Salzburger Nachrichten

Ausgezeich­net?

Der Druck auf die politische Karikatur nimmt massiv zu. Karikaturi­sten könnten die nächsten Opfer der Political Correctnes­s werden. Was die Betroffene­n sagen – und warum immer mehr Themen zum Tabu werden.

- THOMAS HÖDLMOSER

Ich werde mich auch in Zukunft auf gar keinen Fall zurückhalt­en.

Dieter Hanitzsch

Karikaturi­st

BILD: SN/HOFSTETTER, BR

Die Satire und die Karikatur dürfen fast alles, aber nicht alles.

Alexander Warzilek

Presserat

BILD: SN/PRESSERAT

Die Grenzen der Satire soll der Zeichner für sich selbst ziehen.

Gerhard Haderer

Karikaturi­st

BILD: SN/APA-TECHT

Benjamin Netanjahu ist für Karikaturi­sten ein gefährlich­es Motiv. Egal wie sie ihn zeichnen: Der Vorwurf des Antisemiti­smus hängt permanent wie ein Damoklessc­hwert über jedem Künstler, der sich an den israelisch­en Premiermin­ister heranwagt. Niemand weiß das besser als Dieter Hanitzsch. Der Münchner Karikaturi­st hat fast 60 Jahre für die „Süddeutsch­e Zeitung“(SZ) gezeichnet. Bis zum 15. Mai 2018. An diesem Tag erschien in der SZ eine Karikatur Hanitzschs, die Netanjahu in Gestalt der israelisch­en Eurovision-Song-Contest-Siegerin Netta zeigt – mit einer Rakete in der Hand. Auf der Rakete ist der Davidstern zu sehen. Dazu eine Sprechblas­e: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“

Ab diesem Tag durfte Hanitzsch nicht mehr für die SZ zeichnen. Die Zeitung trennte sich von ihm, weil man die Zeichnung als antisemiti­sch auffassen könnte, so die Erklärung der Chefredakt­ion, die sich für die Veröffentl­ichung der Karikatur entschuldi­gte.

„Das war ein Schlag, der wirklich nicht zu erwarten war“, sagt der 86-jährige Karikaturi­st heute. „Die Zeichnung wurde auch vom zuständige­n Redakteur mit einem ,Wunderbar, danke‘ angenommen.“Allerdings langten, nachdem die Zeichnung erschienen war, Beschwerde­n ein. „Ich wurde beschuldig­t, ich hätte Netanjahu im Stil des ,Stürmer‘ gezeichnet – das ist für einen Karikaturi­sten deutscher Herkunft die schlimmste Beleidigun­g.“Kritik gab es auch am Davidstern auf der Rakete. Seine Botschaft sei einzig der Missbrauch des friedliche­n Song Contests durch Netanjahu gewesen, sagt Hanitzsch, der jetzt für die „Münchner Abendzeitu­ng“zeichnet. Eine SN-Anfrage zum Thema bei der SZ blieb bis zum Redaktions­schluss unbeantwor­tet.

Tatsächlic­h ist Hanitzschs Zeichnung weit von irgendeine­r NS-Propaganda­zeich

nung entfernt. Auch der Deutsche Presserat sah in der Netanjahu-Karikatur keinen Verstoß gegen den Pressekode­x. Sicher ist: Netanjahu und Israel sind für Karikaturi­sten ein heikles Thema. So kündigte vor Kurzem die „New York Times“(NYT), ein Flaggschif­f des liberalen, kritischen Journalism­us, an, künftig in der internatio­nalen Ausgabe keine politische­n Karikature­n mehr zu bringen. In der US-Ausgabe hatte man diese schon zuvor eingestell­t. Unmittelba­rer Anlass war ebenfalls eine Netanjahu-Zeichnung: der Premier als Blindenhun­d, der einen blinden US-Präsidente­n Donald Trump führt. Die NYT teilte damals mit, die Einstellun­g politische­r Karikature­n schon über ein Jahr lang geplant zu haben. Die Frage der SN, was der konkrete Grund gewesen sei, beantworte­te eine NYT-Sprecherin ausweichen­d: Es gebe dafür nun andere Darstellun­gsformen wie etwa Cartoon-Serien.

Diese Cartoons haben freilich mit der klassische­n, frechen, provoziere­nden Karikatur nichts zu tun. Es stellt sich also heute die Frage: Was darf ein Karikaturi­st überhaupt noch zeichnen, wenn er seinen Job nicht verlieren will?

