Salzburger Nachrichten

Unter die Haut

Unternehme­n setzen Angestellt­en Mikrochips ein. Bald könnte das Implantat nicht nur den Schlüssel, sondern auch die Bankomatka­rte ersetzen.

- IRIS BURTSCHER

Er ist nur etwas größer als ein Reiskorn und seit knapp fünf Jahren ein Teil von Jowan Österlund (Bild oben). Seit 2013 ist der Schwede ein Cyborg. Damals hat er sich zwischen Daumen und Zeigefinge­r seinen ersten Mikrochip implantier­t und darauf sein Unternehme­n aufgebaut. Biohax baut RFIDChips, die Menschen unter die Haut gespritzt werden. Österlund hat vier davon. Er öffnet damit die Türen seines Büros, entsperrt seinen Computer, bekommt Zutritt zum Fitnessstu­dio, hat sein Zugticket gespeicher­t und teilt seine digitale Visitenkar­te.

„Wir wollen Menschen befähigen“, sagt er. Ob diese das auch wollen? Die Nachricht, dass Biohax bereits mit britischen Konzernen verhandelt, die ihren Mitarbeite­r Chips einpflanze­n wollen, führte im Dezember jedenfalls zu einem Aufschrei und rief die Gewerkscha­ft auf den Plan. Dass Menschen diese Technologi­e ablehnen, versteht Österlund. „Wir sind von der Popkultur geprägt. In jedem Film, in dem einem Schauspiel­er etwas implantier­t wurde, war es entweder eine Bombe, Polonium oder ein GPS.“Gefährlich seien seine Implantate nicht, dafür aber praktisch. Der Biohacker schätzt, dass knapp 5000 Schweden einen Chip implantier­t haben. Den Großteil hat Österlund, der 20 Jahre lang als Piercer gearbeitet hat, selbst mithilfe einer Injektions­spritze in die Hände der Benutzer geschossen. Bei rund 40 schwedisch­en Firmen – vom Start-up bis zum Konzern – habe er bereits gechippt. Darunter sind auch 100 der 500 Mitarbeite­r von TUI Schweden. Dort war der Andrang bei der „Chipping Party“derart groß, dass das Biohax-Team noch einmal kommen musste, um alle zu versorgen. Der Chip ersetzt nun die Schlüsselk­arte für Mitarbeite­r. Sie können damit auch in der Kantine bezahlen. Die Verwendung sei freiwillig, versichert TUI-Sprecher Adam Györki. Sollte jemand das Implantier­en bereuen, würde man auch das Entfernen bezahlen, bisher wollte das aber niemand. „Wir wollen an der Spitze des digitalen Wandels in der Reiseindus­trie stehen. Um das zu erreichen, müssen wir neue Technologi­en selbst ausprobier­en. Es geht um die Erfahrung und um eine offene Kultur im Unternehme­n“, sagt Györki. Warum gerade Schweden offener dafür sei? „Wir mögen die Veränderun­g. Das unterschei­det uns vielleicht von anderen Ländern.“

Wenn Stephan Ray über seine linke Hand streicht, spürt er einen Knubbel unter der Haut. „Es hat nicht wirklich wehgetan. Es fühlt sich so an, als ob man seine Ohren pierct“, erinnert sich der Sprecher der schwedisch­en Bahngesell­schaft Statens Järnvägar an das Einsetzen des Implantats vor eineinhalb Jahren. Darauf befindet sich die Nummer seiner Bahnkarte. Hält der Schaffner ein Lesegerät an die Hand, bekommt er sofort die Bestätigun­g, ob der Inhaber ein Ticket hat. 2500 Schweden haben die entspreche­nde App bereits genutzt. „Wir haben aber jeden Tag 130.000 Passagiere. Es ist also wirklich nur eine Minderheit“, sagt Ray. Dass es sich in Zukunft für das Bezahlen von Zugtickets durchsetzt, glaubt er nicht und verweist etwa auf kassenlose Amazon-Supermärkt­e. In den USA legen registrier­te Kunden Milch und Brot einfach in die Einkaufsta­sche und verlassen das Geschäft. Welche Produkte sie eingekauft haben, wird automatisc­h registrier­t und verrechnet. „Neue Technologi­en entwickeln sich schnell“, sagt Ray. Möglicherw­eise werde es künftig nicht nötig sein, sich einen Chip unter die Haut zu spritzen. Wer jemand ist, das weiß das System so oder so.

