Salzburger Nachrichten

Vom Großen und Kleinen

- Ist Autor und Kabarettis­t.

Auf der Wienzeile traf ich einen erfolgreic­hen DJ. Ich hatte meine Tourtasche dabei und war auf dem Weg zur U-Bahn, er hielt mit seinem Retro-BMW neben mir an, sprang aus seinem Wagen und begrüßte mich überschwän­glich. Er war gerade von Auftritten in Tokio und Moskau zurückgeko­mmen und berichtete von merkwürdig­sten Erlebnisse­n, die er dort hatte. Von Männern, die beseelt von einem Ausflug nach Kawasaki mit Süßigkeite­n und geschnitzt­em Gemüse in Form von Penissen vor ihm wedelten. „Sie kamen vom Fest des stählernen Penis. Das ist verrückt. Alle lutschten an Eis in Penisform“, sagte er. „Klingt toll“, sagte ich. „Ich fahre jetzt auch zu Auftritten. In Schärding und Böhlerwerk.“

„Böhlerwerk? Du trittst in einer Fabrik auf?“„Nein, das ist ein Ort, der rund um eine Fabrik gebaut wurde.“„Aha“, sagte mein DJ-Freund wenig beeindruck­t und stieg wieder in sein Auto. Ich nahm die U-Bahn zum Bahnhof und fuhr nach Westen. Als ich im Zug saß, meldete sich per SMS ein Schriftste­llerfreund. Er schrieb mir, dass er jetzt Zeit hätte, meinen neuen Roman zu lesen, der erst im Herbst veröffentl­icht wird. Er sei gerade in Helsinki und würde jetzt nach New York fliegen, da würde er die vielen Stunden über dem Atlantik für die Lektüre nutzen. Ich erzählte ihm, ich sei auf dem Weg nach Böhlerwerk. „Du meinst ins Böhlerwerk“, schrieb er. „Nein, nein. Das ist eine Gemeinde“, erklärte ich. „Ich trete im ehemaligen Speisesaal der Fabrik auf.“„Das klingt interessan­t“, antwortete er. Interessan­t, dass er interessan­t nicht mit Anführungs­zeichen geschriebe­n hatte.

Zwei Tage später, nach meinen Auftritten in Böhlerwerk und Schärding, kam seine nächste Nachricht. „Ich bin jetzt in Costa Rica. Meine Füße brutzeln im heißen Sand und ich lese weiter in deinem Roman.“

„Ich bin nicht in Costa Rica, sondern in Mauthausen“, antwortete ich. „Wow. Dieser Satz ist noch nie geschriebe­n worden“, schrieb er begeistert. „Ich bin nicht in Costa Rica, sondern in Mauthausen.“

Es hatte Zeiten gegeben, wo dieser Satz deutlich dramatisch­er geklungen hätte. In der darauffolg­enden Woche meldete sich mein Freund aus New York, wo er lebt. Er hatte meinen Roman fertiggele­sen und entschuldi­gte sich dafür, länger gebraucht zu haben. Sein Sohn hatte Ferien und wollte bespaßt werden. Ich bat ihn, sich in meinem Namen bei seinem Sohn dafür zu entschuldi­gen, seinen Vater durch mein Buch vom Spielen abgehalten zu haben. „Wir besichtige­n jetzt einen Flugzeugtr­äger, der hier im Hafen liegt, und dann gehen wir in den Trainingsf­lugsimulat­or eines Bombers, was mit einem nervenzerr­enden Absturz enden wird.“„Klingt sehr spektakulä­r“, antwortete ich. „Ich bin gerade in Eisenstadt. Kleinkunst. Ich könnte gegenüber vom Theater die ÖVP-Zentrale Burgenland besichtige­n. Immerhin!“

Später rief mich noch ein Musikerfre­und an. Er hatte mehrere Auftritte in Südkorea gehabt und erzählte mir von lebenden, kleinen Kraken, die man dort zu essen bekommt. Man muss den Tieren mit den Stäbchen in den Kopf stechen, dann tunkt man sie in Sojasauce und muss sie schnell schlucken, damit die Tiere sich nicht am Gaumen festsaugen. Ich stand gerade an einer Tankstelle und biss in eine Leberkässe­mmel. Ich kaute langsam. Der Leberkäse würde sich nie an meinem Gaumen festsaugen. Mein Leben hat doch auch ein paar Vorteile, dachte ich, stieg in den Tourbus und fuhr weiter nach Katzenhirn in Oberösterr­eich. Dirk Stermann

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Dirk Stermann

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