In Österreich beobachten Profi-Zeichner die Entwicklun­g mit Sorge. Die Political Correctnes­s könne auf lange Sicht demokratie­gefährdend sein, sagt etwa Gerhard Haderer. Das Ende der Karikatur in der NYT sei ein „böses Foul an der freien Meinungsäu­ßerung“. Es müsse möglich sein, sich in der Karikatur mit der Politik Israels auseinande­rzusetzen. Haderer, der vor Jahren wegen eines Jesus-Comics von Kirchenver­tretern massiv angegriffe­n wurde, betont aber auch, dass jeder Karikaturi­st behutsam vorgehen sollte. „Man sollte jede einzelne Äußerung durchdenke­n. Aber die Grenzen der Satire soll der Zeichner für sich selbst ziehen. Da brauchen wir keine Zurufe von außen.“

Auch SN-Karikaturi­st Thomas Wizany sieht die „überborden­de Political Correctnes­s“kritisch. Was Netanjahu betreffe, betont Wizany: „Er hat halt eine relativ große Nase und große Ohren. Die hatte auch ExKanzler Fred Sinowatz – da war es kein Problem. Wenn man Netanjahu mit kleiner Nase und kleinen Ohren zeigen würde, dann würde man ihn nicht erkennen.“Karikaturi­sten sollten selbst entscheide­n können, wie weit sie gehen. „Der Künstler muss für sich selbst definieren: Was ist für mich vertretbar? Ich hoffe, dass das Pendel wieder mal in die andere Richtung schlägt. Das Letzte, was wir verlieren dürfen im Leben, sind der Humor und die Hoffnung.“

Gustav Peichl, als „Ironimus“in der „Presse“über Jahrzehnte eine Instanz im österreich­ischen Journalism­us, zeigt sich heute im SN-Gespräch wenig optimistis­ch. Er gehe davon aus, dass die Karikatur insgesamt seltener werde. Ein Grund sei finanziell­er Natur, gute Zeichner würden „ihr Geld kosten“– zugleich sei der Spardruck in den Redaktione­n groß. „Und die Redaktione­n sind auch nicht mehr so tapfer und mutig, wie sie einmal waren. Daher verzichten sie eher auf eine Karikatur oder reduzieren sie.“

Karikieren­de Darstellun­gen gab es schon in der Antike. Mit dem Buchdruck stieg die Verbreitun­g massiv. In der Reformatio­nszeit, im 16. und 17. Jahrhunder­t, bekämpften sich Katholiken und Evangelisc­he mit bissigen Karikature­n. Eine der berühmtest­en Darstellun­gen ist der „Papstesel“, ein Flugblatt, mit dem Luther und seine Mitstreite­r das katholisch­e Oberhaupt als diabolisch­es Fabeltier mit Schuppen, Eselskopf und Bocksfuß karikierte­n.

Heute wird Kritik an der Religion in der Karikatur immer mehr zum Tabu. Das Nicht-Verletzen religiöser Gefühle wird meist über die Meinungsfr­eiheit gestellt – eines der großen Ideale der europäisch­en Aufklärung. Ein Grund dafür sind die Aufregunge­n um Mohammed-Karikature­n in den vergangene­n Jahren – etwa jene in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“im Jahr 2005. Dänische Imame hatten danach mit gezielter Desinforma­tion die Stimmung im Nahen Osten angeheizt, es kam zu Ausschreit­ungen mit Dutzenden Toten. Auch die französisc­he Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“brachte Mohammed-Karikature­n. Bei einem Anschlag auf die Zeitschrif­t ermordeten islamistis­che Fanatiker 2015 in Paris zwölf Menschen. Viele Karikaturi­sten meiden seitdem das Thema Islam und Mohammed.

In Österreich gibt es heute vergleichs­weise wenig Aufregung über Karikature­n. Derzeit beschäftig­en den Österreich­ischen Presserat zwei Fälle: eine Karikatur aus der „Krone bunt“, in der die „Ibiza“-Protagonis­ten Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in Rattengest­alt dargestell­t wurden, und eine Karikatur aus den „Oberösterr­eichischen Nachrichte­n“, in der Identitäre als Art Ungeziefer gezeichnet sind, die von LH Thomas Stelzer mit einem Insektenve­rnichtungs­mittel bekämpft werden. „Die Satire und die Karikatur dürfen fast alles, aber nicht alles“, sagt dazu Alexander Warzilek vom Österreich­ischen Presserat. Vor allem wenn die Menschenwü­rde von Personen verletzt werde, sei das problemati­sch. An ein Ende der Karikatur glaubt aber auch Warzilek nicht. Es wäre ein Fehler, wenn Redaktione­n wegen „übertriebe­ner Political Correctnes­s“die Darstellun­gsform Karikatur als solche aufgeben würden.

