Was niemand zu Ende schaut, hört und liest
Stiehl dem Publikum keine Zeit! So wie es dich früher gnadenlos überblättert oder weggezappt hat, klickt es nun weiter. Das zeitgeistige „Die Info findet mich“, das permanente Posten über irgendwas, das terminflexible Prinzip Netflix, der Boom von Podcasts, der Trend zum Liveticker, die Nische für umfangreiche Texte verführen zu undiszipliniertem Schwadronieren. Für Journalismus ist das schlecht. Er muss sich durch Relevanz unterscheiden. Verzichtbare Längen sind Fehler in der Inhaltsvermittlung, dennoch hohe Zugriffszahlen oft der pure Selbstbetrug.
Der größte gemeinsame Nenner von Nachrichten in Zeitungen, Radio und Fernsehen muss ihre journalistische Grundlage sein. Der größte gemeinsame Trend ist die Verkürzung von Information. Artikel und Beiträge, Zitate und Originaltöne sind im Schnitt nur noch einen Bruchteil so lang wie einst. Dass sich immer wieder Ausführliches dazugesellt, ist der Abwechslung geschuldet. Gleichförmigkeit langweilt. Gute Medien sind wie fesselnde Musik komponiert.
Doch Journalisten setzen sich in Arbeiten nur fürs Internet mitunter zu wenig von Bloggern ab. Dies geschieht einerseits, wenn die redaktionelle Sozialisierung über Print-, Radio- oder TV-Zwänge fehlt und sich ausschließlich für Onlineangebote vollzieht. Das passiert andererseits aus falsch verstandener Befreiung von der Begrenzung durch fixe Zeichenzahlen und normierte Beitragslängen. Der unendliche digitale Raum ermöglicht nicht nur die Ära der dokumentierten Geschwätzigkeit. Neben tempogetriebener Kurzatmigkeit verleitet er auch zum unreflektierten Schwafeln. Jeder Klick eine Selbstbestätigung – auch wenn keiner zu Ende schaut, hört oder liest.