Ausgezeichnet?
Der Druck auf die politische Karikatur nimmt massiv zu. Karikaturisten könnten die nächsten Opfer der Political Correctness werden. Was die Betroffenen sagen – und warum immer mehr Themen zum Tabu werden.
Ich werde mich auch in Zukunft auf gar keinen Fall zurückhalten.
Dieter Hanitzsch
Karikaturist
BILD: SN/HOFSTETTER, BR
Die Satire und die Karikatur dürfen fast alles, aber nicht alles.
Alexander Warzilek
Presserat
BILD: SN/PRESSERAT
Die Grenzen der Satire soll der Zeichner für sich selbst ziehen.
Gerhard Haderer
Karikaturist
BILD: SN/APA-TECHT
Benjamin Netanjahu ist für Karikaturisten ein gefährliches Motiv. Egal wie sie ihn zeichnen: Der Vorwurf des Antisemitismus hängt permanent wie ein Damoklesschwert über jedem Künstler, der sich an den israelischen Premierminister heranwagt. Niemand weiß das besser als Dieter Hanitzsch. Der Münchner Karikaturist hat fast 60 Jahre für die „Süddeutsche Zeitung“(SZ) gezeichnet. Bis zum 15. Mai 2018. An diesem Tag erschien in der SZ eine Karikatur Hanitzschs, die Netanjahu in Gestalt der israelischen Eurovision-Song-Contest-Siegerin Netta zeigt – mit einer Rakete in der Hand. Auf der Rakete ist der Davidstern zu sehen. Dazu eine Sprechblase: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“
Ab diesem Tag durfte Hanitzsch nicht mehr für die SZ zeichnen. Die Zeitung trennte sich von ihm, weil man die Zeichnung als antisemitisch auffassen könnte, so die Erklärung der Chefredaktion, die sich für die Veröffentlichung der Karikatur entschuldigte.
„Das war ein Schlag, der wirklich nicht zu erwarten war“, sagt der 86-jährige Karikaturist heute. „Die Zeichnung wurde auch vom zuständigen Redakteur mit einem ,Wunderbar, danke‘ angenommen.“Allerdings langten, nachdem die Zeichnung erschienen war, Beschwerden ein. „Ich wurde beschuldigt, ich hätte Netanjahu im Stil des ,Stürmer‘ gezeichnet – das ist für einen Karikaturisten deutscher Herkunft die schlimmste Beleidigung.“Kritik gab es auch am Davidstern auf der Rakete. Seine Botschaft sei einzig der Missbrauch des friedlichen Song Contests durch Netanjahu gewesen, sagt Hanitzsch, der jetzt für die „Münchner Abendzeitung“zeichnet. Eine SN-Anfrage zum Thema bei der SZ blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Tatsächlich ist Hanitzschs Zeichnung weit von irgendeiner NS-Propagandazeich
nung entfernt. Auch der Deutsche Presserat sah in der Netanjahu-Karikatur keinen Verstoß gegen den Pressekodex. Sicher ist: Netanjahu und Israel sind für Karikaturisten ein heikles Thema. So kündigte vor Kurzem die „New York Times“(NYT), ein Flaggschiff des liberalen, kritischen Journalismus, an, künftig in der internationalen Ausgabe keine politischen Karikaturen mehr zu bringen. In der US-Ausgabe hatte man diese schon zuvor eingestellt. Unmittelbarer Anlass war ebenfalls eine Netanjahu-Zeichnung: der Premier als Blindenhund, der einen blinden US-Präsidenten Donald Trump führt. Die NYT teilte damals mit, die Einstellung politischer Karikaturen schon über ein Jahr lang geplant zu haben. Die Frage der SN, was der konkrete Grund gewesen sei, beantwortete eine NYT-Sprecherin ausweichend: Es gebe dafür nun andere Darstellungsformen wie etwa Cartoon-Serien.
Diese Cartoons haben freilich mit der klassischen, frechen, provozierenden Karikatur nichts zu tun. Es stellt sich also heute die Frage: Was darf ein Karikaturist überhaupt noch zeichnen, wenn er seinen Job nicht verlieren will?
