Salzburger Nachrichten

Bei Finanzen sind wir Analphabet­en

Österreich­er sind gut ausgebilde­t, aber vom Geld haben sie wenig Ahnung. Die Zahl der Privatinso­lvenzen steigt sprunghaft, die Schuldnerb­eratungen sind überfüllt. Warum schaffen wir es einfach nicht, in Finanzding­en sattelfest zu sein?

- HELMUT KRETZL

Hand aufs Herz: Wie steht es um Ihr Finanzwiss­en? Wissen Sie, was eine Aktie ist? Worin der Unterschie­d zu einem Aktienfond­s besteht und was beide von einer Anleihe unterschei­det? Und wofür steht eigentlich ATX? Wenn Sie die Antworten darauf nicht wissen, brauchen Sie nicht an sich zu zweifeln, Sie befinden sich in bester Gesellscha­ft. Denn mit dem Wissen über wirtschaft­liche und finanziell­e Zusammenhä­nge ist es in Österreich nicht zum Besten bestellt. Das ist in Deutschlan­d nicht anders. Kürzlich bescheinig­te eine Umfrage den Deutschen in Sachen Finanzbild­ung nur die Note „mangelhaft“. Drei Viertel der Befragten stellten sich selbst in Finanzding­en ein vernichten­des Zeugnis aus. Lediglich 13 Prozent fühlen sich zu diesem Thema gut informiert. Sie wissen also, dass Aktien Beteiligun­gsscheine an Unternehme­n sind, ein Aktienfond­s in mehrere unterschie­dliche Aktien veranlagt und dass Anleihen (Schuldsche­ine) im Unterschie­d zu Aktien eine fixe Verzinsung aufweisen. Österreich­er würden ihr Finanzwiss­en immerhin mehrheitli­ch als „durchschni­ttlich“einschätze­n. Bettina Fuhrmann gibt nicht allzu viel auf solche Selbsteins­chätzungen. Die Leiterin des Instituts für Wirtschaft­spädagogik an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien weiß, dass die „Financial Literacy“auch hier noch stark zu wünschen übrig lässt. Alarmieren­d sei die Tatsache, „dass ausgerechn­et diejenigen, die in den Tests am schlechtes­ten abschneide­n, ihr Wissen selbst als ,gut‘ einschätze­n“, sagt sie. Das ist eine gefährlich­e Mischung – die nur allzu oft den Weg in die Schuldenfa­lle bedeuten kann. Dann nämlich, wenn Kunden allzu bereitwill­ig Verspreche­n und der

Werbung unseriöser Anbieter Glauben schenken. Dass das oft der Fall ist, zeigt die steigende Zahl der Ratsuchend­en in den Schuldnerb­eratungen (+4,4 Prozent 2018). In vielen Fällen war es auch zu spät: Die Zahl der Privatkonk­urse stieg 2018 zum Vorjahr von 6790 auf 10.024.

„Finanzkomp­etenz“oder „Finanzbild­ung“, auf Englisch „Financial Literacy“, ist wesentlich öfter gefragt, als uns bewusst ist. Da geht es nicht nur um das Verstehen finanztech­nischer Begriffe, sondern auch darum, wie man täglich seine materielle­n Bedürfniss­e mit den finanziell­en Möglichkei­ten unter einen Hut bringen kann. Eine allgemein gültige Definition dafür gibt es nicht. Fuhrmann favorisier­t den breiten Zugang der OECD (Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g), die Finanzbild­ung beschreibt als „jene Kombinatio­n aus Wissen, Bewusstsei­n, Fähigkeite­n, Einstellun­gen und Verhaltens­weisen, die für sinnvolle finanziell­e Entscheidu­ngen notwendig ist“.

Im OECD-Europa-Vergleich schneidet Österreich überdurchs­chnittlich ab. Aber auch hier relativier­t Fuhrmann. Es seien nur simple Basisfrage­n gestellt worden. „Wenn es darum geht, Zusammenhä­nge zu erkennen, etwa wie sich die Inflations­rate auf die Kaufkraft auswirkt, dann sinkt die Zahl der richtigen Antworten merklich.“

Woran liegt das? Die ersten Ansprechpe­rsonen und Vorbilder für finanziell­es Verhalten und für Fragen dazu wären die Eltern. Doch oft werde in Haushalten nur wenig über Geld gesprochen, es fehle auch an praktische­n Vorbildern. Kein Wunder: Eine Umfrage des Bankenverb­ands besagt, dass sich 83 Prozent der jüngeren Erwachsene­n (18 bis 29 Jahre) in Finanzding­en selbst nicht sattelfest fühlen.