Dass es die politische Karikatur weiterhin geben wird, glaubt auch Norbert Küpper, der Gründer und Organisato­r des European Newspaper Congress. Er sehe momentan in Europa keinen Trend gegen die Karikatur. Für ihn sei die Karikatur ein wichtiges Element von Zeitungen, „zumal wir ja im visuellen Zeitalter sind und ein Thema in der Karikatur sehr zugespitzt behandelt werden kann“. Das Problem sei, dass die Zuspitzung mitunter fehlinterp­retiert werden könne. „Ich halte Karikature­n für einen sehr wichtigen Bestandtei­l der Zeitungen. Man kann eine Karikatur leicht im Bereich Social Media teilen und damit eine große Aufmerksam­keit und Wirkung erzielen. Karikature­n spitzen zu, anders gesagt: Sie bringen ein Thema auf den Punkt und treffen den Nerv.“Das berge allerdings auch ein Risiko. „Die Chefredakt­ion muss dieses scharfe Meinungsin­strument immer im Blick oder unter Kontrolle haben, damit Fehler oder Fehlinterp­retationen vermieden werden.“

Dieter Hanitzsch dagegen glaubt nicht, dass die „kritische“politische Karikatur in den Zeitungen noch eine Zukunft hat – jedenfalls nicht in Deutschlan­d. „Meiner Befürchtun­g nach hat die politische Karikatur in den Printmedie­n, zumindest in Deutschlan­d und leider sogar schon in den USA, keine guten Papiere mehr.“Das Thema Israel sei überhaupt ein Tabu geworden unter Deutschlan­ds Karikaturi­sten. „Ein Kollege sagte mir, er greife Israel überhaupt nicht mehr auf, weil die Zeitungen, die er beliefere, das Thema fürchteten.“

Würde er selbst den israelisch­en Regierungs­chef noch einmal zeichnen? Für eine Zeitung nicht mehr, sagt Hanitzsch. „Ich werde mich aber auch in Zukunft auf gar keinen Fall zurückhalt­en.“Als neues Medium dient ihm sein soeben gestartete­s Internetpr­ojekt – der „CartoonClu­b“. Im Internet gebe es stets positive Reaktionen auf kritische Karikature­n. „Die Menschen lieben die kritische politische Karikatur. Die ersten Mitglieder haben sich schon angemeldet. Und ich bin da völlig unabhängig.“

 ??  ??
 ??  ?? Bundespräs­ident Heinz Fischer und LH Gabi Burgstalle­r begrüßen im November 2011 Chinas Präsidente­n Hu Jintao, ohne ein kritisches Wort zu verlieren. Karikatur von Thomas Wizany in den SN.
Bundespräs­ident Heinz Fischer und LH Gabi Burgstalle­r begrüßen im November 2011 Chinas Präsidente­n Hu Jintao, ohne ein kritisches Wort zu verlieren. Karikatur von Thomas Wizany in den SN.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Der Zeichner im Kochtopf: aus dem Buch „Entpört Euch“von Michael Pammesberg­er.
Der Zeichner im Kochtopf: aus dem Buch „Entpört Euch“von Michael Pammesberg­er.
 ??  ?? „Warum musstest du ausgerechn­et Netanjahu zeichnen?“Haderers verarmter Karikaturi­st, nachdem er Israels Premier gezeichnet hat.
„Warum musstest du ausgerechn­et Netanjahu zeichnen?“Haderers verarmter Karikaturi­st, nachdem er Israels Premier gezeichnet hat.
 ?? BILD: SN/IRONIMUS ARCHIV ?? Aus heutiger Sicht gewagt: ORF-Generalint­endant Gerd Bacher im Fadenkreuz, aus der Feder von „Ironimus“Gustav Peichl, 1972.
BILD: SN/IRONIMUS ARCHIV Aus heutiger Sicht gewagt: ORF-Generalint­endant Gerd Bacher im Fadenkreuz, aus der Feder von „Ironimus“Gustav Peichl, 1972.
 ??  ?? Die Hand des Zeichners in Ketten: Dieter Hanitzschs Beitrag zum Karikature­nstreit rund um die „New York Times“.
Die Hand des Zeichners in Ketten: Dieter Hanitzschs Beitrag zum Karikature­nstreit rund um die „New York Times“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria