schule erfüllt diese Funktion nur teilweise. Laut einer österreichischen Untersuchung gibt ein Drittel der erwachsenen Österreicher an, keinerlei Finanzbildung in der Schule bekommen zu haben. Das liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass „Wirtschaftskunde“zwar im Lehrplan vorgesehen ist, aber stets in Kombination mit Geografie. Nicht selten geben dann die Präferenzen des Lehrers den Ausschlag. Weil Elternhaus und Schule jungen Menschen nicht immer das nötige finanzielle Grundwissen mit auf den Weg geben, bleibt die Gruppe der Gleichaltrigen als wesentlicher Einflussfaktor. Doch es zeigt sich, dass von den Gleichaltrigen („Peers“) vieles übernommen wird, nur nicht rationales Konsumverhalten.
Fuhrmann beschreibt das so: Bei fehlender Orientierung aus Elternhaus oder Schule bestehe die Gefahr, „dass der Einfluss durch Werbung und Gleichaltrige steigt und dadurch eher emotional geprägte Einstellungen zu Geld gefördert werden“, zum Beispiel demonstrativer oder kompensatorischer Konsum, also Kaufsucht.
Was schon bei Kindern schwer zu erreichen ist, ist bei Erwachsenen noch einmal schwieriger. Dabei sei in Zeiten von Niedrig- und Nullzinsen der Bedarf nach umfassendem Finanzwissen größer denn je, sagt Otto Lucius, Gründungsmitglied des Verbands Financial Planners. Finanzplanung sei keineswegs elitär. Gerade der Mittelstand habe heute höheren Beratungsbedarf als früher, besitzen viele doch unterschiedliche Veranlagungsprodukte und Finanzierungen. Sein Resümee: Österreich sei „overbanked“, aber „underadvised“, es fehlt an fachkundiger Beratung, um sich im Dschungel der Angebote zurechtzufinden.
Der Verband dringt auf intensivere Beratung an Schulen, etwa durch einen Schulterschluss zwischen Banken und Schulen. Das klingt gut, kann aber problematisch sein, weiß Finanzpädagogin Fuhrmann. „Es fragt sich, wie gut man die Wissensvermittlung vom Eigeninteresse solcher Institute trennen kann“, sagt sie. Der Grat zwischen sachlicher Information und Werbung sei sehr schmal.
Es gibt schon einen bunten Strauß von Angeboten, um den Österreichern Nachhilfe in Sachen Finanzwissen zu erteilen. Die Palette umfasst Kurse und Lehrgänge – wie die „Raiffeisen Salzburg Finanz Akademie“, die geblockte Module zu unterschiedlichen Themen anbietet – bis zum innovativen „Financial Life Park“(FLiP) am Erste Campus in Wien, der spielerisch neue Zugänge zum Umgang mit Geld eröffnet und der auch in Form eines Doppeldeckerbusses („FLiP2Go“) durchs Land tourt. Und es gibt ambitionierte Einzelinitiativen wie jene von Markus Leyacker, einem Finanzberater, der als „Geldlehrer“an Schulen Vorträge hält und in kindgerechten Büchern Tipps gibt wie „Was du heute schon tun kannst, damit du ein Millionär bist, wenn du erwachsen bist“.
Fuhrmann begrüßt das vielfältige Angebot. Sie vermisst aber eine Koordination und Kooperation, „die im Idealfall auf einem Gesamtkonzept für Finanzbildung beruht und bis zu den Finanzentscheidungen im Erwachsenenalter reicht.“