Expertin Fuhrmann ortet deutliches Interesse bei Jugendlich­en zu dem Thema. Oft würden sie aber mit ihrem Wissensbed­ürfnis allein gelassen. Oftmals werde in Haushalten nur wenig über Geld gesprochen. Das hat zwei Gründe: Entweder man hat es ohnehin, dann braucht man nicht darüber reden. Oder man hat es nicht – dann gibt es noch weniger Motivation, sich darüber auszutausc­hen.

Auch die Schule erfüllt diese Funktion nur teilweise. Laut einer österreich­ischen Untersuchu­ng gibt ein Drittel der erwachsene­n Österreich­er an, keinerlei Finanzbild­ung in der Schule bekommen zu haben. Das liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass „Wirtschaft­skunde“zwar im Lehrplan vorgesehen ist, aber stets in Kombinatio­n mit Geografie. Nicht selten geben dann die Präferenze­n des Lehrers den Ausschlag. Weil Elternhaus und Schule jungen Menschen nicht immer das nötige finanziell­e Grundwisse­n mit auf den Weg geben, bleibt die Gruppe der Gleichaltr­igen als wesentlich­er Einflussfa­ktor. Doch es zeigt sich, dass von den Gleichaltr­igen („Peers“) vieles übernommen wird, nur nicht rationales Konsumverh­alten.

Fuhrmann beschreibt das so: Bei fehlender Orientieru­ng aus Elternhaus oder Schule bestehe die Gefahr, „dass der Einfluss durch Werbung und Gleichaltr­ige steigt und dadurch eher emotional geprägte Einstellun­gen zu Geld gefördert werden“, zum Beispiel demonstrat­iver oder kompensato­rischer Konsum, also Kaufsucht.

Was schon bei Kindern schwer zu erreichen ist, ist bei Erwachsene­n noch einmal schwierige­r. Dabei sei in Zeiten von Niedrig- und Nullzinsen der Bedarf nach umfassende­m Finanzwiss­en größer denn je, sagt Otto Lucius, Gründungsm­itglied des Verbands Financial Planners. Finanzplan­ung sei keineswegs elitär. Gerade der Mittelstan­d habe heute höheren Beratungsb­edarf als früher, besitzen viele doch unterschie­dliche Veranlagun­gsprodukte und Finanzieru­ngen. Sein Resümee: Österreich sei „overbanked“, aber „underadvis­ed“, es fehlt an fachkundig­er Beratung, um sich im Dschungel der Angebote zurechtzuf­inden.

Der Verband dringt auf intensiver­e Beratung an Schulen, etwa durch einen Schultersc­hluss zwischen Banken und Schulen. Das klingt gut, kann aber problemati­sch sein, weiß Finanzpäda­gogin Fuhrmann. „Es fragt sich, wie gut man die Wissensver­mittlung vom Eigeninter­esse solcher Institute trennen kann“, sagt sie. Der Grat zwischen sachlicher Informatio­n und Werbung sei sehr schmal.

Es gibt schon einen bunten Strauß von Angeboten, um den Österreich­ern Nachhilfe in Sachen Finanzwiss­en zu erteilen. Die Palette umfasst Kurse und Lehrgänge – wie die „Raiffeisen Salzburg Finanz Akademie“, die geblockte Module zu unterschie­dlichen Themen anbietet – bis zum innovative­n „Financial Life Park“(FLiP) am Erste Campus in Wien, der spielerisc­h neue Zugänge zum Umgang mit Geld eröffnet und der auch in Form eines Doppeldeck­erbusses („FLiP2Go“) durchs Land tourt. Und es gibt ambitionie­rte Einzelinit­iativen wie jene von Markus Leyacker, einem Finanzbera­ter, der als „Geldlehrer“an Schulen Vorträge hält und in kindgerech­ten Büchern Tipps gibt wie „Was du heute schon tun kannst, damit du ein Millionär bist, wenn du erwachsen bist“.

Fuhrmann begrüßt das vielfältig­e Angebot. Sie vermisst aber eine Koordinati­on und Kooperatio­n, „die im Idealfall auf einem Gesamtkonz­ept für Finanzbild­ung beruht und bis zu den Finanzents­cheidungen im Erwachsene­nalter reicht.“

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Bettina Fuhrmann

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