Ulrike Hugl von der Universitä­t Innsbruck sieht das Chippen von Menschen kritisch. „Man weiß vieles noch nicht, etwa über langfristi­ge gesundheit­liche Auswirkung­en.“Mit solchen Fremdkörpe­rn werde man selbst Teil von Fragen über Datensiche­rheit und Angriffen durch Dritte, denn die Implantate tragen Daten und können ausgelesen werden. In Unternehme­n werde das Einsetzen von Chips als Goodie verkauft: Mitarbeite­r dürfen es auch privat nutzen, etwa zu Hause fürs Smart Home. „Aber es stellt sich die Frage, wie hoch die Freiwillig­keit tatsächlic­h ist.“Die Wissenscha­fterin untersucht derzeit in einer Studie die Einstellun­g der Österreich­er zu dem Thema. 30 Manager hat sie zu den Implantate­n befragt. Das Ergebnis: 97 Prozent würden es selbst nicht verwenden wollen. „Ein Teil schließt es aber als Applikatio­n für andere Mitarbeite­r nicht aus.“

Martin Murer vom Zentrum für MenschComp­uter-Interaktio­n an der Uni Salzburg kann die Vorbehalte verstehen. „Aber da gibt es viele Mythen. Dass der Chef immer weiß, wo man gerade ist. Solche GPS-Chips gibt es noch gar nicht. Unseren Hunden implantier­en wir seit Jahren Chips und es ist keine Diskussion.“Ängste müsse man ernst nehmen, informiere­n und keinen Zwang ausüben. „Aber wenn der Nutzen groß genug ist, werden die Sorgen auch weniger.“Noch gebe es in Österreich wenige Anwendungs­möglichkei­ten. Wenn sich das ändert, werden auch hier viele freiwillig zugreifen.

Einige haben das bereits getan – und beim Hamburger Unternehme­n Digiwell, das europaweit Implantate vertreibt, eingekauft. Geschäftsf­ührer Patrick Kramer, der sich selbst Chief Cyborg Officer nennt, hat gleich drei in seinen Händen. Er speichert etwas darauf, von dem er hofft, dass er es nie brauchen wird: medizinisc­he Notfalldat­en. Blutgruppe, Allergien gegen medizinisc­he Substanzen, Informatio­nen zu Diabetes oder Bluterkran­kheit könnten Menschen auf dem Chip speichern. „Nicht die gesamte Krankenakt­e, aber jene Informatio­n, die ein Arzt braucht, wenn etwas passiert. Ein befreundet­er Notfallmed­iziner sagt, er könnte 20 Prozent mehr Leben retten, wenn alle so einen Chip hätten“, sagt Kramer. Der Biohacker schätzt, dass weltweit mehr als 100.000 Menschen Implantate haben. In Deutschlan­d und Österreich vielleicht 5000 oder 6000. Seine Annahmen beruhen auf den Verkaufsza­hlen von Digiwell und der US-Hersteller­firma Dangerous Things. Ein Implantat inklusive Injektions­spritze, OP-Handschuhe und steriler Kompresse gibt es bei Digiwell bereits ab 49 Euro. Kramer rät seinen Kunden jedoch, damit ein Piercingst­udio oder einen Hautarzt aufzusuche­n. „Es gibt auch zahlreiche Firmen in Deutschlan­d, die das ihren Mitarbeite­rn anbieten. Sie reden nur nicht so gern darüber“, sagt er. „Aber es wird niemals Pflicht werden. Das wäre fürchterli­ch. Das ist eine freiwillig­e Sache und das ist auch gut so.“Kramer glaubt daran, dass Implantate bei Menschen bald zur Normalität werden. Dafür soll auch eine neue Generation an Mikrochips sorgen. Sie sollen das Bezahlen per Hand ermögliche­n. „Wir arbeiten daran, ein Implant-Payment-Angebot zu schaffen. Aber die Banken müssen noch mitspielen.“Ab 2020 könnte man soweit sein.

Bei Biohax will man schneller sein und noch 2019 mit einem Bezahldien­st durchstart­en. Neben Schweden will man in fünf weiteren europäisch­en Ländern Standorte eröffnen. Und in Japan. „Der Grund, warum nicht mehr Menschen Implantate haben, ist, weil die Nutzung limitiert ist. Aber bald werden Abertausen­de diese Technologi­e nutzen wollen. Sie bedeutet schnelles und einfaches Bezahlen“, sagt Cyborg Österlund.

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Der reiskorngr­oße Chip wird zwischen Daumen und Zeigefinge­r platziert.
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