In Österreich beobachten Profi-Zeichner die Entwicklung mit Sorge. Die Political Correctness könne auf lange Sicht demokratiegefährdend sein, sagt etwa Gerhard Haderer. Das Ende der Karikatur in der NYT sei ein „böses Foul an der freien Meinungsäußerung“. Es müsse möglich sein, sich in der Karikatur mit der Politik Israels auseinanderzusetzen. Haderer, der vor Jahren wegen eines Jesus-Comics von Kirchenvertretern massiv angegriffen wurde, betont aber auch, dass jeder Karikaturist behutsam vorgehen sollte. „Man sollte jede einzelne Äußerung durchdenken. Aber die Grenzen der Satire soll der Zeichner für sich selbst ziehen. Da brauchen wir keine Zurufe von außen.“
Auch SN-Karikaturist Thomas Wizany sieht die „überbordende Political Correctness“kritisch. Was Netanjahu betreffe, betont Wizany: „Er hat halt eine relativ große Nase und große Ohren. Die hatte auch ExKanzler Fred Sinowatz – da war es kein Problem. Wenn man Netanjahu mit kleiner Nase und kleinen Ohren zeigen würde, dann würde man ihn nicht erkennen.“Karikaturisten sollten selbst entscheiden können, wie weit sie gehen. „Der Künstler muss für sich selbst definieren: Was ist für mich vertretbar? Ich hoffe, dass das Pendel wieder mal in die andere Richtung schlägt. Das Letzte, was wir verlieren dürfen im Leben, sind der Humor und die Hoffnung.“
Gustav Peichl, als „Ironimus“in der „Presse“über Jahrzehnte eine Instanz im österreichischen Journalismus, zeigt sich heute im SN-Gespräch wenig optimistisch. Er gehe davon aus, dass die Karikatur insgesamt seltener werde. Ein Grund sei finanzieller Natur, gute Zeichner würden „ihr Geld kosten“– zugleich sei der Spardruck in den Redaktionen groß. „Und die Redaktionen sind auch nicht mehr so tapfer und mutig, wie sie einmal waren. Daher verzichten sie eher auf eine Karikatur oder reduzieren sie.“
Karikierende Darstellungen gab es schon in der Antike. Mit dem Buchdruck stieg die Verbreitung massiv. In der Reformationszeit, im 16. und 17. Jahrhundert, bekämpften sich Katholiken und Evangelische mit bissigen Karikaturen. Eine der berühmtesten Darstellungen ist der „Papstesel“, ein Flugblatt, mit dem Luther und seine Mitstreiter das katholische Oberhaupt als diabolisches Fabeltier mit Schuppen, Eselskopf und Bocksfuß karikierten.
Heute wird Kritik an der Religion in der Karikatur immer mehr zum Tabu. Das Nicht-Verletzen religiöser Gefühle wird meist über die Meinungsfreiheit gestellt – eines der großen Ideale der europäischen Aufklärung. Ein Grund dafür sind die Aufregungen um Mohammed-Karikaturen in den vergangenen Jahren – etwa jene in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“im Jahr 2005. Dänische Imame hatten danach mit gezielter Desinformation die Stimmung im Nahen Osten angeheizt, es kam zu Ausschreitungen mit Dutzenden Toten. Auch die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“brachte Mohammed-Karikaturen. Bei einem Anschlag auf die Zeitschrift ermordeten islamistische Fanatiker 2015 in Paris zwölf Menschen. Viele Karikaturisten meiden seitdem das Thema Islam und Mohammed.
In Österreich gibt es heute vergleichsweise wenig Aufregung über Karikaturen. Derzeit beschäftigen den Österreichischen Presserat zwei Fälle: eine Karikatur aus der „Krone bunt“, in der die „Ibiza“-Protagonisten Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in Rattengestalt dargestellt wurden, und eine Karikatur aus den „Oberösterreichischen Nachrichten“, in der Identitäre als Art Ungeziefer gezeichnet sind, die von LH Thomas Stelzer mit einem Insektenvernichtungsmittel bekämpft werden. „Die Satire und die Karikatur dürfen fast alles, aber nicht alles“, sagt dazu Alexander Warzilek vom Österreichischen Presserat. Vor allem wenn die Menschenwürde von Personen verletzt werde, sei das problematisch. An ein Ende der Karikatur glaubt aber auch Warzilek nicht. Es wäre ein Fehler, wenn Redaktionen wegen „übertriebener Political Correctness“die Darstellungsform Karikatur als solche aufgeben würden.
Dass es die politische Karikatur weiterhin geben wird, glaubt auch Norbert Küpper, der Gründer und Organisator des European Newspaper Congress. Er sehe momentan in Europa keinen Trend gegen die Karikatur. Für ihn sei die Karikatur ein wichtiges Element von Zeitungen, „zumal wir ja im visuellen Zeitalter sind und ein Thema in der Karikatur sehr zugespitzt behandelt werden kann“. Das Problem sei, dass die Zuspitzung mitunter fehlinterpretiert werden könne. „Ich halte Karikaturen für einen sehr wichtigen Bestandteil der Zeitungen. Man kann eine Karikatur leicht im Bereich Social Media teilen und damit eine große Aufmerksamkeit und Wirkung erzielen. Karikaturen spitzen zu, anders gesagt: Sie bringen ein Thema auf den Punkt und treffen den Nerv.“Das berge allerdings auch ein Risiko. „Die Chefredaktion muss dieses scharfe Meinungsinstrument immer im Blick oder unter Kontrolle haben, damit Fehler oder Fehlinterpretationen vermieden werden.“
Dieter Hanitzsch dagegen glaubt nicht, dass die „kritische“politische Karikatur in den Zeitungen noch eine Zukunft hat – jedenfalls nicht in Deutschland. „Meiner Befürchtung nach hat die politische Karikatur in den Printmedien, zumindest in Deutschland und leider sogar schon in den USA, keine guten Papiere mehr.“Das Thema Israel sei überhaupt ein Tabu geworden unter Deutschlands Karikaturisten. „Ein Kollege sagte mir, er greife Israel überhaupt nicht mehr auf, weil die Zeitungen, die er beliefere, das Thema fürchteten.“
Würde er selbst den israelischen Regierungschef noch einmal zeichnen? Für eine Zeitung nicht mehr, sagt Hanitzsch. „Ich werde mich aber auch in Zukunft auf gar keinen Fall zurückhalten.“Als neues Medium dient ihm sein soeben gestartetes Internetprojekt – der „CartoonClub“. Im Internet gebe es stets positive Reaktionen auf kritische Karikaturen. „Die Menschen lieben die kritische politische Karikatur. Die ersten Mitglieder haben sich schon angemeldet. Und ich bin da völlig unabhängig.“